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Smart Cattle Day in Sachsen: Digitale Lösungen für Rinderhalter

Innovative Assistenten als Helfer im Stall
Von Lucie Bartl, Christian Blunk, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie
Kälber mit Smart Neckband im digitalen Kälberdorf. Es erleichtert das Finden bestimmter Tiere. Foto: Dorothée Landauer

Der erste Smart Cattle Day bot eine Plattform für digitale Lösungen in der Rinderhaltung. Es wurden die Trends und Techno­logien vorgestellt, die helfen können, die Betriebe nachhaltiger und effizienter zu führen.

Die Digitalisierung in der Landwirtschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung und verändert die Art und Weise, wie Betriebe ihre täglichen Aufgaben bewältigen. In der Tierhaltung setzen immer mehr Landwirte auf innovative Assistenzsysteme, um die Effizienz und das Tierwohl zu steigern. Vor einiger Zeit veranstaltete das Sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) den ersten Smart Cattle Day in Köllitsch. Präsentiert wurden die Ergebnisse und Erfahrungen aus der fast fünfjährigen Projektlaufzeit des Experimentierfeldes „CattleHub“.

Nach der Begrüßung durch Gerold Blunk, Leiter des Referats 74 Tierhaltung des LfULG, übernahm Prof. Dr. Wolfgang Büscher, Lehrstuhl für Tierhaltungstechnik am Institut für Landtechnik der Universität Bonn, das Wort. Als Leiter und Sprecher des Experimentierfeldes „CattleHub“ stellt er die Beweggründe und Ziele dieses innovativen Projektes vor. „CattleHub“ verfolgt das Ziel, verschiedene digitale Techniken in der Rinderhaltung systematisch zu untersuchen und aktiv an deren Weiterentwicklung und Verbesserung mitzuwirken. Der Fokus liegt dabei auf der Integration moderner Technologien, die den Landwirten dabei helfen sollen, Betriebsabläufe zu optimieren und das Tierwohl nachhaltig zu steigern.

Der erste Smart Cattle Day war mit 70 Teilnehmern als wichtiger Treffpunkt für Experten und Praktiker ein voller Erfolg. Foto: Roxana Eberlein

Arbeitsalltag effizienter gestalten

Den Anstoß für das Experimentierfeld „CattleHub“ gab eine Befragung von Landwirten zu ihren Erwartungen an die derzeit auf dem Markt verfügbaren Assistenzsysteme in der Rinderhaltung. In erster Linie wünschten sich die Landwirte eine Verbesserung ihres Arbeitsalltags. Dabei ging es sowohl um physische Entlastung als auch insbesondere um Stressreduktion bei wichtigen Managemententscheidungen. Das Projekt „CattleHub“ konzentriert sich vor allem auf die Strukturierung des Herdenmanagements, um den Arbeitsalltag der Landwirte effizienter zu gestalten. Vier zentrale Bereiche stehen dabei im Mittelpunkt: Melken, Fütterung, Fruchtbarkeitsmanagement und Tiergesundheit.

Aufgabe von Martin Wagner vom LfULG war es, die Wirksamkeit von am Tier angebrachten Assistenzsystemen für die Bewegungs-, Fress- und Wiederkauaktivität sowie zur Ortung zu bewerten. Zusätzlich wurden tier- und technikbezogene Kennwerte ermittelt, die als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl geeigneter Systeme dienen. Die Ergebnisse zeigten, dass alle Betriebe von ihren Systemen überzeugt waren.

Hilfe im täglichen Herdenmanagement

Torsten Schlunke vom Milchhof Diera in Sachsen stellte den Einsatz verschiedener Assistenzsysteme und Digitalisierungsarten in seinem Betrieb mit 1.500 Milchkühe und einer Jahresproduktion von 18 Mio. kg Rohmilch vor. Bei den Milchkühen werden die Pedometer AfiTag II zur Brunsterkennung und der Fullexpert IMA eingesetzt. Bei den Jungrindern wird seit 2022 SenseHub verwendet. Diese Systeme erleichterten Schlunke das Management erheblich, vor allem bei der Brunstkontrolle und der frühen Erkennung kranker Tiere. Für die nahe Zukunft wünscht er sich eine firmenübergreifende Datenplattform und eine stärkere Integration der Assistenzsysteme in die Ausbildung von Nachwuchskräften.

Einen weiteren Einblick in die Praxis gab Matthias Ludwig vom Landwirtschaftsbetrieb Am Bieleboh in Beiersdorf (Oberlausitz). Seit 2015 nutzt der Betrieb Heatime von SenseHub zur Brunsterkennung und Gesundheitsüberwachung. Der Landwirt erläuterte anhand tagesaktueller Daten und Grafiken aus dem Milchviehstall die kontinuierliche Verbesserung der tierbezogenen Kennzahlen nach der Installation von Heatime. Das System half ihm, Schwachstellen in der Tiergesundheit wie Ketose aufzudecken, und führte zu einer Verringerung der Zwischenkalbezeit und der Reproduktionsrate.

