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Wenn das „System“ zum Feind wird

Themenabend zur historischen Landvolkbewegung in Meldorf
Von Tonio Keller
Die schwarze Fahne mit Pflug und Schwert war das Symbol der historischen Landvolkbewegung. Foto: privat

„Wir lassen uns nicht in die rechte Ecke stellen“ protestieren diejenigen, die bei aktuellen Demonstrationen die Landvolkfahne zeigen. Der Themenabend zur historischen Landvolkbewegung, den die Landeszentrale für politische Bildung und die Beratungsteams gegen Rechtsextremismus im Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf veranstalteten, machte deutlich: Antidemokratisch und antisemitisch war die Landvolkbewegung sehr wohl.

Schon seit einiger Zeit wird darüber gestritten, ob die Landvolkbewegung als Wegbereiter des Nationalsozialismus bezeichnet werden kann. Tatsächlich, so führte der Historiker Prof. Marc Buggelin von der Europa-Universität Flensburg aus, war und wurde das Landvolk als Organisation nicht Teil der NSDAP, wenn auch viele seiner Mitstreiter später in die Partei eintraten und einige dort Karriere machten, etwa der „Erfinder“ der Fahne, Peter Petersen.

Zu Anfang gab es durchaus Differenzen mit der NSDAP, der das Landvolk zu anarchistisch war, doch später nahm sie Forderungen der Landvolkbewegung auf. Sie unterstützte zum Beispiel deren Führungsfigur Claus Heim bei seinem Prozess 1930 durch einen großen Aufmarsch und das Angebot eines Reichstagsmandats. Heim hingegen wollte nichts mit den Nazis zu tun haben und wurde 1933 sogar verhaftet. Ein „taktisches Verhältnis“ zur Landvolkbewegung bescheinigte die anwesende Filmemacherin Quinka Stoehr der NSDAP.

Als bedeutender wertete Buggelin die Parallelen in der Gesinnung: „Von Anfang an war die Landvolkbewegung antidemokratisch, antisemitisch und völkisch. Die Regierung der Weimarer Republik wurde als feindliches System bezeichnet, das von Juden gesteuert werde.“ Diese Haltung sei damals weit verbreitet gewesen. – „Um rechtsextrem zu sein, musste man nicht in der NSDAP sein“, gab die anwesende Mitarbeiterin des Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus zu bedenken, deren Name zum Personenschutz nicht genannt wurde. Fotos waren im Saal auch nicht zugelassen.

Spätestens als Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Stumpfe Sense, scharfes Schwert“ der Historikerin Quinka Stoehr gezeigt wurden, in dem sie 1990 Zeitzeugen befragte, wurde die, wie sie formulierte, „unzweifelhafte ideologische Nähe zu den Nazis“ deutlich. So äußerte Margarethe Hamkens, die Witwe der Führungspersönlichkeit der Landvolkbewegung, Wilhelm Hamkens, noch 45 Jahre nach Kriegsende ungeschminkt ihre antisemitische Einstellung zu einem „jüdischen System“, das die Wirtschaft gesteuert habe.

Auch auf jüngsten Demonstrationen wurde immer wieder die Landvolkfahne gezeigt. Foto: Tonio Keller

Spannend wurde es, als auf dem Podium und mit dem Publikum Parallelen zur Gegenwart gezogen werden sollten – wird ja die Landvolkfahne seit einigen Jahren bei Demonstrationen von Bauern und aus dem ländlichen Bereich wieder gezeigt. Noch spannender hätte es werden können, wenn die Moderatorin Freya Elvert, Referentin beim Landesbeauftragten für politische Bildung, nicht von vornherein bestimmte Beiträge ausgeschlossen und dies insbesondere bei Publikumsäußerungen immer wieder eingefordert hätte. So sollte etwa die gegenwärtige Agrarpolitik nicht thematisiert werden. Wie dann aber eine Brücke zur Gegenwart schlagen?

Klaus-Peter Lucht, Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, hielt sich denn auch nicht an diese Vorgabe. „Wenn die demokratischen Parteien angesichts der gegenwärtigen Krisen keine Lösungen bieten, wenn die Politik uns nicht hört und Vorschläge immer wieder zurückweist, führt das zu Frustration und Wut. Dass Menschen in dieser schwierigen Zeit nach einfachen Lösungen suchen, kann ich nachvollziehen. Nicht alle haben das politische Wissen. Wenn Menschen sich überfordert fühlen, fallen sie auf Demagogen herein, Das macht mir Sorgen.“

Zugleich distanzierte sich Lucht stellvertretend für seinen gesamten Verband deutlich von jeglichem Radikalismus. „Wir sind als Verband demokratisch und überparteilich. Wir reden mit allen demokratischen Parteien, wir führen auch mit Naturschutzverbänden einen vernünftigen Dialog. Und wenn auf unseren Demonstrationen die Landvolkfahne auftaucht, diskutieren wir mit den Leuten und sagen ihnen: ,Nehmt die Fahne bitte runter.‘“ Lucht äußerte ebenso wie die anderen Redner seine Sorge über eine zunehmende Verrohung der Sprache in den Sozialen Medien. Eine Parallele zu heute sah auch Buggelin: „Noch 1919 hatten die Kleinbauern mehrheitlich linksliberal gewählt. Die Bewegung entstand aus der wirtschaftlichen Situation. Die Regierung wurde nicht als Vertretung des Volkes angesehen, sondern als ,das Andere‘, als ,die da oben‘, als das feindliche ,System‘.“

Wie kann ein gesellschaftliches Abrutschen in Rechtsextremismus vermieden werden? „Es ist wichtig, dass auch in Krisen ein Interessenausgleich in der Bevölkerung stattfindet“, meinte Quinka Stoehr. Die Verankerung in der Gesellschaft zu fördern, schlug die Mitarbeiterin des Beratungsteams gegen Rechtsextremismus vor: Man müsse „den Menschen vermitteln, dass sie dazugehören“. Eine gewisse Ratlosigkeit räumte sie gleichwohl ein – eine ehrliche Aussage, die wohl insgesamt zutraf.

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