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Schweineproduktion EU-weit auf dem Rückzug

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Im ersten Halbjahr 2022 wurden in der EU fast vier Millionen Schweine weniger als im Vorjahreszeitraum geschlachtet. Die Schweinefleischerzeugung sank um rund 3 %. Die deutschen Schlachtbetriebe produzieren ein Zehntel weniger Fleisch, starke Einbußen verzeichneten auch Belgien und Polen. Das Wachstum in Spanien lässt deutlich nach. Folge der Teuerungen bei den Futtermitteln waren auch rückläufige Schlachtgewichte.

Niedrige Erzeugerpreise bei gleichzeitig hohen Futterkosten haben bereits zum Jahreswechsel 2021/22 sinkende Schweinebestände in der Europäischen Union zur Folge gehabt; dies macht sich nun auch immer stärker in der Verarbeitung bemerkbar. Laut dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) kamen im ersten Halbjahr 2022 in den meldepflichtigen Schlachtbetrieben der Gemeinschaft insgesamt 120,15 Millionen Schweine an die Haken; das waren 3,88 Millionen Tiere oder 3,1 % weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Noch etwas stärker ging die Schweinefleischerzeugung zurück, weil die Tiere bei hohen Futterkosten meist mit einem geringeren Gewicht als üblich in die Schlachthäuser geliefert wurden. Insgesamt 11,33 Mio. t Schweinefleisch wurden in der ersten Jahreshälfte 2022 in den 27 Mitgliedstaaten produziert, was im Vorjahresvergleich einem Rückgang von gut 455.000 t beziehungsweise 3,9 % entsprach.

Langjähriger Tiefstand in Deutschland

Ergebnisse der einzelnen Länder zeigen für Juli, dass sich der Rückgang der Schlachtungen fortgesetzt und teilweise noch verstärkt hat, wozu auch die europaweite Hitzewelle beitrug. Aktuelle Daten zur Entwicklung des Schweinebestandes, der im Mai beziehungsweise Juni weiter verringert wurden, lassen ein im Vorjahresvergleich deutlich kleineres Schlachtschweineangebot für das restliche Jahr erwarten. In ihrer jüngsten Prognose ging die Brüsseler Kommission im Sommer davon aus, dass die EU-Schweinefleischerzeugung 2022 mit rund 22,5 Mio. t das Vorjahresniveau um 1,1 Mio. t oder 4,7 % verfehlen wird. Es dürfte das kleinste Aufkommen seit 2014 werden.

Einen wesentlichen Beitrag zum Rückgang der EU-Schweineschlachtungen und -Fleischerzeugung leistet Deutschland. Eurostat zufolge nahm das Schlachtaufkommen hierzulande im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2021 um 2,33 Millionen oder 8,9 % auf 23,78 Millionen Stück ab. Neben den insgesamt kleineren Tierbeständen auf immer weniger Schweine haltenden Betrieben sorgte auch der schwächere Import von Auslandsferkeln zur Mast in Deutschland für das deutlich kleinere Schlachtviehangebot. Zudem verringerten sich die durchschnittlichen Schlachtgewichte gegenüber der Vorjahresperiode um rund 1,2 kg auf 95,5 kg, was letztlich zu einer um 10,1 % auf 2,27 Mio. t gesunkenen Schweinefleischerzeugung führte. Es zeichnet sich ab, dass die in den deutschen Schlachtunternehmen produzierte Menge an Schweinefleisch 2022 die geringste seit mehr als 15 Jahren sein wird.

Lediglich in zwei EU-Staaten nahm von Januar bis Juni 2022 die Schweinefleischerzeugung noch stärker ab als im Bundesgebiet; das waren die Slowakei mit einem Minus von 12,1 % sowie Rumänien mit 18 %. Auch in anderen Schweinehochburgen der EU bekamen die Schlachtunternehmen spürbar weniger Tiere für die Verarbeitung angeliefert. So wurden in Polen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 mit 9,75 Millionen Schweinen 863.000 beziehungsweise 8,1 % weniger verarbeitet, und in Belgien verringerte sich das Aufkommen um 456.000 Stück oder 7,9 % auf 5,31 Millionen. Für Österreich wurde ein Rückgang von 3,6 % auf 2,47 Millionen geschlachteter Tiere gemeldet. In Frankreich und den Niederlanden gingen die Schlachtzahlen dagegen unterdurchschnittlich stark zurück.

Produktionsanstieg in Spanien verlangsamt

In sieben EU-Staaten wurden entgegen dem negativen EU-Trend jedoch im ersten Halbjahr 2022 mehr Schweine als in der Vorjahresperiode geschlachtet. Dazu zählte auch das größte Erzeugungsland Spanien, wo das Wachstum mit 1,1 % auf 29,05 Millionen Tiere jedoch deutlich unter dem früherer Jahre blieb. Die Schweinefleischerzeugung der Iberer nahm aber wegen zunächst höherer Schlachtgewichte gegenüber den ersten sechs Monaten 2021 noch um 1,6 % auf fast 2,64 Mio. t zu. Seit Juni werden auch in Spanien weniger Schweine als im Vorjahr an die Schlachthöfe geliefert. Die Schlachtgewichte der Tiere weisen in diesem Sommer das niedrigste Niveau seit Jahren auf.

Neben gewissen Tiergesundheitsproblemen geht der steile Anstieg der Futterkosten auch an den spanischen Erzeugern nicht spurlos vorbei, sie treten auf die Bremse.Zudem belastet der starke Rückgang der Schweinefleischexporte um rund 60 % nach China die spanische Schweinebranche, das Land ist Hauptlieferant für die Volksrepublik. Zu den weiteren EU-Mitgliedstaaten mit einer zunehmenden Schweinefleischerzeugung im Betrachtungszeitraum zählten ansonsten nur Länder mit relativ kleinen Schweinebeständen wie Estland, Lettland, Luxemburg, Griechenland, Bulgarien und Irland. age

Marktkommentar, Marktlage und Markttendenz KW 3622

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Einlagern oder verkaufen? Diese Fragen stellen sich viele Landwirte mit Blick auf ihre Getreidevorräte zu Beginn des Monats September. Auf der einen Seite wird mit einer schwachen europäischen Körnermaisernte und erhöhten Futtergetreideimporten gerechnet, auf der anderen Seite hat der Getreideexport aus der Ukraine an Fahrt gewonnen und Russland meldet einen deutlichen Preisrückgang für Weizen durch eine große Ernte.

Seit der Öffnung der ukrainischen Schwarzmeerhäfen für den Getreideexport sind bis zum Ende der Vorwoche 86 Schiffe in See gestochen. Obwohl die Lieferungen damit die Erwartungen übersteigen, wird es noch einige Zeit dauern, bis sich der Angebotsstau in der Ukraine aufgelöst hat. Die Lieferungen gehen derzeit meist in die Türkei oder in die EU. Die Hauptimportländer im Nahen Osten und in Afrika warten anscheinend noch ab und rechnen mit weiter nachgebenden Kursen.

Verdrängt EU-Weizen heimisches Getreide?

Es gibt viele Stimmen, die die große Abhängigkeit dieser Länder von Weizenimporten für ziemlich kritisch halten. Die in den Vorjahren recht günstigen Weizenimporte haben heimische Getreidearten wie Hirse, Mais oder Reis in diesen Ländern verdrängt. Aus der EU sollte auch im laufenden Jahr ein umfangreicher Teil der Weizenernte für den Export zur Verfügung stehen. Im vorigen Jahr wurden jeweils 29 % der Ernte für die menschliche Ernährung und für die Fütterung genutzt. 7 % gingen an die Industrie, unter anderem für Stärke und Biosprit. Für Saatgut wurden 3 % benötigt und als Endbestand blieben 9 %. So konnten 23 % der EU-Weizenmenge im Vorjahr auf den Weltmarkt exportiert werden. Für steigende Weizenpreise spricht eine weltweit sehr rege Nachfrage durch den steigenden Bedarf. Aus China kommen Meldungen über hohe Ertragsausfälle durch eine heftige Dürre. Auch die Landwirte in Argentinien warten auf Regen für ihre Weizenbestände, die im November geerntet werden sollen. Am Terminmarkt in Paris bewegen sich die Weizenkurse seit Wochen im Bereich von 320 €/t. Auch im Handel vor Ort liegen die Gebote seit dem Erntebeginn zwischen 300 und 335 €/t. Vereinzelt wurde auch schon die Marke von 300 €/t unterschritten. Bemerkenswert sind die hohen Trocknungskosten durch die hohen Energiepreise in diesem Jahr.

