Hier wurde bereits von der zweitägigen Studienfahrt mit 26 Landwirten und Beratern, organisiert vom Verein für Rinderspezialberatung Dithmarschen, berichtet (Teil 1: Bitte hier klicken). Ziel der Sommerfahrt war es, besonders innovative Kälberhaltungsmodelle zu besichtigen. Im Hinblick auf die neue Kälbertransportverordnung ergeben sich neue Herausforderungen, da Kälber nicht mehr wie üblich nach 14 Tagen, sondern erst (bis auf wenige Ausnahmen) nach 28 Tagen den Herkunftsbetrieb verlassen dürfen. Im Folgenden werden die Besonderheiten der betriebsindividuellen Kälberhaltung von zwei weiteren Milchviehbetrieben in Sachsen dargestellt.
Am zweiten Tag der Studienfahrt besuchte die Reisegruppe die Agro-Produkt GmbH in Leubsdorf zwischen Chemnitz und Freiberg. Die GmbH ist 1993 gegründet worden und beschäftigt derzeit 43 Arbeitskräfte und fünf Auszubildende. Insgesamt werden 1.460 ha landwirtschaftliche Fläche mit durchschnittlich 35 bis 40 Bodenpunkten bewirtschaftet. Rund 21 % der Flächen sind Grünland. Genutzt wird das Grünland aufgrund der Zergliederung und der Hanglage vorrangig für die Weidehaltung tragender Färsen in den Sommermonaten.
Leistung und Tierwohl vereinen
In der 2016 neu eröffneten Milchviehanlage in Leubsdorf werden aktuell zirka 1.200 Kühe mit einer durchschnittlichen Jahresmilchleistung von 11.200 kg pro Kuh sowie 300 Kälber bis zum Alter von vier Monaten gehalten. Gemolken wird in einem 60er Außenmelkerkarussell von Lemmer Fullwood. Die Ställe des Betriebs sind aus Gründen einer verbesserten Tiergesundheit und Fruchtbarkeit bewusst unterbelegt. So bietet die Milchviehanlage eigentlich Platz für bis zu 1.642 Kühe. Dies macht sich unter anderem in einer Lebenstagsleistung von 19,6 kg Milch der abgegangenen Kühe und einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 3,75 Laktationen bemerkbar. Die Remontierungsrate liegt unter 20 %. Die Aufzucht der Jungrinder erfolgt an Standorten im 4 km entfernt liegenden Eppendorf und dem 5 km entfernten Ortsteil Hohenfichte.
Herausforderung Kälberstall in Höhenlage
Aufgrund der Höhenlage von 500 m über NN in Leubsdorf und der damit erschwerten Witterungsbedingungen in den Wintermonaten kam für den Betrieb vor allem aufgrund der Arbeitsplatzqualität nur ein geschlossenes Kälberhaltungssystem infrage. Die beauftragte Baufirma hat die betriebsspezifischen Wünsche berücksichtigt, sodass die einzelnen Abschnitte des Kälberstalls einzigartig und individuell für den Betrieb im Erzgebirge zusammengestellt werden konnten. Der Kälberstall wurde 2016 fertiggestellt und verfügt über ein isoliertes Dach. Die Kälber werden in den ersten zehn Tagen getrennt nach Geschlecht in insgesamt acht Abteilen mit jeweils zweimal sechs Einzelboxen gehalten. Sie werden dreimal täglich über einen Nuckeleimer getränkt (4-4-4 l). Anschließend kommen sie in eine der zwölf Gruppenbuchten auf der anderen Seite des Stalles. Dort erhalten sie ihre Milch über Kälberbars. Das Gebäude bietet Raum für insgesamt 300 Kälber.
Arbeitswirtschaftlichkeit im Vordergrund
Die Abtrennungen der Einzelboxen bestehen aus Kunststoff und erlauben ein einfaches Ausschwenken der einzelnen Elemente. Die Bewirtschaftung aller Einzel- und Gruppenabteile erfolgt von den Traufseiten. Die Bauart des Kälberstalls ermöglicht eine einfache und schnelle Reinigung und Desinfektion der Einzelboxsektionen im Rein-Raus-Verfahren. Während die Traufseiten der Einzelboxabteile durch Tore verschlossen sind, gewährleisten automatische Rolltore an den Gruppenboxen nicht nur die Bewirtschaftung von außen, sondern auch mehr Licht- und Frischluftzufuhr an warmen Sommertagen. Beim Lüftungskonzept setzt der Betrieb auf ein Überdruckbelüftungssystem der Firma Vetvice. Der Stallbau erfolgte ohne zusätzliche Fördermittel und hat rund 2.300 € je Kälberplatz gekostet. Für die Leitung des Jungtierbereichs ist bei der Agro-Produkt GmbH eine Mitarbeiterin hauptverantwortlich zuständig.
Agrargenossenschaft Reichenbach
Am letzten Nachmittag der Studienfahrt traf die Reisegruppe bei der Agrargenossenschaft Reichenbach im Vogtland ein, dem letzten Betrieb der Exkursion. Der Milchviehbetrieb hält am Standort Rotschau rund 1.300 Milchkühe mit einer Milchleistung von 12.500 kg pro Kuh und Jahr. Die Nachzucht von zirka 900 Rindern befindet sich am gleichen Standort. Auf rund 1.700 ha Land mit durchschnittlich 38 bis 40 Bodenpunkten erfolgt die Produktion des Grundfutters. Die Tiere werden in einem 76er Außenmelkerkarussell von DeLaval dreimal täglich gemolken. Das Melkhaus ist unter anderem mit einem Dipproboter sowie Selektionstoren für den automatischen Rücktrieb der einzelnen Kuhgruppen ausgestattet und ermöglicht es dem Betrieb, bis zu 280 Kühe pro Stunde zu melken.
