Melanie Heuser lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr auf Sylt. Als eine der wenigen Frauen unter den Seenotrettern ist sie bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) auf dem Seenotrettungsboot „Horst Heiner Kneten“ in Hörnum als Freiwillige tätig. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März erzählt sie über einen dramatischen Einsatz, ihr Ehrenamt und warum sie sich mehr Frauen in der Rettungsflotte wünscht.
An einem Donnerstagabend im Juli ging bei der gelernten Bankkauffrau plötzlich der Alarm los. Mit ihren Kollegen der Hörnumer Station eilte sie sofort zum Hafen an der Südspitze der Nordseeinsel Sylt. Was war passiert? Bei der Seenotleitung Bremen der DGzRS hatte der Skipper einer norwegischen Motorjacht etwa 5 sm westlich von Sylt einen Wassereinbruch gemeldet. Zudem stieg Qualm aus dem Maschinenraum auf. Er befürchtete, das Boot werde gleich sinken. Eine lebensbedrohliche Situation.
„Für uns begann ein Wettlauf gegen die Zeit. An Bord des Havaristen befand sich eine Familie, die Frau schwer seekrank“, erinnert sich Melanie Heuser. Der SAR-Hubschrauber der Deutschen Marine war unterstützend als Erster vor Ort. Er blieb sicherheitshalber bis zum Eintreffen der Rettungseinheiten auf Stand-by. Neben dem Seenotrettungsboot „Horst Heiner Kneten“ wurden die Seenotrettungskreuzer „Ernst Meier-Hedde“ von Amrum und „Pidder Lüng“ aus List zum Einsatzort gerufen. „Doch bei der Positionsangabe hatte sich ein Zahlendreher eingeschlichen. Also fuhren wir zunächst in die komplett falsche Richtung, um erst vor Ort festzustellen, dass etwas nicht stimmte. Mit Volldampf ging es deshalb noch einmal um die halbe Insel herum.“
Foto: Stephan Mühr
Bei der Jacht angekommen, sahen die Einsatzkräfte, dass der Maschinenraum schon über 70 cm mit Wasser vollgelaufen war. Mit vereinten Kräften gelang es den Seenotrettern, das Schiff gerade so zu halten, nachdem sie mehrere mobile Pumpen an Bord gebracht und 2.200 l Wasser abgepumpt hatten. In langsamer Schleppfahrt zwischen der „Horst Heiner Kneten“ und der „Pidder Lüng“ brachten sie die havarierte Jacht schließlich kurz vor Mitternacht sicher in den Hörnumer Hafen. Es sind erfolgreich abgeschlossene Einsätze wie dieser, die Melanie Heuser glücklich machen. Seit 2015 ist sie Seenotretterin mit Herz und Seele. „Das Ehrenamt ist mein Leben“, sagt sie voller Überzeugung. In Kiel geboren, kam sie im Alter von zwei Jahren mit den Eltern und der älteren Schwester auf die Insel, ihr jüngerer Bruder wurde hier geboren. „Mein Vater arbeitete damals als Maschinist auf dem Zollboot ‚Kniepsand’ und war auch ehrenamtlicher Seenotretter“, erzählt sie. Doch sie selbst sei früher nie auf den Gedanken gekommen, dass dieses Ehrenamt etwas für sie sein könnte. Es fehlten ihr schlichtweg weibliche Vorbilder.
„Wollt ihr das wirklich?“
Mit zehn Jahren trat sie bei der Jugendfeuerwehr ein, machte später den Segel- und Sportbootführerschein und lernte tauchen. Heute ist sie Feuerwehrfrau und gehört als Atemschutzgeräteträgerin dem Sylter ABC-Gefahrgutzug an. „Irgendwann fragte mich ein Feuerwehrkamerad, der bei den Seenotrettern ist, ob ich Lust hätte, auch dort mitzumachen“, blickt die 38-Jährige zurück. Weil sie die erste und einzige Frau sein würde und vermutete, dass das für einige Rettungsmänner ungewohnt sein könnte, redete sie Klartext: „Jungs, schnackt beim nächsten Besprechungsabend erst mal untereinander ab, ob ihr das wirklich wollt. Wenn ja, mach‘ ich gern bei euch mit.“
Das Ja ließ nicht lange auf sich warten. „Melli“, wie sie alle nennen, wurde herzlich aufgenommen und wuchs bald in die Gemeinschaft der bis zu zehn Freiwilligen um Stationsleiter und Vormann Michael Petersen hinein. Ganz selbstverständlich wurde sie als eine der ihren aufgenommen, ohne Sonderbehandlung, das war ihr wichtig. Zunächst als Anwärterin nahm sie an den 14-täglich stattfindenden Übungsdiensten und den monatlichen Besprechungsabenden teil. „Außerdem absolvierte ich eine verpflichtende ärztliche Untersuchung, die meine Seediensttauglichkeit bescheinigte, einen Sicherheitslehrgang am Trainingszentrum der DGzRS in Neustadt/Holstein und eine Erste-Hilfe-Schulung“, zählt sie auf. Seitdem stehen regelmäßige Erste-Hilfe-Auffrischungen und umfangreiche Fort- und Weiterbildungen auf ihrem Plan. An Deck der „Horst Heiner Kneten“ übernimmt sie alle Aufgaben, die anfallen: Ausguck besetzen, mit dem Fernglas die See absuchen, Pumpen oder Schleppleine klarmachen, am Funk und bei der Navigation unterstützen. „Zurzeit bin ich außerdem Trainee zur Bootsführerin“, bemerkt sie. Nach Abschluss der Ausbildung wird sie im Einsatzfall die Verantwortliche an Bord sein können und den Blick auf das große Ganze haben.