Hohe Proteingehalt wirklich erforderlich?

Viel Diskussion gab es auch zum Thema Eiweißgehalt im Weizen. Während die einen die Einschränkungen bei der Stickstoffdüngung als Hauptursache für nicht ausreichende Eiweißgehalte sehen, sprechen andere von einer Wechselwirkung zwischen Sortenwahl, Witterung und Ertrag. Da auch in anderen Regionen der Welt die Eiweißgehalte im Weizen unterdurchschnittlich blieben, haben einige Importländer die Anforderungen gesenkt. Dass man für gute Backeigenschaft nicht unbedingt Proteinwerte von über 12 % benötigt, zeigt auch eine Pressemitteilung des Verbandes der freien Bäcker. Die bezweifeln, dass die bisherigen Beurteilungskriterien für die Weizenqualität ausreichen. Entscheidend für gute Backwaren sei nicht der Rohproteingehalt, sondern die Qualität des Kleberproteins (Feuchtkleber). Dieser wird eher durch die Weizensorte beeinflusst. So gebe es eine Reihe von Weizensorten, die mit Mehlproteingehalten von deutlich unter 13 % Rohprotein „sehr gute“ Backqualitäten liefern, auch mit weniger Stickstoffdüngung. Lediglich für die Herstellung bestimmter Weizenbackwaren aus Auszugsmehl würden hohe Gehalte an Kleberprotein benötigt.

Vor dem Hintergrund der aktuell sehr kritischen weltpolitischen Lage sind Prognosen über den weiteren Verlauf der Weizenkurse sehr schwierig. Der Markt reagiert mit empfindlichen Preisausschlägen auf jede neue Nachricht. Die gute deutsche und europäische Weizenernte sorgt dabei für Druck auf die Notierungen. Dagegen wirken die reduzierten Ertragsprognosen für Körnermais. Die schlimmste Dürre seit Jahren wird sich besonders in den wichtigen Maisanbauländern Rumänien, Frankreich, Bulgarien und Ungarn auswirken. Allein in Frankreich und Rumänien werden jeweils 30 % der Vorjahresmenge an Körnermais fehlen.

Marktlage für die Woche vom 5. bis 11.9.2022

Getreide: Die Matif-Weizenkurse gaben in der vorigen Woche wieder nach. Das Angebot aus dem Schwarzmeerraum steigt deutlich an.

Raps: Die Matif-Rapskurse gaben in der Vorwoche nach, konnten sich jedoch noch über der Marke von 600 €/t halten.

Futtermittel: Die Schwankungen der US-Sojakurse setzen sich fort. Sojaschrot bleibt hierzulande weiter sehr teuer.

Kartoffeln: Die Trockenheit erschwert die Rodungen. Die Abreife ist weit fortgeschritten. Der Angebotsdruck erhöht sich.

Schlachtrinder: Das Angebot hat sich etwas erhöht. Die Kurse gaben für Schlachtkühe deutlicher nach als für Jungbullen.

Schlachtschweine/-sauen: Die Kurse sind in der Vorwoche nicht weiter gestiegen, da die Kurse im Fleischmarkt nur zögernd anziehen.

Ferkel: Eine lebhafte Nachfrage hat die Ferkelkurse in der Vorwoche nochmals steigen lassen.

Milch: Die Milchanlieferung nimmt saisonbedingt weiter ab, bleibt jedoch knapp über der Vorjahreslinie.

Schlachtlämmer/-schafe: Hierzulande nimmt das Angebot laufend zu, auch durch Futtermangel. Es gibt Wartezeiten bei der Lieferung.

Markttendenz für die Woche vom 12. bis 18.9.2022

Getreide: Vor allem die Prognose für die russische Ernte wurde deutlich erhöht. Die Exportnachfrage hat sich reduziert.

Raps: Die schwachen Sojakurse und rückläufige Rohölpreise sorgen vorerst für Druck auf die Rapsnotierungen.

Futtermittel: Da derzeit nicht sicher von sinkenden Kursen ausgegangen wird, hat die Nachfrage nach Kontrakten zugenommen.

Kartoffeln: Die Erträge bleiben unterdurchschnittlich, dazu kommen hohe Absortierungen. Vorerst stehen die Kurse unter Druck.

Schlachtrinder: Früh in der Saison dreht sich die Nachfrage von den Schlachtkühen weg hin zu den Jungbullen.

Schlachtschweine/-sauen: Das Schweineangebot bleibt vorerst knapp ausreichend. Der Fleischabsatz bremst jedoch mögliche Preisaufschläge.

Ferkel: Entsprechend den unveränderten Schweinepreisen sind auch die Ferkelpreise in dieser Woche gleich geblieben.

Milch: Experten sehen für die nächsten Monate weiter hohe Preise, vor allem für Spotmilch und Vorprodukte.

Schlachtlämmer/-schafe: Das hiesige Angebot wird durch Lieferungen aus Irland ergänzt. Die Kurse bleiben unter Druck.

Gute Preiserwartungen für Zuckerrüben

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Die Zuckerrübenverarbeitung in den Werken wird trotz der angespannten Situation an den Energiemärkten wie gewohnt stattfinden, das berichtet der Zuckerrübenanbauerverband Schleswig-Holstein in seinem jüngsten Mitgliederrundschreiben. Nordzucker hat beispielsweise im Werk Uelzen von Gas auf andere Energieträger umgestellt, um so die Rübenverarbeitung zu gewährleisten. Die Zucker­rübenauszahlungspreise wurden der freundlichen Marktlage angepasst.

Als Erstes startete die Zuckerrübenfabrik Schladen und hat die Saison am 1. September mit der Annahme von Ökorüben eröffnet. Am 10. September beginnt die Anfuhr in Uelzen und Clauen, gefolgt von Klein Wanzleben am 12. September und Nordstemmen am 13. September. Durch die positive Entwicklung der Zuckerpreise werden auch die Auszahlungspreise für Zuckerrüben deutlich steigen. Dies gilt sowohl für Verträge mit variablen Preismodellen als auch für den Fixpreis inklusive aller Zuschläge für Zuckergehalt.

Als Rübenvergütung und Früh- beziehungsweise Spätliefer­ausgleich werden für Varioverträge aktuell etwa 45 €/t erwartet. Auch der Festpreisvertrag soll von den höheren Markterlösen profitieren und werde nachverhandelt, heißt es in dem Rundschreiben. Eine konkrete Aussage sei aber erst möglich, wenn alle Rüben verarbeitet seien.

Aufgrund des erhöhten Rübenpreisniveaus werden auch der Früh- und Spätlieferausgleich um rund 35 % auf durchschnittlich 1,76 €/t Rüben angepasst.

Nordzucker und der Dachverband Norddeutscher Zuckerrübenanbauer (DNZ) haben sich auf den Mindestpreis für Überrüben der Kampagne 2022 verständigt. Er beträgt alles inklusive rund 31,50 €/t. Allerdings sind hiervon noch die individuellen Frachtkosten zum Bezugspunkt abzuziehen. Mit diesem Preisniveau werden Überrüben in der Kampagne 2022 ähnlich wie Vertragsrüben vergütet. Auch dieser Preis soll nach der Kampagne noch einmal für eine Anpassung nach oben überprüft werden. Je nach weiterem Witterungsverlauf und Ertragszuwächsen würden einzelbetrieblich Überrüben erwartet, so der Zuckerrübenanbauverband Schleswig-Holstein.

