Sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen, fällt vielen schwer. Dabei gehört der Tod zum Leben dazu und kann auch etwas Erschaffendes haben – sowohl kulturell als auch wirtschaftlich. Den Tod und den Umgang mit ihm in allen seinen Facetten zu beleuchten, ist Thema der Ausstellung „Bestattungskulturen in Lübeck und der Welt. Vom Ruheort zum Coffin Dance“ im Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk in Lübeck.
Die Ausstellung der Sammlung Kulturen der Welt gibt einerseits Einblicke in alte Traditionen und neue Trends der deutschen Bestattungsindustrie. Zugleich veranschaulichen rund 70 archäologische, historische und moderne Exponate aus 25 Ländern alternative spirituelle und humorvolle Umgangsformen mit dem Tod in Asien, Afrika, Lateinamerika und der Südsee. Zu sehen ist auch exklusives Bildmaterial der christlichen, islamischen und jüdischen Friedhöfe Lübecks.
„Uns geht es darum, die kulturelle Vielfalt rund um den Tod darzustellen, die verschiedenen Rituale in den Regionen der Welt und immer wieder auch einen Vergleich zu unserer deutschen und europäischen Sterbe- und Bestattungskultur zu ziehen. Wo gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede?“, erklärt Stella Barsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung Kulturen der Welt (vormals Völkerkunde). Sie führt an diesem Sonntag durch die Ausstellung. Diese ist in drei Themenräume gegliedert.
Foto: Iris Jaeger
Im ersten Raum geht es um den Tod als Übergang in eine vermeintlich andere Welt. Was erwartet uns im Jenseits? Nicht immer wird das Ableben als ein absolutes Ende verstanden, sondern als ein weiterer Schritt in einem ewig währenden Kreislauf von Tod und Wiedergeburt beziehungsweise als Neubeginn eines Daseins als verehrter Ahne.
In einigen Kulturen sind es Tiere, die einen ins Jenseits begleiten wie beispielsweise die Totenvögel auf Madagaskar, Figuren, die als Schutzpatron mit auf den Weg gegeben werden. In anderen werden die Seelen mit einem Boot oder einem Totenschiff ins Jenseits gebracht. Die Vorstellung von Himmel und Hölle sowie dem Jüngsten Gericht ist Teil der christlichen Kultur, während es in der altägyptischen Zeit die Vorstellung gab, dass die Seelen der Verstorbenen im Jenseits gewogen würden. Zu sehen sind Kreuze aus dem Alpenraum, die Sterbenden in die Hand gegeben werden, oder eine Statue des liegenden Buddha, die den Eintritt ins Jenseits symbolisiert.
Foto: Iris Jaeger
Der zweite Raum widmet sich den Ritualen, die die Menschen im Laufe der Zeit entwickelt haben, um ihre Verluste zu verarbeiten: Objekte, mit denen man Kontakt zur Totenwelt aufnehmen oder einen Blick ins Jenseits werfen kann. Zu den Ritualen gehören auch die verschiedenen Formen der Trauerfeiern. Bunt, laut und fröhlich geht es in Mexiko beim Totenfest „Día de los muertos“ zu, das den Tod, aber auch das Leben feiert. Das Gegenteil dazu bilden hiesige Beerdigungen und Trauerfeiern. In einem Video ist der Coffin Dance zu sehen – Sargträger in Ghana betten ihre Tätigkeit in mitreißende tänzerischen Choreografien ein.
Unterschiede gibt es auch in der Trauerbekleidung. Hier im westlichen Europa ist meist Schwarz die Trauerfarbe, im chinesischen Glauben ist es Weiß, in einigen afrikanischen Kulturen sind es bunte Farben oder Brauntöne. Tote zu betrauern und zu feiern erzeugt den Wunsch, Orte der Trauer und Erinnung zu schaffen. Die ägyptischen Pyramiden, der indische Taj Mahal oder auch die im norddeutschen Raum bekannten Stein- und Hügelgräber zeugen vom Verlangen, Bleibendes zu schaffen.