Frauen in der Minderheit
Auch wenn Frauen seit der DGzRS-Gründung im Jahr 1865 stets ihren Platz bei den Seenotrettern hatten, sich als Ehrenamtliche an Land oder Förderin einbrachten, sind sie als Freiwillige auf den Rettungsbooten noch in der Minderheit. Dabei richtet sich das ständige Bemühen der DGzRS, Freiwillige für das Ehrenamt zu gewinnen, gleichermaßen „an alle Geschlechter“. Mittlerweile sind von den rund 800 ehrenamtlichen Seenotrettern über 50 weiblich. Melanie Heuser würde sich über mehr Frauen an Bord freuen. „Sie können noch einmal andere Blickwinkel, Fähigkeiten und Talente zum Wohle unserer Aufgaben einbringen“, ist sie überzeugt.
Dass jedoch beispielsweise Frauen in der aktiven Familienphase zögerten, ein Ehrenamt anzunehmen, das eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft vorsehe, könne sie verstehen. Für sie selbst sei es ein Glücksfall, einen Partner zu haben, der hauptamtlicher Seenotretter auf Helgoland ist. „Er hat volles Verständnis dafür, dass ich immer auf Abruf bin“, stellt sie heraus. Ebenso ständen ihr der Arbeitgeber und die Bankkollegen zur Seite, wenn sie ad hoc zu einem Einsatz gerufen werde oder an einen mehrtägigen Lehrgang teilnehme. „Ohne die Unterstützung meiner Chefin und des gesamten Kollegenteams ginge es nicht. Sie halten mir den Rücken frei“, unterstreicht sie anerkennend.
Am meisten zu tun haben Melanie Heuser und die Crew in den Sommermonaten. Auf Kontrollfahrten und im Einsatz müssen sie immer mindestens zu dritt an Bord sein. Ihr Revier ist auf der Ostseite der Insel geprägt von ausgedehnten Wattgebieten, auf der Westseite sowie zwischen den Inseln Sylt und Amrum von Zonen mit starker Brandung und Strömung. Alljährlich etwa fünf bis zehn Einsätze, schätzt sie, fallen in der Hauptsaison an. Dann tummeln sich Sportboote neben Surfern, Stand-up-Paddlern und Kitern auf dem Wasser. Hinzu kommen Fischkutter auf Fangreise sowie Ausflugsschiffe und Passagierschiffe, die die Nordfriesischen Inseln und Halligen miteinander verbinden. „Da kann immer etwas passieren. Aber natürlich ist der beste Einsatz der, den wir gar nicht haben, weil das bedeutet, dass niemand in Not geraten ist“, betont sie.
Persönlichkeit ist gewachsen
Seenotretterin zu werden, hat Melanie Heuser bisher keine Sekunde bereut. Das Ehrenamt gebe ihrem Leben einen besonderen Sinn, sei eine feste Konstante, komme, was da wolle. „Und bei den Seenotrettern geht es familiär zu. Wir können uns privat und im Einsatz hundertprozentig aufeinander verlassen. Der Teamzusammenhalt, ebenfalls mit anderen Stationen, ist super. Vielen Menschen ist gar nicht mehr bewusst, wie viel eine solche Gemeinschaft einem geben kann“, meint sie. Deshalb möchte sie eine Lanze für das Ehrenamt bei der DGzRS brechen und interessierte Frauen und Männer, die in Küstennähe wohnen, ermutigen, darüber nachzudenken, es ihr gleichzutun. „Als Seenotretterin bin ich auch in meiner Persönlichkeit sehr gewachsen und habe an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein dazugewonnen“, freut sie sich über einen positiven Nebeneffekt ihres freiwilligen Engagements.