Gemäß Liefervertrag besteht keine Lieferverpflichtung für Überrüben an Nordzucker. Eine Verwertung an andere Abnehmer wie Biogasanlagen oder Rindviehbetriebe ist uneingeschränkt zulässig. Die durchschnittliche Bezugspunktentfernung für das Verbandsgebiet liegt bei 47 km. Bei dieser Bezugspunktentfernung liegt der Überrübenpreis bei einem fünfjährigen Durchschnittszuckergehalt im Verbandsgebiet Schleswig-Holstein von 17,5 % unter 25 €/t. bb


WVZ rechnet mit enttäuschender Ernte

Zuckerwirtschaft sieht bundesweite Rübenanlieferung 2022/23 unter Vorjahresmenge

Die diesjährige Zuckerrübenernte in Deutschland dürfte dürrebedingt deutlich kleiner ausfallen als 2021. Davon geht die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ) aus. Nach einer ersten eigenen Schätzung vom 15. August rechnet die WVZ für die anstehende Kampagne mit einer Zuckerrübenanlieferung von 25,44 Mio. t; das wären 3,84 Mio. t oder 13,1 % weniger als die Vorjahresmenge. Der Mittelwert der vergangenen drei Jahre würde um 6,9 % verfehlt. Ausschlaggebend für diese negative Entwicklung ist laut WVZ die Verringerung des Rübenertrages um 14,4 % auf voraussichtlich
70,5 t/ha. Der Dreijahresdurchschnitt beläuft sich auf 76 t/ha. Optimistischer als die WVZ zeigten sich Fachleute vom Monitoring Agricultural ResourceS (Mars) der Brüsseler Kommission, die den Rübenertrag für Deutschland am 22. August auf voraussichtlich 74,6 t/ha veranschlagt hatten.

Der WVZ zufolge wurde das Zuckerrübenareal 2022/23 in Deutschland gegenüber dem Vorjahr um 1,5 % auf 360.643 ha vergrößert. Den Zuckergehalt der Rüben sehen die Experten bei 18,1 %; gegenüber dem Vorjahr wären das immerhin 0,5 Prozentpunkte mehr. Dennoch erwarten die Experten unter dem Strich für 2022/23 nur eine Zuckererzeugung von 4,073 Mio. t; damit würde die Vorjahresmenge um 222.000 t oder 5,2 % verfehlt. Die Kampagne dürfte in den nächsten Wochen starten. „Wir rechnen mit enttäuschenden Ernteergebnissen“, resümierte WVZ-Hauptgeschäftsführer Günter Tissen. Außerdem sei die Zuckerbranche vom Gasmangel betroffen. Ohne eine zuverlässige Energieversorgung könnten die Kunden nur schwer mit regionalem und nachhaltigem Rübenzucker beliefert werden. Zudem seien Zuckerrüben nicht lange lagerfähig, so Tissen. Deshalb müsse in der kurzen und energieintensiven Kampagne zuverlässig ausreichend Energie für die Ernte, den Transport und die Verarbeitung verfügbar sein. „Die Zuckerwirtschaft arbeitet hierfür fieberhaft an standortangepassten Lösungen. Diese bedeuten erhebliche Mehrkosten für die Unternehmen“, betonte der WVZ-Hauptgeschäftsführer. age

„Ex und hopp – nicht mit uns“

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Mehr als 1.500 Repair-Cafés gibt es in Deutschland. Eines von ­ihnen befindet sich im Schleswiger Mehrgenerationenhaus „Tilo“. Am ersten Sonnabend ­eines jeden Monats kommen hier von 14 bis 17 Uhr ehrenamtliche Fachleute und Laien zum Reparieren alter, noch erhaltenswerter und lieb gewonnener Dinge zusammen.

Birger Holst aus Owschlag wuchtet seinen in die Jahre gekommenen Fernseher auf den Tisch. Schnell ist er mit IT-Fachmann und Kommunikationselektroniker Olaf Emke in ein Gespräch über das TV-Gerät vertieft, das irgendwann seinen Geist aufgab. Beide öffnen das Gehäuse und beginnen fachsimpelnd mit der Fehleranalyse. Ist die Netzteilplatine defekt?

Sabine Will kommt mit ihrer Nähmaschine in den Raum und trifft auf Helene Neuß-Aniol. „Was ist mit der Maschine?“, fragt diese. „Da, an dem Handrad ist was fest. Es lässt sich nicht drehen“, zeigt die Busdorferin. Die Fachfrau denkt kurz nach. „Haben Sie die Gebrauchsanweisung dabei?“ Sabine Will nickt. Wenig später machen sich Ehrenamtlerin und Besucherin gemeinsam auf die Suche nach der Lösung des Problems.

Dr. Helmut Vollert (r.) setzt bei der Reparatur seiner Braille-Schreibmaschine auf das Know-how von Lothar Aniol.

Dr. Helmut Vollert hat seine alte Braille-Schreibmaschine mitgebracht. Rund 34 Jahre hat die Punktschriftmaschine auf dem Buckel. Sie ist mit dem Blindenschriftsystem ausgestattet. Mit ihm werden das Alphabet sowie Satzzeichen und Zahlen der Sehenden für Menschen mit Blindheit tastbar dargestellt. Der Richter im Ruhestand erläutert, dass die Maschine dafür nicht mehr alle benötigten Punkte in das eingespannte Papier drücke. Eine anspruchsvolle Herausforderung für Schülerin Franziska und Lothar Aniol, einen Elektroniker für Betriebstechnik. Die zwei begeben sich gespannt auf Fehlersuche. Vol­lert sitzt währenddessen mit seinem Begleiter bei einer Tasse Kaffee auf der Terrasse. In seiner Kindheit erkrankte der Senior am grünen Star und ist mittlerweile erblindet. Andere seien daran gescheitert, den Fehler bei seiner Maschine zu finden, verrät der 83-Jährige. Das Repair-Café sei seine letzte Option. Bereits zum zweiten Mal sei er hier. „Meine 52 Jahre alte, rein mechanische Schreibmaschine haben die Ehrenamtlichen vor zwei Monaten auch wieder flottgekriegt. Das war super!“, lobt er. Der Leiter des Tilo, Ulrich Krusekopf, hat an diesem Sonnabendnachmittag alle Hände voll zu tun. Ab 14 Uhr stand er am Eingang, um den Besucherstrom zu lenken. Telefonisch hatten sich zuvor 16 Frauen und Männer angekündigt, die etwas zu reparieren haben. Nach einer persönlichen Anmeldung kehren sie zunächst im Tilo-Café ein, genießen Kaffee und Kuchen, klönen, bis sie an der Reihe sind.

Helfen statt Wegwerfen

„Seit 2013 gibt es unser Repair-Café. Wir wollen damit ein Zeichen gegen die Wegwerfmentalität in der Gesellschaft setzen und Ressourcen schonen“, informiert Krusekopf und betont: „Es geht hier nicht darum, Dinge nur abzugeben und reparieren zu lassen. Selbsthilfe mit Unterstützung und gegenseitige Hilfe lautet die Devise. So lernen alle voneinander, und der eine oder andere kann vielleicht das nächste Mal schon selbst kleinere Reparaturen ausführen.“

Das Team des Repair-Cafés besteht aktuell aus bis zu 14 Personen, die einen unterschiedlichen beruflichen Background haben und viel Erfahrung und handwerkliches Know-how mitbringen. Eine Garantie für das Gelingen der Reparatur können sie natürlich nicht geben. Ist etwas irreparabel, bleibt jedoch das gute Gefühl, es immerhin probiert zu haben. „Unser Angebot wird toll angenommen. Schon vor und während der Corona-Pandemie sind die Reparaturanfragen stark angestiegen. Das Bewusstsein und die Notwendigkeit für mehr Nachhaltigkeit und weniger Konsum wachsen, gerade in Zeiten von hohen Energiekosten und steigenden Preisen“, gibt er zu bedenken. Übrigens belaste die Hilfe beim Reparieren nicht den Geldbeutel, sondern sei kostenfrei. Werkzeug und Grundmaterial seien vorhanden. Wer mag, könne am Tresen eine Spende hinterlassen.

Birger Holst strahlt über das ganze Gesicht. Nach 90 min vermeldet er: „Mein Fernseher läuft wieder!“ Nachdem Olaf Emke alles durchgemessen hatte und einen Fehler an der Netzteilplatine ausschließen konnte, fand er im Gerät ein totes Insekt. „Die Verunreinigung hat wohl dazu geführt, dass die Powertaste defekt war. Das hat Herr Emke behoben“, erzählt Holst. Sein TV werde er jetzt zum Streamen mit einem Smart-TV-Stick ausstatten und dann als Zweitgerät im Arbeitszimmer nutzen. „Der Nachhaltigkeitsaspekt war für mich ein Grund, heute hierherzukommen. Meine Erwartungen wurden voll erfüllt. Jetzt kann mir der Fernseher die nächsten Jahre gute Dienste leisten und landet nicht auf dem Müll“, resümiert er zufrieden. Auch Olaf Emke freut sich.