Arbeiten im Zweischichtsystem
Die Arbeit der 22 Arbeitskräfte des Hofes ist über ein zweischichtiges System organisiert. So beginnt die erste Schicht um 6 Uhr und die zweite Schicht um 16 Uhr. Der Schichtwechsel erfolgt während des Melkens. Doch nicht nur beim Melken findet das arbeitnehmerfreundliche System Anwendung, auch die Rinderfütterung sowie die Kälberbetreuung sind in jeweils zwei Schichten aufgeteilt. Lediglich täglich anfallende Arbeiten wie Stallreinigung oder Entmistung erfolgen ausschließlich in der Frühschicht.
Die Kälber werden in den ersten 14 Tagen in Einzeliglus gehalten. Diese stehen unter einem Dachüberstand in unmittelbarer Nähe zum Trockensteher- und Abkalbestall. Anschließend kommen die Kälber bis zum achten Lebensmonat in den Kälberstall, der 2021 fertiggestellt worden ist und über ein großzügiges Platzangebot von über 5 m² je Tier verfügt. Die Gruppenbuchten für Kälber bis zum Alter von drei Monaten weisen jeweils drei verschiedene Bereiche auf: im Stallgebäude einen Fressgang mit Spaltenboden und Gummiauflage, Futtertisch und Tränkeautomat sowie einen mit Stroh eingestreuten Bereich. Daran schließen sich ein eingestreuter Bereich unter freiem Himmel und am Ende ein Großraumiglu an. Erst nach dem Abtränken verlassen die Kälber dieses Abteil und ziehen auf die andere Seite des Kälberstalles in klassische Zweiflächenbuchten. Der Spaltenboden auf dem Fressgang ist auch hier mit einer Gummiauflage ausgestattet. Die große Öffnung des Sheddaches ist mit lichtdurchlässigen Platten versehen, die automatisch geöffnet und geschlossen werden können. Sie erlauben zu jeder Jahreszeit sehr gute Lichtverhältnisse im Stall und zusätzliche Öffnungen für mehr frische Luft im Sommer.
Laufhöfe für alle Jungtiere
Die weitere Jungtieraufzucht findet auf einer Seite in einem der Milchviehställe statt. Dieser Liegeboxenlaufstall ist für jede Jungtiergruppe mit einem außenseitigen Laufhof ausgestattet. Diese sind großzügig unter Berücksichtigung höchster Tierwohlstandards angelegt worden. Insgesamt steht den Tieren eine Fläche von jeweils 8 m² zur Verfügung. Vor den Fressfanggittern wurden Fressplatzteiler installiert, um den Stress vor allem für rangniedere Jungrinder auf ein Minimum zu reduzieren. Der planbefestigte Laufboden des Stalls ist mit einer Gummiauflage versehen und wird mit automatischen Faltschiebern entmistet. Im Jahr 2021 wurde die Agrargenossenschaft Reichenbach Sieger in der Kategorie „Jungrinder“ beim Wettbewerb „Tiergerechte und umweltverträgliche Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren“ in Sachsen.
Kuhkomfort im Milchviehstall
Neben der Jungtier- und Färsenaufzucht ist die Einhaltung besonderer Tierwohlkriterien auch in den Milchviehställen der Agrargenossenschaft Reichenbach hoch angesetzt. So werden alle Außenklimaställe über zusätzliche Ventilatoren belüftet. Die Laufgänge und jegliche Gänge, auf denen Tierverkehr stattfindet, sind wie bei den Jungrindern mit Gummiauflagen ausgestattet. Das Tier-Liegeplatz-Verhältnis beträgt mindestens 1:1, während das Tier-Fressplatz-Verhältnis von mindestens 1,2:1 über weitere Futtertische auf den Laufhöfen sichergestellt wird. Dort befinden sich Kuhbürsten und Tränken in hoher Anzahl sowie Liegeboxen als auch Fressplätze mit Fressplatzteilern. Während die laktierenden Kühe durchschnittlich 8 m² zur Verfügung haben, sind es im Trockensteher- und Abkalbebereich bis zu 12 m² pro Kuh.
Fazit
Am Ende der zweitägigen Studienfahrt sind Landwirte und Berater mit sehr vielen Eindrücken und Anregungen nach Hause gefahren. Auch am zweiten Tag konnten innovative Konzepte in der Kälberhaltung besichtigt werden. Neben einem Rein-Raus-Verfahren in der gesamten Kälberaufzucht hat vor allem das großzügige Platzangebot für die Kleinsten beeindruckt. Dass auch Kälber und Jungtiere vom Zugang zu Laufhöfen profitieren und dieser Komfort nicht erst bei den Milchkühen anfängt, hat die Agrargenossenschaft Reichenbach sehr eindrucksvoll bewiesen. Auf allen Betrieben wurde auf den ersten Blick ersichtlich, dass der Fokus beim Neu- beziehungsweise Umbau der Kälberställe vor allem auf Tierwohl, Tiergesundheit und die Arbeitswirtschaftlichkeit gelegt worden ist.
Teil 1 der Sommerfahrt der Rinderspezialberatung findet sich hier.