Bin ich eine Rabenmutter? Um diese Frage drehte sich der Theaterabend über Dithmarscher Mutterbilder in der Aula des Gymnasiums Brunsbüttel vor zwei Wochen. Sechs Dithmarscher Mütter stellten sich in zum Teil sehr persönlichen Geschichten dieser Frage, in Dialogen, Monologen, Auseinandersetzungen, ergänzt um Sound- und Lichteffekte, Videoprojektionen, tanzende Raben. Eine atmosphärisch dichte, thematisch intensive und auf das Wesentliche reduzierte Vorstellung, die auch nach dem Ende noch lange nachwirkte.
Wann ist eine Mutter eine Rabenmutter? Wenn sie mal nicht so funktioniert, wie man es von ihr erwartet? Wenn sie sich einmal eine Auszeit nimmt und es sich gut gehen lässt? Wenn das Kind ausnahmsweise einmal mit dem Fahrrad zur Schule fahren muss und nicht mit dem Auto gebracht wird? Fragen über Fragen, die sich Mütter über alle Altersgruppen hinweg stellen oder gestellt haben.
Aber auch Frauen, die keine Kinder haben, sowie Väter finden sich in den Geschichten wieder, die Susanne Dutz, Marion Hase, Imme Helmers, Neele Herrmann, Julia Lienhart und Jutta Michalczyk über ihr Mutterdasein erzählen. Mütter müssen Vorbild sein, rund um die Uhr für das Wohlergehen der Kinder und der Familie sorgen, den Haushalt machen, meist neben der Arbeit, oft ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, allen Anforderungen gerecht werden und den Spagat zwischen Beruf, Erziehung und Ehe hinbekommen.
Viele Mütter sind geprägt durch ihre eigenen Mütter. Und kann man überhaupt allen und jedem gerecht werden in seiner Mutterrolle? Ganz sicher nicht, und das brachten die Frauen eindringlich, mit wenig Requisiten auf die Bühne – mal lustig, mal ernst, mal nachdenklich, mitunter sehr persönlich und intim, aber auch traurig und immer ehrlich. Sei es mit Erzählungen aus der Vergangenheit, der Gegenwart oder mit Gedanken, was noch kommen mag, über das Altwerden und Sterben, über das Ansehen in Sozialen Medien oder das Funktionierenmüssen, über das Muttersein, wenn die Kinder ausgezogen sind und ihr eigenes Leben leben und man scheinbar überflüssig wird, aber auch über das permanent schlechte Gewissen, der Mutterrolle und den Ansprüchen der Gesellschaft nicht gerecht zu werden. Und doch sich die Freiheit zu nehmen, eigene Lebensentwürfe zu kreieren, unperfekt und eigenständig zu sein.
Das war kein Theater, bei dem man hinausgeht und sagt: „Das war schön“, und damit abschließt, sondern auch lange nach Ende noch über die eine oder andere Szene nachgedacht hat, weil man sich darin wiedergefunden, es genauso selbst erlebt oder gefühlt hat. „Das ist auch so gewollt“, bestätigt Malte Andritter von Prinzip Rauschen, einem Kollektiv freischaffender Künstler, das dieses Stück mit den Dithmarscher Frauen umgesetzt hat.
Die Idee entstand im Nachgang zu einem Theaterprojekt in einer leer stehenden Villa in Brunsbüttel 2020, bei dem einige der Frauen bereits mitwirkten. Dabei sei es in den vor Ort gesammelten Geschichten auch ums Elternsein und Elternhaben gegangen. Daraus entwickelte sich das Stück „Rabenmütter“, zu dem die Frauen ihre Texte selbst geschrieben und die Aufführung entwickelt haben. „Wir haben sie dabei begleitet, mit Regie, Licht und Sound“, so Andritter, dem es darüber hinaus wichtig war, mehrere künstlerische Ausdrucksformen in einem Stück zu vereinen – Theater, Tanz, Videoprojektionen, Soundeffekte und das Livemalen eines Bildes durch Julia Lienhart.
Als Künstlerkollektiv und Ensemble führt „Prinzip Rauschen“ mit Malte Andritter, Hans Peters und Nico Franke zum einen Theaterprojekte im ländlichen Raum durch, in denen die drei selber spielen und darstellen, aber auch Civil-Artists-Porjekte, bei denen Bürgerinnen und Bürger am kreativen Prozess mit beteiligt werden. „Uns ist es wichtig, zeitgenössisches Theater in den ländlichen Raum zu bringen und Theater mit den Menschen, die hier wohnen, zu machen. Wir sind keine Gruppe, die einfach so daherkommt und etwas zeigt, sondern sich mit den Menschen vor Ort und deren Geschichten auseinandersetzt“, erklärt Andritter. Der Name des Ensembles sei auch das Prinzip, nach dem man arbeite: „Wenn man alle Menschenstimmen auf einmal hören würde, entstünde ein Rauschen. Wir ziehen bestimmte Stimmen von bestimmten Personen heraus und geben denen eine Plattform, sie zu präsentieren. Das ist unser Prinzip, daher der Name ‚Prinzip Rauschen‘.“ Für September ist das nächste Projekt geplant. In „Kronprinzen“ erhalten junge Landwirte eine Stimme. Informationen dazu und zum Ensemble unter prinzip-rauschen.de