Tonnen von Müll vermieden

Seit 2014 gehört er zum Team. „Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn man helfen kann. Als Sohn eines Autoverwerters wurde mir Nachhaltigkeit schon in die Wiege gelegt. Oft sind es einfache Fehler bei den Geräten, die schnell zu beheben sind, wenn man sich auskennt“, bemerkt er. Wie viele Tonnen Müll das Repair-Café bisher vermeiden konnte? „Genau weiß ich das nicht. Aber es sind sicher einige gewesen.“ Ihm blute immer das Herz, wenn er auf einen Recyclinghof komme und die prall gefüllten Container mit den verschrotteten Elektrogeräten sehe. „Etliche davon hätte man bestimmt noch retten können“, meint er nachdenklich.

Helene Neuß-Aniol (r.), von Beruf Archäologin, kennt sich auch mit alten Nähmaschinen bestens aus. Gern hilft sie Besucherin Sabine Will.

Besucherin Sabine Will ist ebenfalls glücklich. Ihre Nähmaschine läuft nach einer Stunde wieder einwandfrei. Helene Neuß-Aniol hat die Unterfadenspannung nachgestellt und sie gesäubert und geölt. „Durch das Studieren der Gebrauchsanweisung fanden wir heraus, dass ich beim Einfädeln immer einen bestimmten Fehler machte. Ich hätte die Anleitung früher lesen sollen“, gesteht sie schmunzelnd. Mit viel Geduld zeigte ihr Helene Neuß-Aniol, wie es richtig geht. Nun will Sabine Will als Erstes ihre kaputte Einkaufstasche nähen.

Und der Pensionär mit der Braille-Schreibmaschine? Nach fast drei Stunden Tüftelarbeit stellt sich heraus: Die meisten Kondensatoren funktionieren wahrscheinlich nicht mehr. Die Helfer benötigen Ersatzteile, die nun besorgt werden müssen. Helmut Vollert wird also wiederkommen. „Wir geben nicht auf und versuchen es beim nächsten Mal weiter“, versichert ihm Lothar Aniol beim Abschied. Weitere Infos unter kibis-sl.de



Birger Holst (li.) ist froh, dass sein mitgebrachter Fernseher dank der kompetenten Unterstützung von IT-Fachmann Olaf Emke wieder läuft.

Fruchtwechsel vornehmen trotz Aussetzung?

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Der Entwurf der Gemeinsame-Agrarpolitik (GAP)-Ausnahmen-Verordnung hat die Bundesratsausschüsse ohne inhaltliche Änderungen passiert und wird demgemäß am 16. September im Bundesratsplenum voraussichtlich unverändert angenommen.

Für die Aussetzung der Stilllegung gilt dann Folgendes:

1. Die Stilllegungsverpflichtung kann im Jahr 2023 auf Flächen mit Anbau von Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen oder Leguminosen (ohne Soja) erbracht werden (die Herausnahme von Mais und Soja beruht auf EU-Recht).

2. Diese Anrechnungsmöglichkeit besteht nicht, wenn der Betriebsinhaber über Flächen verfügt, die sowohl im Jahr 2021 als auch im Jahr 2022 als Brache beantragt waren, und er diese im nächsten Jahr nicht weiterstilllegt.

3. Nummer 1 gilt außerdem nicht bei Beantragung von

a. Eco-Scheme-Brache oder Eco-Scheme-Blühstreifen oder -flächen oder

b. Zweite-Säule-Maßnahmen, die die 4%ige Brache zur Voraussetzung haben.

Neu ist dabei, dass abweichend von Nummer 2 Brachen nicht erhalten werden müssen, die bis einschließlich 2022 als Agrarumwelt- und Klimamaßnahme (AUKM) gefördert wurden und für die die AUKM-Bracheverpflichtung im nächsten Jahr nicht mehr besteht.

Bei der Aussetzung des Fruchtwechsels bleibt zu beachten, dass diese sich nur auf das Jahr 2023 bezieht. Nach dem derzeitigen Stand zur Änderung des deutschen Strategieplans müsste im Jahr 2024 auf allen Flächen ein echter Fruchtwechsel erfolgen (also Wechsel der Hauptkultur und nicht Zwischenfruchtanbau oder Begrünung aus Untersaat), auf denen im Jahr 2023 entweder kein Fruchtwechsel erfolgte oder er durch Zwischenfruchtanbau oder Begrünung aus Untersaat bewerkstelligt wurde. Zwar ist diese Reglung noch nicht sicher. Es verdichtet sich aber, dass es so kommt.

Milchvieh-Futterbau-­Betriebe mit hohem Maisanteil sollten deshalb trotz der Aussetzung des Fruchtwechsels überlegen, bereits im Jahr 2023 zumindest auf einigen Flächen einen Fruchtwechsel vorzusehen, und zwar einen echten Wechsel der Hauptkultur, um nicht im Folgejahr in zu großem Umfang auf Mischkulturen oder andere Kulturen als Mais ausweichen zu müssen.

Die GAP-Ausnahmen-Verordnung

Kurzfristige Auszahlung von rund 135 Millionen Euro

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Die Anpassungsbeihilfe für landwirtschaftliche Betriebe zur Abmilderung insbesondere hoher Energiekosten infolge des Ukraine-Krieges soll bis Ende dieser Woche ausbezahlt werden. Wie das Bundeslandwirtschaftministerium und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) mitteilten, erhalten rund 42.000 Betriebe jeweils höchstens 15.000 €.

Zur Auszahlung kommen insgesamt rund 134,9 Mio. €. Der Rest der Gesamtmittel von 180 Mio. € soll bis Jahresende über die sogenannte Kleinbeihilfe ausgereicht werden.

Löwenanteil entfällt auf Sauenhaltung

Von den 134,9 Mio. € entfällt der Löwenanteil mit knapp 58 Mio. € auf die Sauenhaltung. Das entspricht rund 43 % der zur Verfügung stehenden Mittel. Die Beihilfe erhalten rund 7.750  Sauen haltende Betriebe. Die durchschnittliche Summe liegt bei etwa 7.500 € je Betrieb. Für rund 19.000 Unternehmen mit Mastschweinehaltung werden zusammengenommen 13,4 Mio. € ausgezahlt. Der Durchschnittsbetrag liegt bei 705 € je Betrieb. Auf knapp 2.000 Betriebe mit Masthühnerhaltung entfallen insgesamt rund 12,7 Mio. € oder etwa 6.360 € je Betrieb. 985 Betriebe mit Mastputen bekommen im Schnitt rund 6.190 €. Daneben profitieren Betriebe mit Freilandgemüseanbau von der Anpassungsbeihilfe.

Unterstützung für Gemüseanbauer

Für rund 2.200 Unternehmen mit Industriegemüse weist die SVLFG eine Summe von rund 10,7 Mio. € aus. Im Durchschnitt sind das gut 4.800 € je Betrieb. An rund 2.740 Anbauer von Frischgemüse werden im Schnitt knapp 2.800 € und insgesamt rund 7,7 Mio. € ausgezahlt. Insgesamt etwa 4,7 Mio. € entfallen auf knapp 3.500 Unternehmen mit Intensivgemüse. Das entspricht einem Betrag von durchschnittlich 1.330 €. In der Summe 5,1 Mio. € werden an gut 1.655 Betriebe mit Spargelanbau ausgezahlt. Sie bekommen im Schnitt gut 3.000 €. Auf 4,7 Mio. € beläuft sich der Umfang der Mittel für die Baumobstbauer. Rund 5.440 von ihnen bekommen im Schnitt rund 860 €. Etwa 4.880 Weinbaubetriebe werden mit insgesamt 3,7 Mio. € oder durchschnittlich 760 € unterstützt. Beim Beerenobst sind es 3.265 Betriebe mit jeweils durchschnittlich 704 € und beim Hopfen gut 1.000 Betriebe mit rund 2.500 € im Mittel.