Einfluss auf die Tiergesundheit

Marie Lamoth vom Thünen-Institut für Agrartechnologie in Braunschweig berichtete über die Untersuchung des Einflusses von Assistenzsystemen auf die Tiergesundheit. Für die Auswertung wurden Jahresberichte der Milchleistungsprüfung und Gesundheitsdaten aus dem Herdenmanagement von Milchviehbetrieben herangezogen und die tierbezogenen Kennzahlen Merzungsrate, Abgangsursachsen, Gesundheitsmeldungen und Medikamenteneinsatz verwendet. Die Ergebnisse zeigen, dass es nach Einführung der Systeme zu einem Rückgang verschiedener Abgangsursachsen und zu einem Anstieg der Gesundheitsmeldungen von Stoffwechsel- und Verdauungsstörungen kam. Lamoth schlussfolgerte, dass die Einführung von Assistenzsystemen einen positiven Einfluss auf die Dokumentation und Erkennung von Erkrankungen und somit auf die Reduktion von Abgängen hatte. Aufgrund der Ergebnisse kann also davon ausgegangen werden, dass die eingesetzten Assistenzsysteme einen positiven Einfluss auf einige Aspekte der Tiergesundheit hatten.

Kristina Höse von der Technischen Universität Chemnitz stellte die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbewertung von Assistenzsystemen vor. Die Ergebnisse ergänzen die Erkenntnisse aus den Untersuchungen zum Tierwohl und den Betriebsbefragungen. Es wurde deutlich, dass die Nachhaltigkeitsbewertung ein komplexes Thema ist, auch aufgrund bestehender Zielkonflikte.

Ortungs- und Trackingsysteme wurden besonders intensiv untersucht, weil sie eine Schlüsseltechnologie für Verhaltensbeobachtungen und somit zur Tierwohlbeurteilung darstellen. Quelle: Universität Bonn, Christiane Engels

Bewertung von Assistenzsystemen

Die technische Untersuchung der Assistenzsysteme wurde von Christiane Engels von der Universität Bonn vorgestellt. Sie konzentrierte sich vor allem auf die Genauigkeit der Systeme. Zur Ermittlung und Verifizierung der Werte wurden Referenzsysteme entwickelt, unter anderem OpenCattleHub zur Validierung von Indoor-Trackingsysteme. Darüber hinaus wurde mit CattleSense ein Referenzsystem zum Tracken von Verhaltensmustern geschaffen, das mithilfe eines barometrischen Sensors aus Luftdruckänderungen das Abliegen und das Aufstehen von Kühen detektiert.

Maria Trilling von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen stellte unter anderem einen „CattleHub“-Leitfaden vor, der Landwirte bei der Auswahl des für ihren Betrieb geeigneten Assistenzsystems unterstützen soll. Dabei wurden die Aspekte der Investitionsbereitschaft, die Wünsche und Erwartungen der Landwirte sowie die notwendigen Vorlaufzeiten für Ein- und Umbaumaßnahmen der Assistenzsysteme berücksichtigt.

Baulehrschau mit digitalen Innovationen

Die Besucher konnten sich anschließend zu verschiedenen Themen in der Baulehrschau Köllitsch informieren. Im „Digitalen Kälberdorf“ stellten Johannes Kordesee, Franziska Deißing und Jasmin Ba­ranowsky Erfahrungen und Erkenntnisse im Umgang mit digitalen Systemen vor. Sie zeigten, welche Daten sie mit Vitalcontrol (Tieridentifikationssystem mit Thermometer) erfassen können. Dank der elektronischen Ohrmarke, die in die Lebensohrmarke integriert ist, können Daten wie Geburtsgewicht und Rasse schnell erfasst werden. Das Thermometer zeigt zudem die gemessene Körpertemperatur farblich digital an, was eine schnelle und unkomplizierte Kontrolle ermöglicht.

Der „Digitale Zwilling“, der von Christoph Statz vorgestellt wurde, ermöglicht die Simulation des eigenen Betriebs bei anstehenden baulichen Veränderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Arbeitszeit oder geeigneter Installationspunkte für WLan-Hotspots. Voraussetzung hierfür ist die vorherige Eingabe von Grundwerten wie Stallgrundriss, Anzahl der Liegeboxen mit Abmessungen sowie weiterer betriebsspezifischer Einrichtungen und Materialien. Darüber hinaus ist der „Digitale Zwilling“ in der Lage, alle erfassten Daten zu einem Ergebnis zusammenzufassen, was dem Nutzer eine vereinfachte Interpretation und Auswertung der Daten ermöglicht. Projektpartner ist die TU Dresden.

