Er war Maler, Grafiker, Bildhauer, Keramiker sowie Architekt und gilt als eine der markantesten Künstlerpersönlichkeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: der dänische Künstler Jens Ferdinand Willumsen (1863-1958). In Skandinavien als prägender Vertreter der Moderne gefeiert, geriet er hierzulande in Vergessenheit. Ein Umstand, der nun eine Änderung erfährt.
Erstmals widmet sich eine Museumsausstellung in Deutschland diesem Ausnahmekünstler. Drei Monate lang bietet das Museum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf in Schleswig mit einer Ausstellung von knapp 100 Werken die Möglichkeit, Willumsen wiederzuentdecken. „Diese Art der Ausstellung ist absolutes Neuland. Für uns ist es ein großer Augenblick, dass wir diese Ausstellung hier auf Schloss Gottorf zeigen können“, erklärte Dr. Thorsten Sadowsky, wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen und Gottorfs Museumsdirektor, bei einem Rundgang durch Kreuzstall und Reithalle. Wo bis vor Kurzem noch die üppigen Walküren von Joana Vasconcelos die Räumlichkeiten ausfüllten, sind nun Willumsens Arbeiten aus seiner gut 70-jährigen Schaffenszeit zu sehen.
Gottorf sei ein privilegierter Ort, der aufgrund der Geschichte dänische Kunst hier zeigen könne, solle und müsse. „Das gehört zur Identität der Landschaft dazu und wir sehen es hier als vornehme Aufgabe an, das umzusetzen“, so Sadowsky. Möglich wurde diese Ausstellung auch durch seinen Kontakt zur Direktorin des dänischen Willumsen-Museums in Frederikssund, Lisbeth Lund. Hervorgegangen ist dieser Kontakt aus einer Werkschau 2021 in Dänemark, bei der ein Dialog zwischen Willumsen und Ernst Ludwig Kirchner thematisch im Fokus stand. Obwohl sich beide Künstler nie persönlich begegnet seien, habe es viele Gemeinsamkeiten zwischen ihren Arbeiten gegeben, wie sie auch im Buch „Die späten Werke von Ernst Ludwig Kirchner und Jens Ferdinand Willumsen: Natur und Leben in Szene gesetzt (Klassische Moderne)“ zusammengestellt seien. Seinerzeit war Sadowsky Direktor des Kirchner-Museums in Davos und konnte aus seinem Bestand zur Kirchner-Ausstellung in Dänemark beitragen. Derzeit wird das Willumsen-Museum in Frederikssund modernisiert – eine gute Gelegenheit, in der Zeit die Werke nach Deutschland ins Schloss Gottorf zu holen.
Beim Gang durch die Hallen zeigen sich Willumsens große Vielseitigkeit und die Bandbreite seines Könnens, „das alle gängigen Gattungsgrenzen überwindet und einer Einordnung in etablierte Stilrichtungen oder Gruppierungen widersteht“, lautet es in der Ausstellungsbeschreibung. Waren seine frühen Arbeiten vom Naturalismus und Realismus geprägt, änderte sich sein Stil radikal mit den ersten Reisen nach Frankreich und Spanien. Die Begegnung mit der Avantgarde und der französischen Kunst, aber auch seine Bekanntschaft mit Paul Gaugin beeinflussten ihn nachhaltig. Er zog nach Paris, tauchte ein in das trubelige Leben der Stadt. Aber auch das ländliche Frankreich, insbesondere die Bretagne, inspirierte ihn.
Mit dem Besuch des Museo del Prado in Madrid 1889 entwickelte Willumsen eine große Faszination für den griechisch-spanischen Manieristen El Greco, dem er sich über Jahrzehnte verbunden fühlte. Das ist auch seinen Gemälden anzusehen: Grelle Farben, intensive Kontraste, extreme Licht- und Schattensituationen, überformte, verzerrte Körper prägen seine Bilder.
In den 1920er und 1930er Jahren fertigte er einzigartig farbige weibliche Rollenporträts, für die er seine Lebensgefährtin Michelle Bourret immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen ließ, zum Beispiel in die des tanzenden Harlekins. Seine Faszination für Traumstädte wie Venedig oder die Schweizer Bergwelten finden sich in farbintensiven Gemälden wieder, in düsteren Zeichnungen hingegen bringt Willumsen seine tiefe Abneigung gegen die Gräueltaten des Ersten Weltkriegs zum Ausdruck. Gezeigt werden in der Ausstellung Keramiken, darunter auch Urnen, aus Willumsens Zeit als künstlerischer Leiter der Porzellanmanufaktur Bing & Grøndahl. Zu seinen zentralen Werken gehören „Eine Bergsteigerin“, aber auch „Jontunheim“ – ein Gemälde, ergänzt um einen imposanten Rahmen, an dessen oberem Rand die Bergwelten in Emaille noch einmal aufgegriffen werden, die Seiten werden von Zinkreliefs flankiert, die die Gegensätze von Verstand und Gefühl als dualistische Kräfte des Lebens darstellen.
Namensgebend für die Ausstellung und eine Ikone der skandinavischen Moderne ist das monumentale Gemälde „Badende Kinder am Strand von Skagen“ in der ersten von zwei Fassungen – der „Generalprobe“. Eine Collage aus Eindrücken, die Willumsen zwischen 1902 und 1909 während verschiedener Aufenthalte sammelte: im italienischen Amalfi, an der bretonischen Atlantikküste und im norddänischen Skagen. Er macht Fotos von spielenden Kindern am Strand, fängt das Meer, die Wellen und Wolken sowie das Licht in Studien ein, komponiert alles aufwendig in einem Gemälde, von dem er zunächst die Vorarbeit, die „Generalprobe“ anfertigt, bevor ein Jahr später das endgültige Werk „Sonne und Jugend“ entsteht. „Hinter diesem Motiv steht die damals hochmoderne Idee des Vitalismus, einer Lebensform, die für ein neues, ausgewogenes Verhältnis von Mensch und Natur wirbt“, erläuterte Kurator Dr. Ingo Borges die Benennung der Schau. Sie wird ergänzt um das interkulturelle Kooperationsprojekt „dialogW“ deutscher und dänischer Schüler, die sich auf ihre Art und Weise künstlerisch mit dem Werk Willumsens auseinandersetzten. Weitere Informationen unter schloss-gottorf.de