Noch keine Details zur Kleinbeihilfe

Die Anpassungsbeihilfe ist an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft. Als Voraussetzung für die Inanspruchnahme müssen die Betriebe 2021 eine Greeningprämie erhalten haben. Mit der Beihilfe werden etwa 40 % der vom Thünen-Institut im Frühjahr ermittelten Gewinnveränderungen infolge des Ukraine-Krieges in den besonders betroffenen Agrarsektoren kompensiert. Während die Anpassungsbeihilfe ohne Antrag bewilligt und ausgezahlt wird, müssen für die Kleinbeihilfe zwischen dem 1. und 31. Oktober Anträge bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gestellt werden. Die BLE will infrage kommende Betriebe schriftlich informieren, die vom Energiepreisanstieg besonders betroffen waren und 2021 keine Greeningprämien erhalten haben. age

Insgesamt 135 Mio. € sollen diese Woche an Betriebe ausgezahlt werden. Foto: Imago

Keimzelle der Kieler Industriegeschichte

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Still ist es in der ehemaligen Howaldtschen Metallgießerei, wo von 1884 bis 1980 vorwiegend Bronze-, Messing- und Kupferteile für die Schiffe der Howaldtswerke hergestellt wurden. Der ohrenbetäubende Lärm, die Hitze der Öfen und Schmelztiegel, Rauch und Dämpfe der vergangenen Tage sind vorbei, die Geschichte der Metallgießerei ist geblieben und wird im Industriemuseum in Kiel-Dietrichsdorf an der Schwentinemündung bewahrt.

Beim Tag des offenen Denkmals am vergangenen Sonntag hatten Interessierte die Gelegenheit, in diese Geschichte einzutauchen und unter dem Motto „KulturSpur“ auf Spurensuche der Industrialisierung in Kiel zu gehen. Die Geschichte der Howaldtschen Metallgießerei beginnt im Jahr 1835, als August Ferdinand Howaldt eine Maschinenfabrik am Westufer des Kleinen Kiel gründete. 1838 stieg der Kieler Kaufmann Johann Schweffel als Geldgeber mit ein. „Mit Howaldt als Mechaniker,der auf den Schiffen fuhr, die Schweffel gehörten, und Schweffel als Geldgeber kamen Know-how und Kapital zusammen“, erklärt Dr. Constanze Vollborn bei einer Museumsführung. Der Betrieb gilt als Keimzelle für die Industrialisierung in Kiel.

In dieser ersten Produktionsstätte wurde alles hergestellt von Kochgeschirr über Grabkreuze bis zu Eisenbahnwaggons. Bekannt ist das von Wilhelm Bauer entwickelte Tauchboot „Brandtaucher“, das 1850 in der Maschinenfabrik und Eisengießerei Schweffel & Howaldt gefertigt wurde. 1865 wurde die Marinestation von Danzig nach Kiel verlegt. Die Industrie samt Zulieferung und Reparatur richtete sich zunehmend an den Bedürfnissen der Marine aus. Howaldts Sohn Georg hatte 1865 bereits eine kleine Werft in Ellerbek am Ostufer der Stadt errichtet, musste der königlichen Werft weichen und verlagerte sie an die Schwentinemündung in Dietrichsdorf, wo er 1876 die Schiffswerft Georg Howaldt gründetete. Gleichzeitig übernahmen er und seine Brüder Bernhard und Hermann die Firmenleitung der väterlichen Maschinenfabrik und Eisengießerei. Diese verlegten sie 1880 ebenfalls nach Dietrichsdorf, um alle Teile herzustellen, die auf der Schiffswerft gebraucht wurden.

Gießereiwerkzeug und -zubehör

1889 fusionierten beide Betriebe zu den Howaldtswerken. „Wo heute unter anderem die Fachhochschule steht, erstreckte sich das Werksareal über ein gut 60.000 Quadratmeter großes Gebiet bis hin zum Ostuferhafen“, erzählt Constanze Vollborn. Eine Besonderheit der Werftgebäude und der dazugehörenden Werftsiedlung war die Architektur der Gebäude, errichtet nach den Plänen von Heinrich Moldenschardt. „Er gilt als der bedeutendste Architekt des Historismus in Schleswig-Holstein“, erfahren die Teilnehmer. Die Werks- und Werftgebäude waren nicht nur funktional, sondern mit den gemusterten Backsteinwänden und großen Rundbogenfenstern auch schön anzuschauen. Die Werkstätten verfügten über elektrisches Licht, was sie seinerzeit zu den modernsten Betriebsstätten machten. Maschinenhalle, Kesselschmiede, Eisengießerei und Metallgießerei lagen nah beieinander, um fertige Teile schnell zu den Docks bringen zu können, dazu waren die Gebäude durch ein Schienennetz verbunden. Wie funktional Architekt Moldenschardt plante, ist heute noch gut zu erkennen. Der Schornstein der Gießerei stand im Mittelpunkt des quadratischen Gebäudes. Um ihn herum waren die Gussöfen angeordnet, die erst später mit Abzugshauben versehen wurden. Zugleich diente der Schornstein als Stütze für das Walmdach. Im Zuge der Sanierung 2003 bis 2006 wurde der außen liegende gemauerte Schornstein durch eine Cortenstahl­attrappe ersetzt.

Die Arbeit in der Gießerei war hart und ungesund, Arbeits- und Lärmschutz sowie Schutzkleidung waren nicht gefordert und auch nicht Teil der Ausrüstung. Das weiß auch noch Rudolf Schlowinski, der als Former von 1956 bis 1962 dort in der Gießerei arbeitete. „Die Former waren die wichtigsten Mitarbeiter, deren Können beim Herstellen der Gussformen gefragt war“, erzählt er und erinnert sich an die Tage, wenn es in der Werkhalle beim Zinngießen „Flocken schneite“. Speziell aufbereiteter Sand wurde in Formkästen gepresst, die in der Werkstatt aufgereiht wurden, um das zuvor in den Schmelztiegeln geschmolzene Metall hineinzugießen. Schutzkleidung wurde erst 1960 gestellt.

Rudolf Schlowinski arbeitete sechs Jahre in der Metallgießerei

Am 24. Oktober 1956 begann mit 120 Tagen Dauer der längste Streik der Metallarbeiter in Schleswig-Holstein. Zu den 15 Betrieben, in denen mehr als 18.000 Mitarbeiter in den Ausstand traten, gehörten auch die Howaldtswerke in Kiel. Dort musste sogar der für den 31. Oktober angesetzte Stapellauf eines deutschen Frachtschiffes aufgrund der Arbeitsniederlegung abgesagt werden. Die Firmenleitung nutzte den Streik, um die Anlagen in der Metallgießerei zu erneuern und die Öfen von Koks auf Öl umzustellen.

1980 wurde der Betrieb endgültig eingestellt und die Gießerei geschlossen. Viele der Gebäude und auch die Anbauten wurden abgerissen, einzig das Gießereigebäude ist erhalten und bringt die Moldenschardt-Backsteinarchitektur durch die Einzelstellung neben der FH gut zur Geltung. Der 2003 gegründete Verein Industriemuseum Howaldtsche Metallgießerei sorgte mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und des EU-Förderprogramms Urban II für die denkmalgerechte Sanierung des Gebäudes. 2007 eröffnete darin das Museum, das bis 2019 vom Verein betrieben wurde.  Anfang 2020 übernahm das Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum die Howaldtsche Metallgießerei. Neben Gebäudeführungen finden dort auch Gussvorführungen für Erwachsene, Kinder und Schulklassen sowie Gussworkshops statt. Weitere Informationen unter kiel.de

Fotos: Iris Jaeger
Fotos: Iris Jaeger 


Vorsicht vor Getreideviren durch Blattläuse

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Zu den ökonomisch wichtigsten Getreideviren gehören das Gelbverzwergungsvirus der Gerste (Barley Yellow Dwarf Virus – BYDV) und das Weizenverzwergungsvirus (Wheat Dwarf Virus – WDV). Zu den Wirtspflanzen beider Getreideviren gehören eine Vielzahl an landwirtschaftlichen Kulturpflanzen und auch Wildgräser aus der Familie der Poaceae (Süßgräser). Zur Ausbreitung und Übertragung sind diese Viren überwiegend auf tierische Vektoren angewiesen. Der Artikel beschreibt, worauf zu achten ist, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Bei der Übertragung von Gelbverzwergungsviren nehmen die Getreideblattläuse wie die Große Getreideblattlaus sowie Hafer- oder Traubenkirschlaus eine herausragende Stellung ein. Überträger des Weizenverzwergungsvirus ist die Zwergzikadenart Psammatettix alienus.

