In den Schulferien sind es junge Familien, die Urlaub auf dem Bauernhof machen, außerhalb der Ferien vor allem Grundschulklassen, die für einige Tage den Naturerlebnishof Helle in der Gemeinde Thumby auf Schwansen bevölkern. Manchmal kommen Tagesgäste dazu. Kinder und Erwachsene haben hier die Gelegenheit, vieles über heimische Tiere und Pflanzen, gesunde Ernährung und nachhaltiges Bewusstsein zu lernen – und zu entschleunigen.
Die Eigentümerin des 12-ha-Hofes, die pensionierte Ärztin und Psychotherapeutin Dr. Monika von Rantzau, hat den Hof an den Verein „Naturerlebnishof Helle“ verpachtet. Sie wurde gerade pensioniert, als die damaligen Mitarbeiter des Vereins ihren Vertrag nicht verlängern wollten. Zur gleichen Zeit ging ihre Freundin, die frühere Heimat- und Sachkundelehrerin Traute Steinhorst, in Pension. Sie hatte den Hof vor vielen Jahren in ihrer Sabbatzeit kennengelernt und war sofort begeistert.
Seit zwei Jahren wird der Hof von den beiden 67-jährigen Powerfrauen geführt. Unterstützt werden die beiden Chefinnen, die sich noch eine dritte Frau im Stammteam wünschen – am liebsten eine Obstbäuerin mit Lust auf Wohngemeinschaft – von Jahrespraktikanten und Teilnehmern am Freiwilligen Ökologischen Jahr und manchmal von Ehrenamtlichen. Junge Erwachsene mit Fachabitur müssen vor ihrem Studium ein Jahrespraktikum absolvieren. Hier machen sie nicht nur erste Erfahrungen mit Landwirtschaft oder Gartenbau, hier lernen sie auch selbstständiges Leben. „Die jungen Leute kommen als unsichere Kinder und gehen als selbstbewusste junge Erwachsene“, fasst von Rantzau ihre Erfahrungen zusammen. Begehrt ist der Naturerlebnishof Helle als Einsatzstelle für das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ). Längst nicht alle Bewerberinnen bekommen einen Platz.
Keine Angst vor Hühnern
Die beiden FÖJlerinnen Lilli und Marie begleiten die Kinder bei der heutigen Hofrunde. Lilli möchte nach dem FÖJ Veterinärmedizin studieren und anschließend nach Afrika gehen, um in einem Nationalpark zu arbeiten. Marie möchte Gartenbau studieren. Mit den beiden jungen Frauen wartet auch der vierjährige Hofhund Odin mitten im Hof auf die Kinder, denn um 9 Uhr ist Start der Hofrunde. Die Tiere müssen versorgt werden.
Zuerst geht es zu den Hühnern. Wer keine Angst vor pickenden Schnäbeln hat, bekommt Futter in die Hände und darf die Vögel gleich aus der Hand fressen lassen. Dann wird die Luke des Stalles geöffnet. Die Hühner laufen zielgerichtet auf ihre zweibeinigen Futterquellen zu, manche lassen sich auch streicheln. Einige von ihnen haben sogar Namen. Die Hühnerschar ist bunt gemischt. Nur noch wenige Reinrassige gehören zu den Hofhühnern: zwei Brahma-Hennen, ein Italiener-Hahn und eine Araucana-Henne. Alle anderen sind freie Kreuzungsergebnisse.
Martin, Milka und Momo
Beim Füttern erfahren die Kinder manches über die Lebensgewohnheiten der ursprünglich aus Asien stammenden Haustiere und über die verschiedenen Eierfarben. Ihren Extrastall haben die Seidenhühner. Nach dem Füttern werden die Eier eingesammelt. Dann wird Martin aus seinem Stall gelassen. Der Höckerganter geht zurzeit allein auf die Gänseweide. Seine beiden Mädels brüten gerade. Mit Nachwuchs hat es bisher nicht geklappt, aber vielleicht in diesem Jahr? Dann geht es weiter zu den scheuen Laufenten, die in einem mobilen Stall leben.
