Schöne Bescherung

Kommentar zum Jahresende
Von Mechthilde Becker-Weigel
Die Straße des 17. Juni mit Blick zum Brandenburger Tor am 18. Dezember 2023 Foto: rq

Beim Schreiben dieses Kommentars ist es auf den Tag genau ein Jahr her, dass 8.000 Bäuerinnen und Bauern am 18. Dezember mit 2.000 Schleppern in Berlin vor dem Brandenburger Tor eindrucksvoll gegen die ungerechtfertigten Haushaltskürzungen demonstrierten. Die Überschrift im Bauernblatt lautete „Sparpläne ziehen Riss durch die Ampel-Koalition“. In der Weihnachtszeit vor einem Jahr begannen die Querelen, jetzt ist die Ampel-Koalition perdu. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat seinen Finanzminister und Koalitionspartner Christian Lindner (FDP) wortgewaltig entlassen, seinen politischen Offenbarungseid geleistet und im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Deutschland befindet sich zwischen Glühweinduft, Lebkuchen und Neuwahlen. So weit die Kurzversion. Die Demonstrationen wurden im Januar fortgesetzt. Das Jahr begann mit einer Protestwoche, die wiederum mit einer Großkundgebung in Berlin am 15. Januar ihren Höhepunkt fand. Das waren schnelle und eindrucksvolle Beweise, wie kampagnenfähig die Bäuerinnen und Bauern sind. Die Landwirtschaft hatte auf einmal mit ihren Themen eine nicht gekannte Reichweite in den Medien, Wahrnehmung in der Gesellschaft und Politik. Es brodelte schon lange. Die Dieselsteuer hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.

Die Politik hat sich daraufhin bemüht, einiges nachzubessern und der Bundeskanzler ließ es sich im Juni nicht nehmen, zum Deutschen Bauerntag in Cottbus anzureisen. Am Begegnungsabend „Bauern treffen Bauern“ schlenderte er, umringt von Bodyguards, mit Bauernpräsident Joachim Rukwied. Auf ein Wort der Begrüßung durch den Kanzler haben die Delegierten und Gäste vergeblich gewartet. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) stellte tags darauf das Agrarpaket der Bundesregierung vor, das Rukwied anschließend als „Päckchen“ und unwirksam deklassierte. Die Bäuerinnen und Bauern in Schleswig-Holstein hatten mehr in ihrem Paket, das Ministerpräsident Daniel Günther  (CDU) beim Landesbauerntag am 30. August als Neun-Punkteplan präsentierte. Einige Themen sind noch in der Umsetzung, große Hoffnungen ruhen auf der Entbürokratisierung.

Eine schöne Bescherung an Erkenntnissen und Veränderung der EU-weiten Mehrheitsverhältnisse brachte die Europa-Wahl am 9. Juni. Ein Lichtblick könnte der neue EUAgrarkommissar Christophe Hansen sein. Der Luxemburger kommt aus der Landwirtschaft und bringt neben Stallgeruch ein großes Netzwerk mit. Donald Trump wurde am 5. November zum zweiten Mal Präsident der USA. Es bleibt spannend, was nach seiner Amtseinführung am 20. Januar an Zöllen und Restriktionen folgt. Die EU und die Mercosur-Staaten haben sich am 6. Dezember auf eine Freihandelszone geeinigt. Die Bedenken der Landwirtschaft wegen unterschiedlicher Produktionsstandards werden vielleicht später nachverhandelt. Jetzt hatte die Industrie Vorrang.

Die Bäuerinnen und Bauern haben viel erreicht am Ende des Jahres. Auf Bundes- und EU-Ebene wurde einiges vereinfacht, angefangen mit der Gemeinsamen Agrarpolitik: Die Stilllegung wird weiter ausgesetzt, Betriebe bis 10 ha werden von Kontrollen befreit. Es gibt Freiheiten bei der Mindestbedeckung und Ausnahmen von GLÖZ-Pflichten. Die Pflanzenschutzreduktionsverordnung (SUR) wurde zurück genommen, das Naturwiederherstellungsgesetz (NRL) wurde verbessert, ebenso die Industrieemissionsrichtlinie (IED). Die Bäuerinnen und Bauern haben gemeinsam mit ihrem Berufsverband die Herausforderung angenommen. Ihr Durchsetzungswille überzeugte: Dass sie aufgestanden sind und die disziplinierte Beharrlichkeit gegenüber der Politik führte zum Erfolg. Die Erinnerung an diese unsichere und aufgeregte Weihnachtszeit vor einem Jahr sollte Zuversicht geben, dass Veränderungen notwendig und möglich sind. Mechthilde Becker-Weigel.

WEITERE ARTIKEL
- Anzeige -
- Anzeige -

Meistgeklickt