Durch die Vielzahl der potenziellen Wirtspflanzen sind die Viren ständig in der unmittelbaren Nachbarschaft unserer landwirtschaftlichen Kulturpflanzen gegenwärtig. Das Auftreten der Vektoren ist aber vornehmlich von nicht vorhersehbar wechselnden Umweltverhältnissen abhängig. Daher sind auch die Ausbreitung im Herbst beziehungsweise das Risiko möglicher ertragsrelevanter Übertragung von Getreideviren nur schwer kalkulierbar.

Insbesondere bei Herbstinfektionen am jungen Wintergetreide kommt es zu dramatischen und irreparablen Krankheitsverläufen, welche zwangsläufig auch zu starken Ertrags- und Qualitätseinbußen an infizierten Pflanzen führen. Eine direkte Bekämpfung des Virus ist nicht möglich, daher steht die Verhinderung der Virusübertragung absolut im Vordergrund. Auch wenn genauere Prognosen über die jährliche Gefährdung der Getreidekulturen nicht möglich sind, sollte keinesfalls ein voreiliger und prophylaktischer Insektizideinsatz aus Angst vor möglichen Herbstinfektionen erfolgen. Durch Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen, möglicher Risikofaktoren und die Durchführung regelmäßiger Bestandeskontrollen können mögliche Risiken wirtschaftlicher Schädigungen durch Getreideviren größtenteils ausgeschlossen werden.

Typische Symptome des Gelbverzwergungsvirus – gestauchter Wuchs und vergilbte Blätter (Foto oben). Oftmals sind nur wenige Einzelpflanzen betroffen, sodass keine relevanten Ertragsausfälle drohen. In Jahren mit warmer Herbstwitterung, welche eine bessere Vermehrung der Blattläuse und damit einhergehende Verbreitung der Viren ermöglichen, können auch größere Befallsnester auftreten (Foto unten).

Was sind wichtige Virusquellen?

Ausfallgetreide, Zwischenfrüchte – vor allem Rauhafer, Mais und andere Gräser, auch Wildgräser – dienen Getreideblattläusen als „grüne Brücke“ in den Sommermonaten. Die Wirte dienen allerdings auch als wichtige Virusreservoirs. Getreidebestände in unmittelbarer Nachbarschaft von möglichen Virusquellen haben daher ein deutlich höheres Gefährdungspotenzial. Sind Ausfallgetreide und Co. mit Viren belastet und wechseln die geflügelten Blattläuse im Spätsommer beziehungsweise Herbst den Wirt und fliegen in die gerade frisch auflaufenden und für Blattläuse sehr attraktiven Getreidebestände, so kommt es zwangsläufig zur Virusübertragung. Dabei handelt es sich um die sogenannte Primärinfektion, die sich kaum verhindern lässt, da das Virus beim Saugvorgang an jungen Getreidepflanzen schon nach wenigen Stunden übertragen wird. Gleichzeitig beginnt die geflügelte Blattlaus mit der Vermehrung.

Die Herbstwitterung ist entscheidend

Eine lang anhaltende warme Herbstwitterung beziehungsweise Spätsommerwetter mit möglichst vielen Tagen mit Temperaturen über 12 bis 15 °C sind sehr förderlich für die Blattlausvermehrung. Die Nachkommenschaft verbreitet das Virus auf die unmittelbar benachbarten Getreidepflanzen (Sekundärinfektion), und es kommt zu den typischen Virusnestern als Schadsymptom. Jedes Virusnest ist auf eine im Herbst eingeflogene infizierte Blattlaus zurückzuführen. Je wärmer die Herbstwitterung ist und je länger sie dauert, desto intensiver ist die Vermehrung und desto größer sind damit auch die Virusnester. Frühsaaten im September haben daher ein deutlich höheres Gefährdungspotenzial als spätere. Je früher der Bestand aufgelaufen ist, desto wahrscheinlicher ist auch eine frühe Besiedlung durch Blattläuse und die Gefahr einer stärkeren Blattlausvermehrung. Des Weiteren kommt es an Waldrändern, Baumreihen, Knicks und in windgeschützten Bereichen häufig auch zu einer stärkeren Blattlausvermehrung und damit einhergehenden größeren Befallsnestern.

Eine Blattlausvermehrung wird in geschützten Schlagbereichen begünstigt. Während die geflügelten Blattläuse häufig gut zu erkennen sind, befinden sich erste kleinere Blattlauskolonien oft versteckt in den eingerollten Blättern oder auf der Blattunterseite.

Auch Zikaden sind Virusüberträger

In den vergangenen Jahren waren im Herbst zunehmend auch Zikaden in den bereits aufgelaufenen Getreidebeständen unterwegs. Im Vergleich zu Blattläusen sind Zikaden, vor allem bei höheren Temperaturen, deutlich mobiler. Häufig werden mehrere Getreidepflanzen hintereinander in einer Saatreihe infiziert, indem die Zikade von Pflanze zu Pflanze springt. Durch die hohe Mobilität der Zikaden sind diese auch sehr schreckhaft und insektizide Maßnahmen oft unwirksam.

Vorbeugende Maßnahmen beachten

Aus den Risikofaktoren ergeben sich auch zwangsläufig die wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen. Dazu gehören insbesondere die Vermeidung zu früher Saattermine und die konsequente Beseitigung potenzieller Virusreservoirs, zum Beispiel die Bekämpfung von Ausfallgetreide. In den Landessortenversuchen Wintergerste stehen seit einigen Jahren auch Sorten mit einer Toleranz gegenüber dem Gelbverzwergungsvirus, welche auf die Einkreuzung des Resistenzgens „yd2“ zurückzuführen ist. Als Vertreter resistenter Sorten gegenüber Gelbverzwergungsviren standen im vergangenen Prüfjahr die Sorten ,Sensation‘ und ,KWS Exquis‘. Die Sorte ,Sensation‘ besitzt zusätzlich auch die doppelte Gelbmosaikvirus-Resistenz. Im mehrjährigen Vergleich schneiden beide Sorten ertraglich leicht unterdurchschnittlich ab. In deutschlandweiten Versuchen mit stärkerem Befall mit Gelbverzwergungsviren stechen die Sorten wiederum positiv hervor und sind daher in Problemregionen mit regelmäßigem Auftreten von Viruskalamitäten eine ernst zu nehmende Anbauoption.

Bestandeskontrollen nicht vergessen

Wichtig ist es, die Bestände nach dem Auflaufen, spätestens ab dem Zweiblattstadium, regelmäßig an mehreren Stellen zu kontrollieren. Besonders effektiv ist eine Bestandskontrolle an einem sonnigen Tag. Blattläuse sind dann besonders gut auf den Blättern zu erkennen. Sie schimmern durch die Blattfläche hindurch. Zur Ermittlung des Blattlausbesatzes sind an fünf zufällig ausgewählten Stellen im Schlag jeweils zehn Getreidepflanzen auf das Vorhandensein von Blattläusen zu überprüfen. Es empfiehlt sich, alle Flächen (auch die später aufgelaufenen Saaten) in regelmäßigen Abständen bis zum Vegetationsende zu kontrollieren. Eine Behandlung mit einem zugelassenen Insektizid sollte daher nur erfolgen, wenn ohne große Mühe Blattläuse zu finden sind. Bekämpfungsschwelle: Frühsaaten 10 % mit Blattläusen befallene Pflanzen; Normalsaaten 20 % befallene Pflanzen, um eine mögliche sekundäre Ausbreitung der Getreideviren im Bestand zu verhindern.

