Beim EU-Agrarrat in Brüssel wurde Ende September unter der Federführung von Österreich ein an die EU-Kommission gerichtetes Forderungspapier zum restriktiveren Umgang mit den großen Beutegreifern (wie Wölfen oder Bären) thematisiert. Unterstützt wurde das Schreiben Österreichs von Kroatien, Finnland, Ungarn, Lettland, Rumänien und der Slowakei. Im Rat haben insgesamt 17 Länder der Forderung zugestimmt – jedoch unter Enthaltung Deutschlands. Zustimmung gab es von Frankreich, Spanien, Italien, Slowenien, Griechenland, Dänemark, Portugal, Estland, Litauen und Belgien.
Im Forderungspapier geht es – anknüpfend an das 30-jährige Bestehen der FFH-Richtlinie als Instrument für die Verbesserung der biologischen Vielfalt – vorrangig um die Probleme im ländlichen Raum durch die Rückkehr geschützter Raubtiere und die direkte Folge, dass immer mehr Weidetiere gerissen werden. Für die Berglandwirtschaft werden als negative Effekte beispielsweise die Beendigung der Landwirtschaft oder die erhebliche Verkürzung der Weidezeit genannt.
Die stetig wachsende Zahl an Großraubtieren steht den zahlreichen positiven Faktoren der Berglandwirtschaft in unterschiedlichen Bereichen entgegen. In der EU lag im Jahr 2018 nach offiziellen Angaben die Zahl der Wölfe bei etwa 17.000 Individuen. In der Folge sind die Nutztierrisse erheblich gestiegen, so etwa in Österreich um 230 % von 2020 zu 2021.
Kernforderungen an die Europäische Kommission bildeten folgende Punkte:
– Überprüfung des rechtlichen Rahmens der FFH-Richtlinie insbesondere im Kontext des Konflikts zwischen den zunehmenden Übergriffen durch große Beutegreifer und dem Erhalt landwirtschaftlicher Flächen mit viel Biodiversität
– Ausnahmen von den strengen Schutzregelungen und Schaffung von Eingriffsmöglichkeiten in Bestände in besonders betroffenen Gebieten, wo extensive Landwirtschaft traditionell eine wichtige Rolle hat und Herdenschutzmaßnahmen nicht umzusetzen sind, beispielsweise in den Alpen
– ein über Ländergrenzen harmonisiertes Monitoring, insbesondere im Zusammenhang mit dem „guten Erhaltungszustand“
– eine Finanzierung innerhalb und außerhalb der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) für Herdenschutzmaßnahmen, Monitoring und Entschädigung der Landwirte im Schadensfall
Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius wies die Bedenken jedoch weitgehend zurück. Er erklärte, dass man sich der Herausforderung für die Weidetierhaltung bewusst sei, insbesondere dort, wo Großraubtiere lange Zeit nicht vorkamen, und dass er regelmäßig mit verschiedenen Interessengruppen in Kontakt stehe. Zu den Kritikpunkten Österreichs erwiderte er, dass die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen regelmäßig überprüft würden und dass die Mitgliedstaaten bereits heute ausreichende rechtliche Instrumente hätten, den Schutz von Großraubtieren und den Erhalt nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken zu ermöglichen.
Des Weiteren unterstrich und warnte der Umweltkommissar, dass „Ausnahmen keine Alternative zu den notwendigen Investitionen und Anstrengungen sind, um ein wirksames System der Koexistenz aufzubauen, das die Erholung der Bestände von Großraubtieren in unseren Ökosystemen ermöglicht“. Nach seiner Aussage müssten vermehrt bewährte Verfahren und Projekte gefördert werden, die bereits gezeigt hätten, dass eine Anpassung möglich sei. Sinkevicius betonte bezüglich der Mobilisierung von finanziellen Mitteln, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Strategiepläne zur Umsetzung der neuen GAP EU-Mittel bereitstellen könnten, um das Risiko von Schäden durch Großraubtiere zu mindern. Vielen Mitgliedstaaten geht dies jedoch nicht weit genug.
Aus Sicht des Berufsstands ist nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbandes (DBV) zu begrüßen, dass die großen Beutegreifer zum ersten Mal offiziell auf EU-Ebene thematisiert worden seien. Die Forderungen im Papier entsprächen den von den Weidetierhaltern verschiedener Länder über mehrere Jahre vorgetragenen Argumenten und seien inhaltlich grundsätzlich übereinstimmend mit der Position des DBV.
Zu beklagen ist nach Ansicht des DBV jedoch, dass der Wille, die Sorgen und Nöte der Weidetierhalter ernst zu nehmen und einen realistischen Blick in den ländlichen Raum zu werfen, seitens der EU-Kommission nicht erkennbar sei. Nicht akzeptabel ist für den DBV zudem, dass sich die deutsche Bundesregierung dem Anliegen Österreichs nicht angeschlossen hat.
Als realitätsfremd bewertet der Bauernverband auch den Kommentar von Umweltkommissar Sinkevicius, in dem er bezüglich der Verantwortung für die rechtliche Situation auf die Länder verweise, da regelmäßig genauso bestimmte Bundesländer und Bundesministerien versuchten, sich ihrer Verantwortung durch Verweis auf die EU zu entziehen. Nicht zu akzeptieren ist aus Verbandssicht die Aussage, dass sich die Weidetierhalter an die Rückkehr der Wölfe anzupassen hätten.
Konsenspapier des DVL
Der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) hat einen Grundkonsens „Weidetierhaltung und Wolf“ vorgestellt. Darin soll aufgezeigt werden, auf welche Inhalte sich Weidetierhalter und Naturschützer bei diesem Konfliktthema verständigen können. Der Wolf werde sowohl als geschützte Tierart als auch als Gefahr für Weidetiere gesehen. Im Papier wird betont, dass die Weidetierhaltung ein unerlässlicher Bestandteil der Landbewirtschaftung in Deutschland sei. Allerdings seien viele Betriebe aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation derzeit in ihrer Existenz gefährdet. Deshalb müsse die Weidetierhaltung besser unterstützt werden. Was die Rückkehr des Wolfs betrifft, setzt der Verband auf den Herdenschutz. Ziel müsse ein flächendeckender, regional differenzierter Grundschutz aller Weidetiere sein. Die Investitions- und Unterhaltskosten des Herdenschutzes müssten inklusive des damit verbundenen Zeitaufwands vom Staat übernommen werden. Komme es zu Rissen, habe eine unbürokratische Entschädigung zu erfolgen. Schließlich unterstützt der DVL die mit den Wolfmanagementplänen der Bundesländer gegebenen Möglichkeiten, in begründeten Fällen jene Wölfe zu entnehmen, die Weidetiere gefährden. (Agra-Europe)