StartNachrichtenAgrarpolitikSelbstverständlichkeit als Überraschungseffekt

Selbstverständlichkeit als Überraschungseffekt

Editorial zum Bäuerinnenblatt
Von Mechthilde Becker-Weigel
Manchmal müssen Männer eben die Leiter halten, damit die Frauen hochsteigen können – wie hier für das Titelbild des Bäuerinnenblattes. An der Leiter Christian Arbien, Klaus-Peter Lucht und Julian Haase (v. li.) für die Fotografin Ulrike Baer. Foto: mbw

Es gibt viel zu diskutieren auf der 90. Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes (DBV), die am Dienstag, 14. Juni, und Mittwoch, 15. Juni, in Lübeck stattfindet. Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen und ist seit dem 24. Februar auf einmal Teil der Außen- und Sicherheitspolitik. Trotzdem gibt es auch interne Themen. Ein bemerkenswerter Punkt auf der Tagesordnung könnte TOP 5 werden, der ganz schlicht „Satzungsänderung“ heißt. Der DBV-Verbandsrat hat eine Satzungsänderung auf den Weg gebracht, mit der Unternehmerinnen in der Verbandsarbeit gestärkt und in die Entscheidungsgremien des Verbandes eingebunden werden sollen. Das fünfköpfige Vorstandsgremium des DBV soll um eine Person erweitert werden. Bei Annahme der Satzungsänderung durch die Mitgliederversammlung wird der Weg frei zur Wahl einer Bauernpräsidentin.

Seit seiner Gründung am 17. August 1948 als Dachverband und berufsständische Vertretung der Land- und Forstwirtschaft wird der DBV von Männern geführt und verwaltet. Das ist weder demokratisch noch zeitgemäß. So kann jetzt ein kleiner Punkt auf der Tagesordnung zu einem großen Schritt für den Bäuerinnen- und Bauernverband werden. Denn die Bäuerinnen sind unterrepräsentiert und bislang nicht sichtbar im öffentlichen Verbandsleben. Das bestätigen die wenigen gewählten Vertreterinnen und treten dafür an, dass der Verband weiblicher wird. Ein erster Schritt war am 10. Mai die Einsetzung des Fachausschusses „Unternehmerinnen in der Landwirtschaft” als Beschleuniger auf dem Weg dazu, jünger und weiblicher zu werden. Ein erstes Zeichen, denn 11 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland werden von Frauen geleitet, in Schleswig-Holstein sind es 12 % und der Kreis Plön liegt hier mit 15 % an der Spitze. Das Interesse am Beruf unter den weiblichen Auszubildenden ist groß und ihre Zahl steigt. Mit 22 % war ihr Anteil in Schleswig-Holstein im Jahr 2020 mehr als doppelt so hoch wie 2001 und lag sogar 4 % über dem Bundesdurchschnitt.

Bei unserer Arbeit als Agrarjournalistinnen und -journalisten begegnen wir den Frauen in der Landwirtschaft und in der Agrarbranche auf Augenhöhe und lassen sie in diesem Bäuerinnenblatt besonders zu Wort kommen. Wir haben Interviews mit starken Bäuerinnen und Branchenfrauen geführt, sie gebeten, selbst über ihre Erfahrungen und Erwartungen zu schreiben, und wir berichten über ihre Wege in den Verband. Das klingt diesmal auch etwas anders. Denn wir verzichten beim Schreiben auf das generische Maskulinum, die grammatisch männliche Form, die sagt, dass ein Wort als allgemeingültiger Oberbegriff dient und Frauen unsichtbar „mitgemeint” sind. Manches an dieser Ausgabe des Bäuerinnenblattes wird für die Leserinnen und Leser eine Überraschung sein. Dass Frauen in der Landwirtschaft gut sichtbar sind, muss aber selbstverständlich werden.

Mechthilde Becker-Weigel Foto: Archiv
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