Ausfallgetreide (Foto oben), Zwischenfruchtmischungen (vor allem Rauhafer), missglückte Zwischenfrüchte mit viel Ausfallgetreide, Mais (Foto unten) und andere Wildgräser dienen als wichtige Virusquellen. Von hier aus können sich geflügelte Blattläuse mit dem Virus beladen, fliegen anschließend in die auflaufenden Getreidebestände und übertragen das Virus beim Saugen auf die jungen Getreidepflanzen. Flächen in unmittelbarer Nähe von möglichen Virusreservoirs sind daher besonders gefährdet.

Welche Insektizide gibt es?

Kommt es bei günstiger Herbstwitterung zu einer Überschreitung der Bekämpfungsschwelle, so stehen für die Vektorenbekämpfung im Herbst weiterhin Insektizide aus der Wirkstoffgruppe der Pyrethroide zur Verfügung. Die Dauerwirkung der Pyrethroide ist, in Abhängigkeit von der Witterung, auf sechs bis zehn Tage begrenzt. Bei günstigen Zuflugbedingungen für Blattläuse sollte die Behandlung daher keinesfalls zu früh erfolgen.

Des Weiteren hat das Präparat Teppeki mit dem Wirkstoff Flonicamid (1 m länderspezifscher Gewässerabstand) eine Zulassungserweiterung in der Wintergerste zur Blattlausbekämpfung als Virusvektor (ES 11 bis 25) mit 140 g/ha erhalten. Die Wirkungsdauer von Teppeki ist länger als bei den Pyrethroiden. So können auch bei länger anhaltendem Flug der Blattläuse ausreichende Wirkungsgrade erreicht werden. Bei einer Behandlung sollten die Pflanzen möglichst zwei bis drei Blätter haben.

Bei der Insektizidauswahl sollte auf die entsprechende Indikationszulassung (Blattläuse als Virusvektoren im Herbst) sowie die Anwendungshäufigkeit und die unterschiedlichen Bienenschutzauflagen geachtet werden. Eine Übersicht der im Herbst im Wintergetreide zugelassenen Insektizide, einschließlich der Auflagen und sonstigen Anwendungsbestimmungen, ist auf der Homepage der Landwirtschaftskammer unter www.lksh.de/Ackerbaukulturen/jeweilige Getreidekultur verfügbar.

Insektizide Beize bei Drahtwürmern

Als einzige insektizide Beize kann seit vergangenem Jahr Signal 300 ES mit dem Wirkstoff Cypermethrin in Winterweizen und Wintergerste zum Einsatz kommen. Die Beize ist gegen Schnellkäfer wie den Drahtwurm und zur Befallsminderung gegen die Getreidebrachfliege zugelassen. Ein Einsatz im Roggen gegen Schnellkäfer (Drahtwurm), Getreidebrachfliege, Fritfliege und Getreidelaufkäfer ist durch die Notfallzulassung nach Artikel 53 der Verordnung (EG) Nummer 1107/2009 ebenfalls möglich (Zeitraum: 15. Juli 2022 bis 12. November 2022). Eine systemische Wirkung besteht nicht – eine Wirkung auf Getreideblattläuse und Zikaden ist damit nicht vorhanden. Gegen Drahtwurm und Getreidelaufkäfer hat die Beize aber eine Daseinsberechtigung und kann mögliche Schäden am jungen Getreide dezimieren. Nach bisherigen Versuchserfahrungen kann das Wirkpotenzial auf Getreidebrachfliege und Fritfliege nicht sicher abgeschätzt werden.

Fazit

Getreideviren können in der Pflanze verheerende Schäden anrichten. Einmal übertragen, kommt es dort zur Massenvermehrung. Verstopfte Leitungsbahnen und eine damit einhergehende Unterversorgung der Pflanze sind die Folge. Eine direkte Bekämpfung des Virus ist nicht möglich, daher steht die Verhinderung der Virusübertragung absolut im Vordergrund. Durch Berücksichtigung vorbeugender Maßnahmen wie der Beseitigung wichtiger Virusquellen, des Anbaus toleranter Sorten und der Vermeidung zu früher Saattermine sowie eine Durchführung regelmäßiger Bestandeskontrollen können mögliche Risiken für wirtschaftlichen Ertragsverlust durch Getreideviren größtenteils ausgeschlossen werden.

Biogasanteil an der Stromerzeugung leicht rückläufig

Die Stromerzeugung aus Biogas ist zuletzt leicht zurückgefahren worden. Dies geht aus Zahlen zum im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland erzeugten und ins Netz eingespeisten Strom hervor, die das Statistische Bundesamt (Destatis) vorgelegt hat.

Demnach wurden von Januar bis Juni insgesamt rund 15,1 Mrd. kWh Strom von Biogasanlagen erzeugt; das entsprach einem Anteil von 5,7 % an der Gesamtmenge. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren 15,2 Mrd. kWh durch Biogas eingespeist worden, was 5,8 % der Stromerzeugung ausmachte. Insgesamt haben die Erneuerbaren Energien allerdings an Bedeutung gewonnen. Ihr Anteil an der Stromerzeugung belief sich im ersten Halbjahr 2022 laut Destatis auf 48,5 % und lag damit um 4,7 Prozentpunkte über dem Vorjahreszeitraum.

Von Januar bis Juni wurden 127,6 Mrd. kWh Strom aus Erneuerbaren Quellen erzeugt; davon entfielen 67,7 Mrd. kWh auf Windkraft, 29,5 Mrd. kWh auf Photovoltaik und 8,4 Mrd. kWh auf Wasserkraft. Der Anteil der Windkraft legte damit von 22,1 % auf 25,7 % zu, was laut den Statistikern aber vor allem auf das windarme erste Quartal 2021 zurückzuführen ist. Die ungewöhnlich hohe Anzahl an Sonnenstunden in den ersten Monaten des laufenden Jahres begründet Destatis zufolge die Ausweitung des Anteils des Solarstroms, der von 9,4 % auf 11,2 % zunahm.

Im ersten Halbjahr 2022 wurden laut Bundesamt 263,2 Mrd. kWh aus deutscher Erzeugung ins Stromnetz eingespeist; das waren 1,3 % mehr als im Vorjahreszeitraum. Konventionelle Energieträger lieferten dabei 135,6 Mrd. kWh. Spürbar ausgeweitet wurde die Kohleverstromung, deren Anteil von 27,1 % auf 31,4 % zulegte. Der Anteil von Erdgas ging von 14,4 % auf 11,7 % zurück. Veränderungen gab es auch im Stromhandel. Laut Destatis gingen die Importe im Betrachtungszeitraum um 9,1 % auf 23,3 Mrd. kWh zurück, während die Exporte um 14,5 % auf 39,6 Mrd. kWh ausgeweitet wurden. Nach Angaben der Statistiker war das erste Halbjahr 2022 das erste seit Beginn der Statistik im Jahr 1990, in dem mehr Strom nach Frankreich exportiert als von dort importiert wurde.

Was bringt ein höheres Transportalter?

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Als der Entwurf für die neue Kälbertransportregelung, nach der Kälber künftig erst in der fünften statt in der dritten Woche den Betrieb verlassen dürfen, in den Bundesrat eingebracht wurde, war die Begründung jene, dass ältere Kälber stabiler seien und den Transport besser verkraften könnten. Nicht wenige hatten ihre Zweifel an dieser Argumentation, da bekanntlich die sogenannte immunologische Lücke auch in diesen Zeitraum fällt und der mütterliche Schutz mit jeder Woche schwächer wird. Um hier Klarheit zu schaffen, soll die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnislage zusammengefasst werden.

Transporte sind seit jeher ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Erkrankungen. Besonders stehen hier Atemwegserkrankungen im Fokus, die im Englischen oft als „shipping fever”, also als transportbedingter Allgemeininfekt zusammengefasst werden. Auf einem Transport kommen meist verschiedene begünstigende Faktoren zusammen: Die Verladung auf ein Fahrzeug und der rollende Transport sind für viele Jungrinder etwas vollkommen Neues und daher mit Stress verbunden. Stresshormone, die dabei die Alarmreaktion des Körpers unterstützen, bremsen gleichzeitig die Aktivität der körpereigenen Abwehrzellen und machen den Körper weniger wehrhaft gegen Infekte. Zwischen Stall, Transporter und neuem Stall können zudem erhebliche Klimaunterschiede bestehen, die den Tieren eine hohe Anpassungsleistung abverlangen und den Körper belasten. Bis dahin vorhandene, aber still schlummernde Erreger können diese Schwächephase nutzen und sich im Körper ausbreiten, sodass Erkrankungen kurz nach dem Transport schon ausbrechen. Wenn zugleich Tiere aus verschiedenen Herden aufeinandertreffen, entsteht eine bunte Mischung von verschiedenen Keimen, die auf bisher nicht gegen diese Erreger geschützte Wirtstiere treffen. Daher sind schwere Infektwellen einige Tage nach der Zusammenstellung neuer Gruppen kaum zu vermeiden.

