Für mehr als 40 Personen reicht das Porzellanservice von Ingrid Weilandt. Da heutzutage aber keine oder nur noch sehr selten so große Feiern stattfinden, zu denen das komplette Service gebraucht wird, überlegt sie, es zwischen Familienangehörigen aufzuteilen. Doch vorher ließ sie es noch von Dr. Sophie Borges, Kuratorin im Schloss Eutin, bei einem Porzellangespräch in Augenschein nehmen.
Zum vierten Mal fand diese Veranstaltung statt, die Sophie Borges einmal jährlich anbietet. Dafür können Interessierte, die gern wissen möchten, woher und aus welchem Jahr ihr Porzellan stammt, was es wert sein könnte oder was es kunsthistorisch damit auf sich hat, es einige Wochen vorher bei der Kuratorin anmelden, die sich dann auf Recherche begibt.
Foto: Iris Jaeger
Bei dem diesjährigen Porzellangespräch im Rittersaal des Eutiner Schlosses gab es wieder einige interessante und spannende Hintergrundinformationen zu Manufakturen, in denen die vorgestellten Stücke entstanden sind, zur Entstehungszeit, zu Herstellungsarten, Materialien oder zu der einen oder anderen weiteren Besonderheit. Spannend war es somit nicht nur für die 16 Porzellanbesitzenden, sondern auch für die teilnehmenden Gäste ohne Geschirr.
Für das Service von Ingrid Weilandt konnte die Kuratorin keine gesicherte konkrete zeitliche oder regionale Zuordnung vornehmen, „da keine Prägemarken oder Herstellerkennzeichen auf den Stücken zu finden sind, lediglich Form-, Dekor- und Malernummern. Die Herstellerkennzeichen sind aber für eine klare zeitliche Einordnung unabdingbar“, so Borges. Und doch konnte sie Ingrid Weilandt anhand anderer Merkmale einiges zu ihrem Service erzählen. Da war zum einen das auffällige Dekor, dass neben den bunten „Manierblumen“ auch Reliefelemente enthält. „Diese sind fein und scharfgradig. Auch fühlt sich das Porzellan an sich anders an“, so Borges. Das lasse den Schluss zu, dass es sich um das sogenannte Weichporzellan handele.
Unterschied zwischen Porzellan und Keramik
Porzellan besteht aus Kaolin (auch Porzellanerde, Porzellanton, weiße Tonerde oder China Clay genannt) sowie Feldspat und Quarz. Die Anteile variieren je nach Art des Porzellans. Das Verhältnis der Rohstoffe sowie die Brenntemperatur bestimmen die Härte. Hartporzellan wird bei Temperaturen von 1.400 °C bis zu 1.460 °C gebrannt, Weichporzellan ist ein bei geringer Temperatur – bis maximal 1.350 °C – gebranntes Porzellan von geringerer Festigkeit (also „weich“). Der Unterschied zu Keramik liegt in den verwendeten Rohstoffen und der Brenntemperatur. Keramik wird hauptsächlich aus Ton hergestellt.
Foto: Iris Jaeger
„Diese Art des Porzellans hatte lange Tradition in Frankreich und England im 19. Jahrhundert“, erfuhr das Publikum. „Insgesamt ergibt sich ein geometrisch und symmetrisch aus klaren Formen aufgebauter Eindruck, der an den Klassizismus, also die Zeit um 1800, erinnert“, so Borges‘ Zeiteinordnung. Es könne sein, dass die Urgroßeltern von Ingrid Weilandt ein altes Service gekauft hätten oder es sich um eine Re-Edition des Biedermeier handele. Neben Reliefelementen, Bemalung oder der Porzellanzusammensetzung können auch Merkmale wie Tassenhenkel einen Hinweis auf die Herkunft und das ungefähre Alter geben, wie bei dem Kaffee- und Teeservice der Familie Giesler. Das verfügt ebenfalls über keine Marke, aber: „Anhand der charakteristisch gestalteten Henkel lässt sich das Service der Porzellanfabrik Christian Fischer in Zwickau zuordnen, tätig ab 1845“, so die Kuratorin. Diese Fabrik sei bekannt für eine solide Produktpalette ab den 1850er Jahren. Laut der „Deutschen Gewerbezeitung“ von 1852 wurden die Produkte für die verwendeten Glasurfarben und deren Auftragstechnik sowie für die Serviceformen mit französischen Vorbildern gelobt.
Gerettete Tassen und tanzende Figuren
Foto: Iris Jaeger
Konkrete Angaben gab es für die zwei Mokkatassen von Manuela Gola, die sie aus dem Sperrmüll und somit vor der Zerstörung rettete. Laut Marke stammen sie aus der Heinrich Baensch Porzellanmanufaktur in Lettin, nahe der Stadt Halle an der Saale. Gegründet 1858 entwickelte sich die Manufaktur langsam, erst ab 1868 konnte dort farbiges Porzellan hergestellt werden, ab 1900 wurde man dort international erfolgreich. 1990 wurde die Produktion stillgelegt. 2008 wurden die Markenrechte an Lettiner Porzellan von der Galerie Nord in Halle an der Saale übernommen. Die beiden Tassen stammen aus der Zeit zwischen 1900 und 1930.
Etwas Besonderes stellte auch die Figur „Tanzendes Paar“ von Monika Grindt dar. Vor allem die widersprüchlich anmutende Kleidung der beiden Tanzenden, die nicht zu der Zeit passt, sowie die stilisierten Körper mit gelängten Gliedmaßen fielen auf. Die orangerote Stempelmarke auf Glasur mit „RP“ unter einer siebengezackten Freiherren-Krone verriet der Kuratorin und Porzellanliebhaberin Sophie Borges, dass die Figur aus der Porzellanfabrik Reichsmannsdorf in Thüringen stammt, ab 1946 VEB Porzellanfigurenwerk Gräfenthal.
Foto: Iris Jaeger
Die Figur gehe auf einen großen Trend der 1930er Jahre zurück, als im Stil des Art déco Figuren von tanzenden Damen und Paaren mit eben diesen hochgradig stilisierten Körpern und gelängten Gliedmaßen entstanden. Vergleichbare Objekte der Zeit waren die Figuren des österreichischen Bildhauers und Keramikers Josef Lorenzl, der unter anderem für die Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider tätig war. Noch heute hätten diese Figuren Sammlerwert, allerdings wurden sie mit der Demokratisierung von Waren und Trends 1930 kopiert und massenhaft vertrieben.
Des Weiteren erfuhr das Publikum, was es mit Schleifstrichen auf sich hat, dass Böhmen zwar keine Porzellanhochburg wie Meißen war, aber ein bedeutendes Zentrum für Porzellan- und Glasproduktion mit einem Netzwerk historisch bedeutender Manufakturen und wichtiger Porzellanfabriken in Gießhübel, Pirkenhammer oder Schlaggenwald darstellte. Oder auch dass es sich bei der Marke Königlich privilegierte Tettau (T.) um eine vom preußischen König priviligierte Manufaktur handelte. Seit 1957 gehört Königlich Tettau (Jena) zur bekannten Unternehmensgruppe Seltmann Weiden in der Stadt Weiden in der Oberpfalz.