Aktuell mehren sich Berichte über verstärkte russische Aktivitäten am Frontabschnitt bei Cherson. Einen Eindruck vom Zustand der Landwirtschaft im Oblast gab Dmytro Yunusov, Direktor des Amtes für Landwirtschaftliche Entwicklung und Bewässerung in Cherson, bei seinem in Besuch in Kiel als Mitglied der Delegation, die am 28. November 2024 zu Gast zu Gesprächen bei Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) war.
Die Situation der Bevölkerung und der Zustand der Landwirtschaft in den ehemals und noch besetzten Regionen der Ukraine sei besorgniserregend, schilderte Dmytro Yunusov aus eigener Erfahrung: „Cherson ist Hauptkampfgebiet. Die Stadt wird täglich von Drohnen angegriffen, jeden Tag sterben Kinder, Frauen und Männer.“ Die Delegation besuchte Kiel an dem Tag, als die gesamte Ukraine und die Stadt Cherson unter besonders starkem Beschuss durch Drohen standen.
Fruchtbare Getreide- und Gemüseanbauregion
Die Region Cherson im Mündungsdelta des Dnipro ins Schwarze Meer ist traditionell ein agrarisch starkes Anbaugebiet für Gemüse und Getreide und zählt zu den drei Regionen mit dem größten Anbau von Weintrauben, Sonnenblumen, Melonen und Weizen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde die südukrainische Stadt Anfang März 2022 von den russischen Streitkräften eingenommen und stand fortan unter russischer Besatzung. Angesichts einer ukrainischen Gegenoffensive ab Sommer 2022 zogen sich die Russen Anfang November 2022 aus der Gegend um Cherson zurück, zerstörten dabei einen Großteil der kritischen Infrastruktur.
howka-Staudamms im Juni 2023 wurden 7.000 ha Land überflutet und 25.000 ha Agrarland waren nicht mehr nutzbar. In den nächsten Jahren wird die fehlende Bewässerung den Obst- und Gemüseanbau deutlich erschweren und stellenweise unmöglich machen.
Nach der Besetzung durch die russischen Angreifer hätten 50 % der Landwirte ihre Betriebe verlassen und seien geflohen, berichtete Yunusov. Die Betriebe seien von Vertretern der Besatzungsmacht oder von Kollaborateuren übernommen worden, die auf die Seite des Feindes gewechselt hätten. Viele Landwirte, die das Land verließen oder eine Kooperation mit den Besatzern ablehnten, hätten ihr gesamtes Vermögen verloren. Die Betriebe und Vermögen wurden von den Russen nationalisiert, also verstaatlicht, oder Kollaborateuren übergeben.
Getreide und Maschinen wurden geklaut
Ende 2024 war nach Einschätzung von Yunusov ein Drittel der Landfläche wieder befreit, das waren schätzungsweise 520.000 ha. 1,2 Mio. ha sind weiter besetzt. Das erste Problem, das sich beim Abzug der Russen ergab, war die Verminung der Felder, das betraf die gesamte Fläche. Von den 520.000 ha, die zurückgewonnen werden konnten, wurden 376.000 ha von Minen geräumt.
Was fehlt, ist Technik. Die Russen haben die Betriebe gestürmt, das Getreide aus den Silos abgefahren, die Technik gestohlen und alles auf das gegenüberliegende Dnipro-Ufer geschafft, viele Maschinen wurden dabei vernichtet. Durch den Getreidediebstahl fehlt Geld und vielen Betrieben Saatgut. Die ukrainische Verwaltung hilft, so gut es geht, doch kann die Unterstützung nicht ausreichen, um in Kriegszeiten fehlende Maschinen zu ersetzen.
Business-Modell für Techniküberlassung gesucht
Durch ein Unterstützungsprogramm privater Geber, den Victory Harvest Found, konnten 2024 in der Region 50 Mähdrescher und 15 Traktoren der Firmen John Deere und New Holland zur Verfügung gestellt werden. Victory Harvest wird ausschließlich durch die US-amerikanische Familienstiftung Howard G. Buffett Foundation finanziert.
Die staatliche Unterstützung liegt nach Aussagen des Direktors für Landwirtschaftliche Entwicklung bei 15 bis 25 % der Anschaffungskosten, wenn ukrainische Technik übernommen und im Inland gekauft wird.
„Aber das Maschinenangebot reicht bei Weitem nicht aus“, konstatiert Yunusov. „Wir bräuchten ein Business-Modell für die Überlassung gebrauchter Technik aus dem Ausland, damit es mit der Landwirtschaft hier weitergehen kann. Damit Familienbetriebe mit 50 bis 100 Hektar weiterarbeiten und zur Versorgung beitragen können.“ mbw
Litauen geht gegen Raubgetreide vor
Litauen, die Ukraine und Großbritannien wollen Russlands Handel mit Getreide aus den besetzten Gebieten der Ukraine unterbinden. Um die illegale Ausfuhr über den Transit durch den litauischen Seehafen in Klaipėda zu bekämpfen, soll dort die Herkunft des Getreides festgestellt werden. Der litauische und der ukrainische Landwirtschaftsminister sowie der britische Agrarstaatssekretär unterzeichneten am Rande des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) in Berlin eine Absichtserklärung.
Britische Technik soll dabei unterstützen, den Anbauort des Getreides zu bestimmen. Russland und „andere Länder mit erhöhtem Risiko“ sollen außerdem gesetzlich zum Nachweis der Herkunft von Getreidelieferungen verpflichtet werden.
Das litauische Klaipėda ist ein zunehmend wichtiger Umschlagplatz für ukrainische Güter. Im Herbst 2023 wurde eine Transitroute für ukrainische Agrarexporte durch die westlichen Grenzländer über den Hafen eingerichtet. Ende 2024 warb der litauische Verkehrsminister für den Ausbau des Schienentransportkorridors zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und der Ägäis. age