Plastische Darstellung der Datenströme

Das Projekt „Farmmanagement- und Informationssystem“ (FMIS), vorgestellt von Tobias Pohl und Hendrik Burghardt vom LfULG, verfolgt das Ziel, die Datenströme innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebes zu erfassen und dabei die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung zu diskutieren. Die Vorgehensweise wirkt durch die verwendeten Materialien wie Kinderspielteppiche, Spielzeugtraktoren, Miniaturtiere und Luftballons zunächst sehr einfach, ermöglicht aber in hervorragender Weise eine plastische Darstellung der Datenströmen. Dabei werden alle Betriebszweige berücksichtigt, was aufgrund der vielen internen Besonderheiten oft nur der Betriebsleiter überblickt. Für ihn sind die Datenflüsse oft klar und präsent, aber es fehlen die Verschriftlichung und der Blick von außen. Letzteres kann mit dieser Methode zweifelsohne erreicht und damit die Grundlage für die weitere inner- und zwischenbetriebliche Digitalisierung gelegt werden.

Das Projekt „Internet of Live­stock“ (IoL) verbindet die Sensorik am Tier mit der Auswertung wichtiger Produktionsdaten durch digitale Lösungen. Ausgangspunkt ist ein intelligenter Multisensor, der am Tier angebracht wird. Aufgrund seiner Position wird er auch als Necktag bezeichnet. Dieser zeichnet biologische, chemische und physikalische Kennzahlen aus der Haltungsumgebung der Tiere auf und kann sie auch auswerten. Zusätzlich wird die Aktivität erfasst und eine Echtzeitlokalisierung des Tieres durchgeführt. Eine Besonderheit ist es, dass die Energieversorgung des Sensors autark mittels Energy-Harvesting erfolgt. Projektpartner ist die Firma Schneider GmbH & Co. KG aus Großhartau.

Mit Beschleunigungs- und Luftdrucksensor

Mittlerweile gibt es zahlreiche Referenzsysteme zur Bewertung von Sensoren. Dies ist das Ergebnis jahrelanger Forschung im Rahmen des „CattleHub“-Projekts. Beispielsweise ist CattleSense ein Referenzsystem zur Erfassung des Verhaltens einer Kuh, das während der Beobachtungszeit am Halsband der Kuh befestigt wird. Mithilfe eines Luftdrucksensors, eines Gyroskops und eines Beschleunigungssensors können Positionsänderungen der Kuh wie Abliegen, Aufstehen, Fressen und Aufspringen gemessen werden. CattleSense erlaubt dann Rückschlüsse auf die Aktivität der Tiere und liefert Referenzdaten zur Bewertung von am Markt verfügbaren Assistenzsystemen.

CattleSpec wiederum gibt einen Überblick über die Sendeleistung auf freien Frequenzbändern, um Komplikationen bei der Datenübertragung zu vermeiden. Darüber hinaus stellt OpenCattleHub ein Referenzsystem für die Ortungsgenauigkeit von Sensoren mit Ortungs- beziehungsweise Tracking-Funktion dar. Bei den Teilprojekten „CattleTent“ und „CattleWind“ handelt es sich um zwei Messstationen für eine autarke Energieversorgung durch Energy-Harvesting über Photovoltaik und Windenergie.

Mit „CattleTent“ und „CattleWind“ wurden Anwendungsfälle für digitale Assistenzsysteme im Weidebetrieb demonstiert. Die autarke Stromversorgung betreibt neben einer Wasserpumpe und einer Wetterstation auch eine Antenne zur Ortung der Tiere mit einem LTE-Hotspot und lokalem WiFi zur Datenübertragung auf einer stallfernen Weide. Der Informationsstand wurde von PD Dr. Harald Hoppe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Achim Sorg und Martin Wagner vom LfULG vorgestellt.

Interaktives Lernen mit VR-Brille

Beim simulationsbasierten Lernen erfolgt die Wissensvermittlung mittels VR- oder AR-Technologie. Die VR-Version (Virtual Reality) erfolgt mit typischen VR-Brillen durch virtuelles Eintauchen in eine Lernwelt. Dabei können das Lerntempo individuell eingestellt und die Inhalte nach eigenen Interessen ausgewählt werden. Zielgruppe sind Landwirte, aber auch Berufs- und Fachschüler. Ergänzend gibt es die AR-Lernrouten (Augmented Reality) mit standortspezifischen Lerninhalten. Diese Lernrouten erzeugen eine intensive Wirkung und damit ein erfolgreiches Lernerlebnis. Zielgruppen sind hier Auszubildende in der Berufsausbildung, Studierende in der Weiterbildung und durch den hohen methodischen Anspruch auch Lehrkräfte. Das Learning Management System funktioniert über eine Cloud, aber auch App-basiert und als Open Source. Zudem können die Inhalte auch autark ohne ständige Internetverbindung genutzt werden. Das simulationsgestützte Lernen wurde von Maria Trilling und Enrico Billich vorgestellt.

Darüber hinaus präsentierten die Firmen SmaXtec (Pansenbolus) und Lemmer Fullwood ihre technischen Neuheiten im Bereich der digitalen Assistenzsysteme an ihren Ausstellungsständen in der Baulehrschau Köllitsch.

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