Mütterlicher Schutz

Bekanntlich sind Kälber in den ersten Lebenstagen zwingend auf den mütterlichen Schutz angewiesen, den sie durch die frühe und reichliche Aufnahme von Kolostrum erhalten. Zahlreiche Studien haben gezeigt: Je besser die Versorgung in den ersten Lebensstunden ist, desto besser entwickeln sich die Kälber, sind später gesünder und leistungsstärker. Doch dieser erste Schutz ist endlich: Die übertragenen Antikörper (Immunglobuline) werden verbraucht und vom Körper abgebaut, sodass nach einiger Zeit die körpereigene Abwehr übernehmen muss. Dafür braucht es neben ausreichend Energie und Nährstoffen auch das richtige Training der Abwehrzellen durch Kontakt mit den herdentypischen Keimen und durch Impfungen. Klassischerweise wird der Übergang vom mütterlichen auf den Eigenschutz, die sogenannte immunologische Lücke, irgendwo zwischen der dritten und sechsten Lebenswoche angesiedelt. Daher erscheint es logisch, wenn Kälber eher früh mit einem noch guten mütterlichen Schutz in der dritten Lebenswoche transportiert werden als in der fünften Woche, wenn vom kolostralen Schutz nicht mehr viel übrig ist und das eigene Immunsystem gerade erst laufen lernt.

Treffen im Mastbetrieb Kälber aus verschiedenen Herden aufeinander, sind Probleme kaum zu vermeiden. Foto: Landpixel

Kolostrum: Fakten

Schaut man aber einmal in die jüngere wissenschaftliche Literatur, wird die immunologische Lücke immer mehr infrage gestellt. Sie ist in erster Linie eine Folge einer zu geringen Kolostrumaufnahme. Fällt die frühe Versorgung zu knapp aus, ist der mütterliche Schutz schneller aufgebraucht als der Eigenschutz ausreichend stark werden kann. Studien haben für die mütterlichen Antikörper aus dem Kolostrum eine Halbwertszeit von zehn bis 16 Tagen ermittelt. Das heißt, dass sich nach dieser Zeit der Blutspiegel halbiert und so je nach Ausgangslage nach zwei bis fünf Wochen die mütterlichen Antikörper als alleiniger Schutz nicht mehr ausreichen (Abbildung 1). Zugleich baut ein gut versorgtes Kalb aber auch ab dem ersten Tag seine eigene Abwehr auf, sodass diese im besten Fall ab der sechsten Woche allein für den Schutz des Körpers sorgen kann. Da sich beide Schutzsysteme gegenseitig ergänzen, kann idealerweise das Abklingen der kolostralen Antikörper durch die allmähliche Ausbildung des eigenen Schutzes kompensiert werden. Die Abwehrzellen sind ab dem ersten Lebenstag aktiv und tragen so täglich mehr zum anhaltenden Schutz bei. Es ist aber auch erwiesen, dass diese Zellen erst ausreifen müssen, um ihre volle Leistung zu erreichen. Ältere Kälber sind demnach auch im Bereich der Zellen abwehrstärker als jüngere.

Folgen für das Kalb

Messungen von Blutwerten im Labor helfen, die Abwehrmöglichkeiten einzuschätzen. Wirklich sicher lassen sich Effekte auf das Kalb aber nur durch Experimente mit lebenden Tieren untersuchen. Dafür wirken im Bereich der Infektabwehr einfach zu viele Faktoren zusammen. Um die Auswirkungen unterschiedlicher Transportalter auf die Kälbergesundheit zu untersuchen, wurde in den Niederlanden durch die Universität Wageningen ein Großversuch mit knapp 700 Mastkälbern (Fleischkreuzungen und Holsteins) gestartet (Marcato et al, 2021): Während eine Hälfte der Tiere konventionell am 14. Lebenstag auf Mastbetriebe verbracht wurde, wurden andere Kälber aus den gleichen Herkunftsbetrieben erst am 28. Lebenstag auf die gleichen Mastbetriebe transportiert. So bestand der einzige relevante Unterschied im Transportalter. Starke Ähnlichkeit bestand auch bei den Laborwerten: Die untersuchten Kälber hatten insgesamt ähnliche Antikörperblutspiegel am Ende der ersten Lebenswoche. Auch der Tiefpunkt der Schleimhautschutz bildenden Antikörper (IgA) lag bei beiden Gruppen in der vierten Lebenswoche (Abbildung 2).

Die deutlichen Unterschiede zeigten sich erst in der weiteren Entwicklung der Kälber (Tabelle): So wurden die Kälber mit dem höheren Transportalter (28-Tage-Kälber) seltener medikamentell behandelt, auch wenn der Antibiotikaeinsatz ähnlich war. Weiterhin war die Zahl der Todesfälle in dieser Gruppe nur halb so hoch und die Schlachtkörper am Ende der standardisierten Kälbermast waren mehr als 9 % schwerer. Die später transportierten Kälber waren somit deutlich robuster und haben diesen Vorteil in bessere Gesundheit und stärkeres Wachstum umgesetzt.

Umsetzung in der Praxis

Diese umfangreiche Studie zeigt also deutlich, dass keine negativen Effekte durch das höhere Transportalter zu erwarten sind, wenn die sonstige Behandlung der Kälber vor dem Transport gleich bleibt. Klar ist aber auch, dass sich die Betreuungsarbeit auf den Herkunftsbetrieben erhöht, wenn mehr Kälber länger bleiben. Dass der höhere Platzbedarf auf einem durchschnittlichen Milchviehbetrieb überschaubar ist, hat der Artikel in Bauernblatt-Ausgabe 35 deutlich gezeigt. Mit der neuen Vorschrift verbunden ist aber auch die Pflicht, alle Kälber mit ausreichend geeignetem Futter zu versorgen. Wird diese Pflicht nicht erfüllt, kann dies als Verstoß gegen Tierschutzvorschriften im Ordnungs- und auch im Prämienrecht geahndet werden. Dieser Mehraufwand besteht neben der erhöhten Fütterungsarbeit auch in einem höheren Verbrauch von Milch oder Milchaustauscher. Insbesondere für ökologisch wirtschaftende Betriebe besteht hier die Pflicht zur Vollmilchtränke, auch wenn die Kälber anschließend mangels aufnehmender Biomastbetriebe oft konventionell vermarktet werden müssen. Dabei sind bei drei Wochen alten Kälbern Tränkemengen von über 12 l Milch pro Tag einzuplanen, um bedarfsdeckend zu füttern.

Fazit

Die wichtigste immunologische Entwicklung des Kalbes passiert in den ersten Lebenswochen. Hier erfolgen Weichenstellungen, die sich ein Rinderleben lang auswirken. Dabei haben Kolostrumversorgung, Haltungsbedingungen und Ernährung den größten Einfluss. Eine Verschiebung des Transportalters hinein in die klassische „immunologische Lücke“ als bekannte Schwächephase wirkt daher auf den ersten Blick unlogisch. Betrachtet man aber die Entwicklung der Körperabwehr als Ganzes und nimmt auch die Ergebnisse der großen niederländischen Transportstudie von 2021 zur Kenntnis, ist zu erwarten, dass insgesamt die positiven Effekte für das transportierte Kalb überwiegen werden, wenn Haltung und Fütterung auf Herkunfts- und Aufnahmebetrieb auf einem guten Niveau sind. Ohne Risiko wird der Einkauf von Kälbern verschiedener Herkünfte dennoch nie sein, sodass feste Lieferbeziehungen langfristig immer das Ziel sein sollten.