Reden mit den Ohren
Gekuschelt werden darf dann wieder mit den beiden Eseldamen Milka und Momo. Sie sind längst an ihre kleinen zweibeinigen Besucher gewöhnt und holen sich ihre Streicheleinheiten ab. Bevor gekuschelt werden darf, gibt es Grundinformationen zur Eselkommunikation. „Sind die Ohren nach hinten gerichtet, wollen sie nicht gestreichelt werden“, erklärt eine der FÖJlerinnen. „Sind sie Ohren nach vorn gerichtet, dann schon.“ Dann bekommen die beiden Eseldamen ihr Futter von den Kindern.
Die letzte Station der Morgenrunde sind die elf Schafe auf dem Hof, die nach dem Füttern auf die Weide gelassen werden. Manchmal kommt Hofhund Odin mit, der eines der Schafe, das nach der Geburt von seiner Mutter verstoßen worden war, großgezogen hat. Dann werden die Ställe der Esel und Schafe ausgemistet, der Mist auf den Misthaufen befördert und die Karren gesäubert.
Mischkulturen
Schulklassen kochen anschließend gemeinsam ihr Mittagessen und lernen viel über gesunde Ernährung und den Anbau und die Ernte von Nahrungsmitteln. Altes Wissen wird so ganz nebenbei weitergegeben, über Mischkulturen etwa, die Schädlinge fernhalten, und dass Kartoffeln größer werden, wenn sie zusammen mit Pfefferminze angebaut werden. Der Auslauf der Hühner befindet sich unter Holunderbüschen, die Hühner düngen den Starkzehrer Holunder, der sich dafür als fast komplette Hausapotheke revanchiert. „Die Rinde wirkt schmerzlindernd, die Blätter sind fiebertreibend, die Pollen wirken antibakteriell, die Beeren haben mehr Vitamin C als Orangen“, so die Ärztin. Meist kommen dritte Klassen. „Die haben heimische Tiere und Pflanzen auf dem Lehrplan.“ Für Schulklassen stehen Matratzenlager und Seminarräume zur Verfügung, für Familien Ferienwohnungen. Werbung muss der Naturerlebnishof nicht mehr machen. „Wir sind für 2023 fast ausgebucht“, so von Rantzau.
Entschleunigung
Die Psychotherapeutin weiß um die vielen Überforderten, um Menschen, die mit dem in der Gesellschaft geforderten Tempo nicht mithalten können, die von Burn-out bedroht sind, die aussteigen wollen. Resthöfe könnten so für die Zukunft eine wichtige Anlaufstelle für diese Menschen sein – zum Runterkommen. Eine besonders gefährdete Gruppe seien die Hochsensiblen. Für sie bietet der Hof Helle inzwischen Seminare an. Die Betroffenen sollen lernen, ihre Begabung als Stärke und nicht als Defizit anzunehmen.
Aber auch Umweltbildung spielt eine große Rolle auf dem Hof. „Sie ist Teil unserer Fruchtfolge“, so von Rantzau. Die Landwirtschaftskammer führt Seminare für Permakultur auf dem Hof durch. Auch für Kreative gibt es Angebote wie Filzkurse mit Traute Steinhorst und der Wolle von den eigenen Schafen. Wer die besondere Verbindung zur Natur für ein ganzes Jahr sucht, kann eine Jahrespatenschaft für einen Obstbaum übernehmen und diesen Baum abernten – ein Geschenk, das besonders gern Großeltern für ihre Enkel wählen. „Oft verbinden sie diese Patenschaft mit einem gemeinsamen Ausflug auf unseren Hof.“
Verantwortlich handeln
Mit der realen Landwirtschaft des Jahres 2022 hat der Naturerlebnishof Helle wenig zu tun. Das weiß auch Monika von Rantzau. Ihr geht es um etwas anderes. Kinder sollen von der Emotion ins Handeln kommen. „Wer mitarbeitet, kommt heraus aus dem Besucherstatus, erlebt Selbstwirksamkeit.“ Ob die Kinder später Vegetarier werden, Biofleisch konsumieren oder in der konventionellen Landwirtschaft tätig werden, sei nicht entscheidend. Es gehe vielmehr um bewusstes und verantwortliches Handeln, egal in welchem Bereich. „Ich weiß, dass ein Landwirt Geld verdienen muss, damit er davon leben kann.“