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Wahlhelfer könnten Abhängigkeiten schaffen

Kommentar zur Wahl der Kommissionspräsidentin
Von Mechthilde Becker-Weigel
Ursula von der Leyen geht diesmal mit den Stimmen der Grünen in die neue Amtszeit und musste auf die Unterstützung der FDP verzichten. Foto: Imago

Die neue alte EU-Kommissionspräsidentin heißt Ursula von der Leyen. Am 18. Juli stimmten 401 Abgeordnete für sie, 284 dagegen, und 22 Stimmzettel waren leer oder ungültig. Das ist ein respektables Ergebnis im Vergleich zum knappen Entscheid 2019. Es zeigt aber, dass offenbar auch in den eigenen Reihen einige noch eine Rechnung mit ihr offen hatten. Die Fraktion der FDP hat von der Leyen ihre Stimmen versagt, und weitere Stimmen aus der Mitte fehlten. Das Flirten nach rechts mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni hat nichts gebracht. Am Ende war von der Leyen auf die Stimmen der Grünen angewiesen, die ihr bei der vorherigen Wahl ihre Zustimmung versagt hatten. Das traf 2019 übrigens für die SPD genauso zu. So wurden die größten Verlierer der EU-Wahl diesmal zu den Mitgewinnern im EU-Machtspiel. Sie sei den Grünen „sehr dankbar“ für die Unterstützung, sagte die CDU-Politikerin nach der Wahl.

Seit der vorigen Wahl hat sich einiges geändert. Vor fünf Jahren war der Umweltschutz von der Leyens großes Thema. Seitdem haben sich die Gewichte verschoben. Der Krieg in der Ukraine, Corona, Lieferkettenengpässe, Migration haben den Alltag eingeholt. In ihrer Parlamentsrede am vorigen Donnerstag sprach die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin über die Wettbewerbsfähigkeit Europas und die ausufernde Bürokratie, aber diesmal weniger über die ökologische Wende.

Die Regeldichte, die von der Leyen in ihrer Ansprache beklagte, hat sie teilweise selbst geschaffen. Man denke nur an den Green Deal, ihr großes Projekt der vergangenen fünf Jahre. Bis ins Jahr 2050 soll die EU netto klimaneutral sein. Darauf zielen die umfangreichen Gesetzesvorhaben ab – und genau die sind beim Green Deal den EU-Instanzen entglitten. Zu eng, zu viele Vorschriften und Berichtspflichten, und das in mehrfacher Ausführung. Das hat vielen den Spaß an der EU verdorben. Daran haben neben von der Leyen und der Kommission auch die einzelnen Mitgliedsländer und Parlamente mitgewirkt. Die Versuchung ist offenbar einfach zu groß, die Gesetze, Richtlinien und Verordnungen nach eigenen politischen Vorstellungen aufzublasen.

Was nachhaltige Pläne für den Agrarsektor angeht, blieb von der Leyen in ihrer Ansprache vor den Abgeordneten im EU-Parlament vage. Einzelheiten sollen während der ersten 100 Tage des Mandats der neuen EU-Kommission bekannt gegeben werden. Der Strategische Dialog über die Zukunft der Landwirtschaft soll gemeinsame Visionen für die Zukunft des Agrar- und Lebensmittelsektors der EU entwickeln. Dieses Forum hat von der Leyen im Januar eröffnet unter Führung von Prof. Peter Strohschneider, der zuvor der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) der Bundesregierung vorstand (Bericht Juni 2021). Hier diskutieren Interessenträger aus Landwirtschaftsverbänden und der gesamten Lebensmittelkette miteinander. Darauf setzen Landwirtschaft und Handel.

Man darf nicht vergessen, dass für die Grünen die Amtszeit des vorherigen Parlaments mit einer bitteren Note endete. Sie warfen der von von der Leyen geführten Kommission vor, sich von ihrer Strategie der nachhaltigeren Gestaltung des Agrar- und Lebensmittelsektors, der sogenannten Farm-to-Fork-Strategie, zurückzuziehen, und verurteilten auch die Lockerung der neuen Umweltvorschriften der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Das sind offene Rechnungen der Wahlhelfer, die hoffentlich nicht zu Abhängigkeiten führen.

Mechthilde Becker-Weigel
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