Dorothea Mangelsen ist Dienstmädchen im Haus Schmielau in Dithmarschen. Von morgens um 5 Uhr bis abends 22 Uhr arbeitet sie hart und steht ihren Herrschaften auch nachts auf Abruf zur Verfügung. Einzige Abwechslung bietet der sonntägliche Kirchgang. Aber Dorothea hat einen Plan, wie sie dem harten, ländlichen Arbeitsleben im 19. Jahrhundert entfliehen will. Mit fiktiven Persönlichkeiten wie der des Dienstmädchens bietet das Freilichtmuseum Molfsee zum Start in die 60. Museumssaison ein neues, digitales Vermittlungsformat, das am Donnerstag vergangener Woche zur Eröffnung vorgestellt wurde.
Mit dem Projekt „Licht.Gestalten – Freilichtmuseum neu erzählt“ ist in elf Häuser ein neues, digitales Erzählformat eingezogen. Dabei richten sich lebensgroße fiktive Persönlichkeiten mittels Beamer und Bildschirm direkt an die Besucher, um aus ihrem Alltag seinerzeit zu berichten. Die in den Projektionen mitwirkenden Darsteller sind Schauspielerinnen und Schauspieler des schleswig-holsteinischen Landestheaters, die historisch kostümiert in Monologen und Dialogen einen Einblick in das Leben der damaligen Haus- und Hofbewohner geben, in deren Denken, Hoffen, Bangen, Freuen und Leiden.
Foto: Iris Jaeger
Auf diese Weise erhalten die Besuchenden Einblicke in die damaligen Lebenswelten und werden Zeugen spannender Dialoge und Gedanken. „Damit werden jetzt die Geschichte, die Geschichten der viele Jahrhunderte alten Häuser im Gelände auf eine ganz neue, innovative Art erlebbar gemacht. Für mich stellt das eine hervorragende Brücke dar, die da zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschlagen wird“, zeigte sich Guido Wendt, Staatssekretär im Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur, begeistert von dem neuen Format. „Es geht dabei nicht nur um Wissensvermittlung, sondern um die Verbindung zwischen Menschen, Zeiten und Perspektiven. Genau das macht Museen relevant. Besonders in einer Zeit, in der wir uns immer die Frage stellen, wie wir Geschichte lebendig erhalten“, so Wendt.
Die Geschichten stimmten auch nachdenklich, „und genau das soll erreicht werden – man fühlt mit, man spricht darüber, und gleichzeitig wird damit auch ein Bezug zur Gegenwart hergestellt, indem die Besuchenden sich fragen, was das alles mit ihnen macht und was es mit ihrem aktuellen Leben zu tun hat. Die digitale Vermittlung übernimmt damit die Funktion des realen Erzählers. Und das ist gerade in heutiger Zeit wichtig“, so Wendt. Auch für Dr. Thorsten Sadowsky, den wissenschaftlichen Vorstand und leitenden Direktor der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, ist es von Bedeutung, historische Welten erfahrbar zu machen. „Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten eine massive Urbanisierung erlebt. Damit verbindet sich häufig eine Vorstellung vom ländlichen Leben, die im hohen Maße romantisch geprägt ist. Die ,gute alte Zeit‘, die die Mühsal, die Schwierigkeiten und Herausforderungen vergessen lässt“, so Sadowsky.
Foto: Iris Jaeger
Wer könne sich heute noch vorstellen, was es bedeute, in einem Haus mit offener Kochstelle ohne Schornstein zu leben? Dass der Rauch mit Absicht im Gebäude verbleiben sollte, um Ungeziefer fernzuhalten? Auch auf diese Weise erfahre man, wo man herkomme, wer man sei und wie sich Dinge, die für uns heute alltäglich seien, auf Basis von damals entwickelten.
Die Geschichte lebendig zu erhalten, dazu hat auch die enge Kooperation mit dem Landestheater unter Leitung der Generalintendantin Schleswig-Holsteinisches Landestheater und Sinfonieorchester, Dr. Ute Lemm, beigetragen. Mit Peter Schanz konnte ein erfahrener Theaterautor gewonnen werden, der sich vor Ort in die Geschichten der Häuser und Menschen eingefühlt und diese in den Drehbüchern für die Filmsequenzen lehrreich, aber unterhaltsam umgesetzt hat. „Sie werden merken, welche sprachliche Feinheit darin steckt, wie viele verschiedenen Ebenen dort inhaltlich gebündelt sind. Genau das hatten wir uns gewünscht“, erklärte Dr. Kerstin Poehls, Direktorin des Freilichtmuseums Molfsee. Die Projektionen unter der Projektleitung von Christina Sachs ermöglichten eine neue Form der Interaktion zwischen den Gebäuden und dem Publikum. Es sei an der Zeit, dem Erzählen historischer Geschichten eine neue, emotionale Ebene hinzuzufügen, so Poehls.
Das Projekt „Licht.Gestalten“ ist Teil der umfangreichen Sanierung und Instandhaltung der Gebäude und des Geländes des Freilichtmuseums, die kurz vor dem Abschluss stehen und für die das Land, der Bund und die EU Mittel in Höhe von 5,9 Mio. € zur Verfügung stellten. Und auch der Förderverein Schleswig-Holsteinisches Freilichtlichtmuseum trug finanziell zur Modernisierung der Inhaltsvermittlung bei. Für Kerstin Poehls eine wertvolle Unterstützung der Arbeit: „Es ist toll, diesen Wind unter den Flügeln zu haben.“