StartNachrichtenLand & LeuteTrotz 100 Jahren nichts an Frische und Relevanz verloren

Trotz 100 Jahren nichts an Frische und Relevanz verloren

Ausstellungen und Veranstaltungen in Lübeck zu Ehren des Romans „Der Zauberberg“ von Thomas Mann
Von Iris Jaeger
Die Ausstellung startet im Arbeitszimmer von Thomas Mann, wo der weltberühmte Roman „Der Zauberberg“ entstand. Fotos: Iris Jaeger

Ein Berg in der Schweiz, ein Lungensanatorium, ein Besuch – aus diesen scheinbar belanglosen Begebenheiten schuf Schriftsteller Thomas Mann einen 1.000 Seiten umfassenden Weltbestseller. „Der Zauberg“ feiert in diesem Jahr den 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass sind in Lübeck, der Geburtsstadt von Thomas Mann, gleich zwei eindrucksvolle Ausstellungen im Museumsquartier St. Annen zu sehen, ergänzt um ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm.

Mit Betreten der Sanatoriumswelt wird es zeitlos.

Als Thomas Mann 1912 seine Frau Katia im Davoser Lungensanatorium besucht, inspiriert ihn das zu einem kleinen Essay, aus dem Jahre später der Roman „Der Zauberberg“ entsteht. 1924 erscheint das Werk und erlangt als „Magic Mountain“ Weltruhm. In dem Roman wird die Geschichte des jungen Hamburgers Hans Castorp erzählt, der für  drei Wochen Urlaub in ein Schweizer Lungensanatorium fährt und am Ende sieben Jahre dort bleibt. Der Roman spielt am Vorabend des Ersten Weltkrieges „und wäre ohne die Weimarer Republik und die Zeitenwende von 1914 bis 1918, die Thomas Mann erlebt hat, nicht denkbar gewesen“, ist sich Dr. Caren Heuer, Direktorin des Buddenbrookhauses, sicher.

Sieben ist die magische, strukturgebende Zahl, sowohl in dem Roman als auch in der kulturgeschichtlichen Ausstellung „Thomas Manns Der Zauberberg. Fiebertraum und Höhenrausch“ des Buddenbrookhauses, die wegen der Umbauarbeiten im St. Annen-Museum zu sehen ist. Tod, Leben, Begehren, Liebe, Politik und die Fragen nach der Zeit und dem Sinn des Lebens sind die bestimmenden Themen in dem Buch, das selbst nach 100 Jahren nicht an Aktualität verloren hat. Eine Welt im Wandel, Kriege, Hass, Nationalismus weisen Parallelen auf, die die Ausstellung mit aufgreift. Die Exponate stellen auch immer wieder einen Bezug zur Gegenwart her.

Das erste Röntgengerät, seinerzeit eine medizinische Sensation

Die Besucher der Ausstellung begeben sich auf eine Reise durch sieben Ausstellungsstationen mit Beginn im Arbeitszimmer von Thomas Mann, wo die Geschichte entstand. Von da aus geht es mit der Romanfigur Hans Castorp auf Reise nach Davos ins Lungensanatorium Berghof, wo sich die tuberkulosekranke Elite Europas trifft. Von der Diagnose bis zur Therapie erfährt man den realen, aber auch literarisch-medizinischen Kontext der Tuberkulose.

Wie in einem Traum bewegen sich die Besucher durch die Gefühlswelten Hans Castorps. Vier Ausstellungsabschnitte sind seinem Innenleben gewidmet, es geht um Endlichkeit, Tod, Erotik und Begehren, gesellschaftliches Miteinander und Gewalt sowie die Sehnsucht nach einem Sinn. Die Ausstellung endet wie „Der Zauberberg“ mit Gewalt und Krieg. Das Publikum ist aufgefordert, interaktiv eine Antwort auf die Frage „Wird aus diesem Weltfest des Todes einmal die Liebe steigen?“ zu finden.

Die Zeit und das individuelle Erleben von Zeit spielen ebenfalls eine große Rolle in dem Roman und werden in der Kunsthalle St. Annen von der britischen Künsterlerin Heather Phillipson in ihrer Inszenierung „Extra Time“ aufgegriffen. Darin wird die ehemalige Kirche des St. Annen-Klosters zum Portal für Träume und Visionen einer alternativen Gegenwart und möglicher Zukünfte. Phillipson stellt Krähen, wie sie auch an zahlreichen Plätzen in Lübeck zu finden sind, als Hauptakteure in den Mittelpunkt der Installationen.

Krähen in einem Protestcamp – eine der Inszenierungen in der Ausstellung „Extra Time“ von Heather ­Phillipson

Inspiriert durch Stadtspaziergänge und entsprechend ihrer Arbeitsweise, für jeden Ausstellungsort eigene Ausstellungen zu entwickeln, hat sie die Bilder, Geräusche, Gerüche und Geschichten auf sich wirken und in ihre mitunter raumgreifenden Kompositionen einfließen lassen. Die Besucher wandeln über drei Etagen durch mit Orangen übersäte Fußballfelder, zwischen umgedeuteten mittelalterlichen Kruzifixen und Protestcamps. Krähen gelten als intelligent, mystisch und als Vorboten großer Umbrüche. In der Ausstellung kommen sie in Massen zusammen, schwärmen aus, beobachten, beraten, protestieren und träumen.

„,Der Zauberberg‘ ist ein Werk von unglaublicher sprachlicher Schönheit, von erzählerischer Raffinesse, er ist witzig, ironisch, aber auch traurig und von großer philosophischer Tiefe. Trotz der 100 Jahre hat er nichts an seiner Frische und Relevanz verloren. Das wollen wir hier zum Ausdruck bringen – mit dem Ziel, dass die Besuchenden Lust bekommen, den Roman zu lesen oder wieder zu lesen“, so Caren Heuer. Weitere Informationen unter derzauberberg.de

Proträt Thomas Manns von Max Liebermann
Foto: Iris Jaeger
Der Bleistift – Thoman Mann mach das schlichte Schreibgerät zu einem Leitmotiv in seinem Roman.
Foto: Iris Jaeger
Sputumfläschchen mit dem Spitznamen „Blauer Heinrich“, um 1900
Foto: Iris Jaeger
Das gesellschaftliche Miteinander im Sanatorium ist eines der Themen im Zauberberg
Foto: Iris Jaeger
Stahlhelm Deutsches Reich mit Splitterschaden, 1916 – Mit glühendem Gesicht unter dem Helm kämpft Romanfigur Hans Castorp an der Westfront des Ersten Weltkrieges. Sein Überleben bleibt ungewiss.
Foto: Iris Jaeger
Die hitzigen Debatten der intellektuellen Ratgeber von Hans Castorp, Settembrini und Naphta, gipfeln in ein Duell, bei dem Naphta sich selbst tötet, nachdem Settembrini sich weigert, auf ihn zu schießen.
Foto: Iris Jaeger
Krähen stehen bei den Inszenierungen der Künstlerin Heather Phillipson in der Ausstellung „Extra Time“ im Mittelpunkt.
Foto: Iris Jaeger
Krähen auf einer Knochenwippe
Foto: Iris Jaeger
Fliegende Krähen
Foto: Iris Jaeger
Szene aus „Extra Time“ von Heather Philippson
Foto: Iris Jaeger
Foto: Iris Jaeger
Foto: Iris Jaeger


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