In den meisten Streitkräften ist die Befehlstaktik das oberste Prinzip, in der Bundeswehr die Auftragstaktik. Was ist der Unterschied? Kurz gesagt beschreibt der Befehl den Weg zum Ziel. Der Auftrag benennt das Ziel und gibt Freiheiten bei der Wahl des Weges. Die Auftragstaktik übergibt den Handelnden im Feld Verantwortung für den Erfolg und basiert auf dem Prinzip der Inneren Führung, das die Soldaten zum eigenständigen Denken auffordert. Das setzt Kompetenz voraus. Die Grundsätze von Befehl und Gehorsam bleiben natürlich erhalten. Die Bundeswehr ist kein Debattierklub.
In weiten Teilen der Politik und teils auch in der Verwaltung hat die Befehlstaktik heute Priorität, und sie zieht eine immer engere Führung von Wirtschaft und Gesellschaft nach sich. Unter der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat Brüssel etwa 100 Umweltgesetze verabschiedet, also fast zwei pro Monat. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne)
fährt mit seiner Novelle des Tierschutzgesetzes die Tierhaltung an die Wand, mit dem Zukunftsprogramm Pflanzenschutz den Ackerbau. In Schleswig-Holstein treibt der Maßnahmenplan zur Antibiotikareduzierung Blüten. Dokumentation und Kontrolle erscheinen inzwischen wichtiger als die Arbeit selbst.
Wir fahren im abgesicherten Modus. Beim PC funktionieren in diesem Modus nur noch grundlegende Funktionen. In unserer Wirtschaft funktioniert immer weniger. Große Unternehmen wandern aus. Kleine gehen nicht pleite, sie hören nur auf zu produzieren.
Das Schlimmste ist: Die Politik meint es gut. Sie ist der festen Überzeugung, dass sie dem Bürger hilft, wenn sie ihn möglichst eng führt. Denn so macht er ja weniger falsch. Man kann in dieser engen Führung aber auch ein Demokratiedefizit sehen. Der Autor Harald Martenstein fasst die Lage in harte Worte: „Der Zwilling des autoritären Staates ist der Staat als Alleskümmerer, ein Moloch, der meint, für jedes Detail und winzigste Ungerechtigkeiten zuständig zu sein, und dabei vor Bäumen den Wald nicht mehr sieht. So einem Staat sehen wir gerade bei seiner Entstehung zu.“
Wir haben ein Problem: Eine zu enge Führung der Wirtschaft verhindert echten Aufbruch. „Breit fahren, schmal denken“ – mit diesem Motto walzt der politische Panzer nicht nur die Wirtschaft platt. Dem britischen Historiker Niall Ferguson zufolge gab es mehrere Gründe, warum Europa ab 1450 Großreiche wie China überholte: eine freie Wissenschaft, medizinische Erfolge und das christliche Arbeitsethos, der harte Konkurrenzkampf. Eine politische Befehlstaktik gehörte nicht dazu. Die gab es damals im kaiserlichen China.
Politik ist selten „im Feld“ tätig. Die überhebliche Ansicht, man wisse es am grünen Tisch besser als im Grünen, ist falsch. Es wird Zeit, dass die Politik zur Auftragstaktik zurückehrt, auf die Innere Führung der Beteiligten vertraut und Verantwortung abgibt an die, die die Schlacht um die Zukunft Europas schlagen. Das Erkennen des Problems ist auch hier der erste Schritt zu seiner Lösung.