Doch gab und gibt es Gründe für das Nichtbestatten. So gab es im Christentum lange die Tradition, die Gebeine von Heiligen für die Reliquienverehrung zur Schau zu stellen oder, wie beispielsweise in Österreich, Italien oder Tschechien, Knochen in Gebeinhäusern zu präsentieren. Im tibetischen Buddhismus ist es bis heute Tradition, aus Gebeinen Ritualobjekte wie Knochentrompeten oder Schädelschalen zu fertigen. In Deutschland besteht Bestattungspflicht, aber es ist möglich, Teile der Asche in Glaskugeln oder in Schmuck einarbeiten zu lassen.
Foto: Iris Jaeger
Extra für die Ausstellung wurde in Ghana ein Sarg in Form eines Mercedes-Benz gefertigt. Dort werden entsprechend den Berufen der Verstorbenen figürliche Särge gebaut. Fischsärge für Fischer, Flugzeuge für Piloten et cetera. Die Mercedes-Benz-Särge werden häufig für erfolgreiche, wohlhabende Marktfrauen angefertigt, die „Mama Benz“ genannt werden. Denn der Benz ist ein Statussymbol für Erfolg. Statt in einem Sarg bestatten einige Aborigine-Stämme in Australien ihre Toten in von Termiten ausgehöhlten Baumstämmen.
Ähnlich ist der neue Trend der Reerdigung, bei der nach dem Tod der Körper in einem sargähnlichen Behältnis auf Schnittgut (Stroh, Heu und Blumen) gebettet wird und dort vierzig Tage verbleibt. Natürlich vorkommende Mikroorganismen bauen das organische Material ab und verwandeln den Körper in fruchtbare Humuserde. Diese wird auf einem Friedhof in der bodenaktiven Schicht eingebracht, wo sie ihre Nährstoffe an die Pflanzen weiterreichen kann.
Dieser und weitere Trends zeigen, dass sich überall auf der Welt ein Wandel in der Bestattungskultur bemerkbar macht. Mit diesem Wandel und den Folgen zum Beispiel für Friedhöfe beschäftigt sich Raum drei der Ausstellung. Der Rückgang von Erdbestattungen hat deutschlandweit ein Friedhofsterben zur Folge, während See- und Waldbestattungen zunehmen. Auch Kolumbarien (Grabstätten/Mauern/Bauwerke mit Urnenkammern) werden immer beliebter, um Hinterbliebenen keine Arbeit mit der Grabpflege zu machen. Beleuchtet wird auch der Wirtschaftsfaktor der Bestattungsindustrie. Erstmals werden außerdem speziell die Geschichte und Entwicklung der Lübecker Friedhöfe in den Blick genommen, wofür Fotomaterial durch eigens für die Ausstellung in Auftrag gegebene Drohnenflüge ausgewertet wurde. Highlight des Raums ist ein Sarg, in dem man „Probe liegen“ kann.
Foto: SKW/M. Haydn
Kurator und Ethnologe Dr. Lars Frühsorge möchte mit der Ausstellung das Thema Tod enttabuisieren und den Blick vergleichend auf andere Kulturen lenken. Seit 15 Jahren forscht er zu dem Thema und hat auf seinen Reisen Friedhöfe und Bestattungstraditionen in rund 80 Ländern kennengelernt. „Bei einer der ersten Forschungsreisen in einem Bergdorf in Guatemala habe ich mit meiner Gastfamilie eine Beerdigung besucht, die ganz anders war als alles, was ich bisher kannte. Das war erhellend“, erzählt er auf die Frage, was ihn an dem Thema so fasziniert. Auch sei er durch seine Frau zu dem Thema gekommen, die als Krankenschwester täglich mit dem Tod zu tun habe und dadurch eine andere, praktische Sicht auf das Thema als er mit seinem Blick als Kulturwissenschaftler.
Weitere Informationen unter skw.die-luebecker-museen.de und die-luebecker-museen.de/bestattungskulturen
Kurator und Ethnologe Dr. Lars Frühsorge im Kurzinterview
Wie kam es zu der Idee mit der Ausstellung?
