Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt auch für Schleswig-Holstein weitreichende Veränderungen mit sich. Die bittere Gewissheit, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt sei, zwinge zum Umdenken und Umsteuern, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vergangene Woche Mittwoch in einer Regierungserklärung. Die ukrainischen Flüchtlinge müssten untergebracht, der Bevölkerungsschutz gewährleistet und die Versorgung mit Energie und Nahrung gesichert werden, so Günther.
Die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge ist laut Günther derzeit die größte Herausforderung. Derzeit lebten mehr als 2.600 Kriegsflüchtlinge in den Landesunterkünften sowie weitere 3.000 in den Kreisen. Der Ministerpräsident kündigte an, binnen eines Monats weitere 5.500 Plätze in den Landesunterkünften Rendsburg, Bad Segeberg, Boostedt und Neumünster schaffen zu wollen. Zudem werde der Katastrophenschutz rascher als geplant ausgebaut – mit einem neuen Lager, einem Krisenzentrum, moderneren Fahrzeugen und Geräten sowie einer einheitlichen Leitstellensoftware für Polizei, Feuerwehr und Zivilschutz.
Um noch schneller unabhängig von russischem Öl und Gas zu werden, seien das geplante LNG-Terminal in Brunsbüttel und die vorgesehene Elektrobatteriefabrik in Heide wichtige Bausteine: „Mit Wasserstoff und Grünen Batterien reduzieren wir unsere Abhängigkeit“, betonte Günther. Er nannte es zudem „ethisch nicht verantwortbar“, weitere Agrarflächen aus der Produktion zu nehmen. Die Produktion von Lebensmitteln sei derzeit wichtiger als der Umweltschutz.
Landtagsvizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber (SPD) warnte indes vor einer Rolle rückwärts in der Agrarpolitik. Die Zukunftskommission Landwirtschaft und auch der Dialog in Schleswig-Holstein hätten die Weichen in Richtung einer nachhaltigen und zukunftssicheren Landwirtschaft gestellt. „Dem sollten wir weiter folgen“, unterstrich Eickhoff-Weber. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), der Green Deal, die Farm-to-Fork-Strategie, die Novellierung der Düngeverordnung und die nationale Ackerbaustrategie müssten weitergetrieben werden für eine nachhaltige, zukunftssichere Landwirtschaft. „Wir dürfen bei den aktuellen großen Herausforderungen die Klimakrise, die Biodiversitätskrise, die Bodenkrise und die Wasserkrise nicht aus dem Blick verlieren“, so die SPD-Politikerin. Sie forderte zudem eine strengere Kontrolle der Märkte. Die dramatischen Preissteigerungen bei Agrargütern seien zum Teil eine Folge von Spekulationen.
Auch Bernd Voß, landwirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, appellierte für die konsequente Umsetzung des Green Deal. Man müsse jedoch darüber nachdenken, wie man den von hohen Getreidepreisen besonders betroffenen Ländern Afrikas und Asiens helfen könne. Voß forderte: „Was wir brauchen, ist eine bessere Verteilung von Lebensmitteln, Finanzhilfen für das Welternährungsprogramm, ein Lebensmittelrettungsgesetz gegen die Verschwendung von Lebensmitteln – 30 bis 40 Prozent landen im Müll – mehr Kreislaufwirtschaft, das heißt flächengebundene Tierhaltung, und ausgewogenere Flächennutzung.“ 70 % der landwirtschaftlichen Fläche würden für den Anbau von Futtermitteln und Kraftstoffen genutzt.
Oliver Kumbartzky, agrarpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, erklärte: „Wir dürfen uns keiner Möglichkeit verwehren, wenn wir die Energie- und Lebensmittelversorgung der Menschen im Land sicherstellen wollen.“ Er begrüßte die jüngste Weichenstellung für ein LNG-Terminal in Brunsbüttel. Das sei gut für die Versorgungssicherheit. Brunsbüttel sei ein idealer Standort für eine Energieimport-Infrastruktur. Dies gelte für LNG, aber auch für Wasserstoff oder andere verflüssigte Energieträger, die ebenso aus Regenerativer Energie gewonnen würden. Mit Blick auf die steigenden Agrarpreise mahnte Kumbartzky: „Die Herausnahme weiterer Flächen aus der landwirtschaftlichen Produktion oder die Absicht, den Anteil ökologischer Landwirtschaft auszuweiten, bedeuten weitere Produktionseinbußen und eine Verknappung der Menge auf den Märkten.“ Das müsse ausgesetzt werden. Den Europäern als hoch entwickelten Industrienationen obliege vor dem Hintergrund drohender Engpässe in Entwicklungs- und Schwellenländern eine besondere ethische Verantwortung.