Als Forscher bin ich seit zirka 15 Jahren an dem Thema interessiert, habe auf Reisen und bei meinen Forschungen Friedhöfe und Bestattungstraditionen in rund 80 Ländern kennengelernt. So gab es neben den Exponaten der Sammlung Kulturen der Welt auch viel eigenes Material für die Ausstellung.
Die Sammlung Kulturen der Welt hat ja keine eigene Ausstellungsfläche und sucht daher immer Partner für Ausstellungsprojekte. Das Industriemuseum Herrenwyk ist sehr gut für das Thema geeignet, weil wir in der Ausstellung eben nicht nur einen Blick in die weite Welt werfen, sondern auch auf neue Trends in unserer eigenen Bestattungsindustrie.
Sie forschen seit 15 Jahren zu dem Thema, was genau fasziniert Sie daran?
Bei einer meiner ersten Forschungsreisen in einem Bergdorf in Guatemala habe ich mit meiner Gastfamilie eine Beerdigung besucht, die ganz anders war als alles, was ich bisher kannte. Das wahr sehr erhellend. Zu dem Thema bin ich auch durch meine Frau bekommen, für die als Krankenschwester der Tod ein ganz alltäglicher Teil der Arbeitswelt ist. Sie sieht das Thema sehr praktisch, ich mit dem Blick eines Kulturwissenschaftlers. Das kann ein sehr spannender Austausch sein. Denn auch in deutschen Krankenhäusern sterben heute nicht nur Menschen christlichen Glaubens, sondern auch Muslime, Buddhist:innen, Hindus …
Daneben sind es aber auch spannende Begegnungen mit dem Tod, die ich auf meinen Reisen gemacht habe. Das sind universelle Fragen der Menschheit, auf die jede Kultur eigene Antworten gefunden hat. Und der Blick in andere Weltgegenden ist manchmal auch wie ein Blick in unsere eigene Vergangenheit, denn auch hier in Norddeutschland war vor 100 Jahren der Tod noch viel mehr Teil des Alltags. Es wurde zu Hause gestorben und aufgebahrt, der Tod war noch nicht in Krankenhäuser und Pflegeheime verbannt.
Was zeichnet unsere (deutsche, europäische) Bestattungskultur aus und was können wir von anderen Ländern/Regionen/Kulturen lernen?
Ich glaube jeder Mensch muss einen persönlichen Umgang mit seiner Sterblichkeit finden. Der Blick in andere Kulturen zeigt, dass es da sehr unterschiedliche Sichtweisen, Traditionen, Mechanismen der Verarbeitung gibt. Häufig auch einen weniger tabuisierten Umgang mit dem Tod als in Deutschland – nicht bloße Trauer, sondern das Leben des Verstorbenen zu feiern, gerne auch mit einer Prise Humor, das kann uns inspirieren. Und es gibt viele Menschen und Institutionen (Hospiz, Medizin, Bestatter, Kirchen …), die sich wünschen, dass der Tod in unserer Gesellschaft weniger verdrängt wird, dass wir uns zu Lebzeiten mit diesem Thema auseinandersetzen, verschiedene Möglichkeiten erfahren. So kam es auch zu der Ausstellung.
Wie möchten Sie nach Ihrem Tod bestattet werden?
Auch wenn ich als Historiker Grabsteine sehr schätze und all die Geschichten, die sie erzählen, denke ich nicht, dass für mich nach meinem Tod so ein Aufwand betrieben werden soll. Ich finde die Idee der Bestattungswälder sehr schön, weil dort auch mein Vater liegt. Den Verstorbenen zu besuchen, ist dann kein trauriger Gang auf den Friedhof, sondern auch ein schönes Naturerlebnis. Oder eine Seebestattung, ich stelle mir vor, dass sich dann die Asche über alle Weltmeere verteilt. Wer dann an mich denken will, kann es an jedem Strand der Welt tun. Allerdings weiß ich auch durch meine Arbeit, dass Trauer einen Ort braucht und dass vielen Hinterbliebenen bei solchen Bestattungsformen dann doch der ganz persönliche Ort für ihre Trauerarbeit fehlt.
Interview: Iris Jaeger