Start Blog Seite 227

Vergessenes weihnachtliches Kraut

0

Der immergrüne Rosmarin ist eine ebenso alte wie bekannte Kulturpflanze, die seit Jahrhunderten als ­Heil-­, Duft- und Gewürzpflanze geschätzt wird. Weniger bekannt ist, dass die vielseitige Küchen- und Gartenpflanze seit dem Mittelalter oft als Weihnachtspflanze Erwähnung findet.

Zur dunklen und vegetationsarmen Zeit schmücken die Menschen das häusliche Umfeld als Sinnbild des Lebens gern mit immergrünen Pflanzen wie Tannenbaum, Stechpalme, Mistel und auch dem Rosmarin (Rosmarinus officinalis oder Salvia rosmarinus). Der immergrüne, stark duftende Halbstrauch gilt als alter Weihnachtsduft, der ähnlich dem Weihrauch verwendet wurde, weshalb dieser Lippenblütler (Lamia­ceae) im Volksmund auch als Weihrauchkraut bekannt ist. Im Rheinland heißt es beispielsweise: „In der Christnacht um 12 Uhr sind alle Wasser Wein und alle Bäume Rosmarin.“ Besonders in England findet man verbreitet Hinweise auf zur Weihnacht blühende Rosmarinbüsche. Dort gibt es den Brauch, Rosmarinzweige für die Duftentfaltung auf den Boden zu legen, oder den Rosmarinzweig, den am Weihnachtsmorgen die Chorsänger an der Jacke tragen.

Bereits im Altertum wurde der buschig verzweigte, verholzende Halbstrauch, der in Südeuropa wild wächst und eine Höhe von 1,2 bis 1,8 m erreicht, als Schmuckpflanze geschätzt. Neben den kurzen Büscheln blassblauer Blüten sind auch die nadelförmigen, schmalen, blaugrünen und aromatischen Blätter beliebt. Im Mittelalter war das mediterrane Sonnenkraut bereits nördlich der Alpen als Gartenpflanze bekannt und als Küchen- und Heilpflanze beliebt, mit der Empfehlung des winterlichen Schutzes oder der Topf-Überwinterung im geschützten Inneren. Heutzutage gibt es aber auch frostharte Züchtungen des eigentlich nicht winterharten Rosmarins.

Von der Fensterbank und aus dem Wintergarten ist ohnehin die Ernte der Triebspitzen ganzjährig möglich. Neben der frischen Verwendung der Blätter lässt sich der Rosmarin auch vortrefflich trocknen, einfrieren sowie in Essig oder Öl einlegen. In der Küche ist das Gewürz vielseitig einsetzbar, so zum Würzen von Wild, Lamm, Kaninchen, Geflügel, Eintopfgerichten, Suppen, Gemüse, Hülsenfrüchten und Pilzen. Da der Rosmarin bei Hitze sein Aroma entfaltet, wird er mitgekocht. Allerdings gilt es, dieses Kraut wegen des intensiven Geschmacks wohldosiert anzuwenden, sei es beim weihnachtlichen Lammkarree in Rosmarin-Senf-Mantel mit Whisky-Äpfeln oder auch bei den Rosmarin-Keksen.

Die nadelförmigen Blätter und Triebspitzen des Rosmarins spielen nicht nur in der Weihnachtsküche eine Rolle. Foto: Hans-Dieter Reinke

Neben dem Kücheneinsatz wird Rosmarinus auch als Heilpflanze verwendet und das Wirkspektrum der Heilwirkungen kann durchaus als beachtlich und vielfältig bezeichnet werden: Neben den verdauungsfördernden, anregenden, krampflösenden, schmerzstillenden, harntreibenden und entzündungshemmenden Eigenschaften wirkt der Duft allgemein belebend und weckt die Lebensfreude. Er ist appetitanregend und hilfreich bei Völlegefühl und Verdauungsbeschwerden. Rosmarintee oder -wein wirken belebend bei niedrigem Blutdruck, Erschöpfung und Schwindel.

Rosmarinöl bildet einen Hauptbestandteil des Kölnischwassers. Das Öl auf der Haut oder ein Bad aus den Blättern erweisen sich als nervenstärkend und beruhigend; durch die Verbesserung der Durchblutung der Kopfhaut kann es gegen Haarausfall helfen und die Haut bleibt frisch und gesund. Schon bei den Griechen war der Rosmarin Aphrodite, der Göttin der Schönheit, geweiht.

Schon lange gilt Rosmarin als Symbol für Treue, Liebe, Erinnerung und Unsterblichkeit und wird als Zeichen unwandelbarer Treue gern als Brautschmuck verwendet, aber eben auch für andere feierliche Anlässe wie Weihnachten.

Wer ein weihnachtliches Grillen im winterlichen Garten plant, kann die verholzten Rosmarinzweige, deren Blätter entfernt wurden, als Grillspieße verwenden. Zur Verbesserung des Grillfleischgeschmacks und zur allgemeinen Duftverbesserung lassen sich auch einige Stängel aufs Feuer legen. Und übrigens wurde Rosmarinholz in früheren Zeiten bisweilen auf dem Altar verbrannt: Der aufsteigende Rosmarinduft sollte die Götter milde stimmen.

Ziel: Hohe Hektarerträge, aber umweltgerecht

0

Deutschland soll spätestens 2045 treibhausgasneutral sein. Dieses Ziel hat die Bundesregierung im Klimaschutzgesetz verankert. Vor diesem Hintergrund bestehen auch für die Landwirtschaft deutliche Anpassungsnotwendigkeiten. Betrachtet man die unterschiedlichen Emissionsquellen, so sind für diesen Sektor besonders die Viehhaltung und da vor allem die Rindviehhaltung in Form von Methan sowie die Düngerproduktion und -anwendung für die Hauptexposition an Treibhausgasen (THG) verantwortlich.

In der Öffentlichkeit werden folgende Strategien zur Reduktion von Treibhausgasen diskutiert und verfolgt:

a) Ökologisierung der Landnutzungssysteme verbunden mit einer deutlichen Reduzierung von Pflanzenschutz und Düngung

b) CO2-Speicherung im Boden durch Humusanreicherung

c) CO2-Speicherung durch Vernässung von Moorböden

d) Reduzierung der Nutzviehzahlen

Extensivierung

Bei der Frage, ob extensive Wirtschaftsweisen in der Landwirtschaft zielführend zur Vermeidung von THG-Emissionen sind, ist eine ganzheitliche Betrachtung in Form betrieblicher THG-Bilanzen der jeweiligen Betriebsform (konventioneller oder ökologischer Landbau) erforderlich. Bei dieser Vorgehensweise wird bei Annahme konstanter Humusgehalte im Boden neben den Emissionen von Inputfaktoren bei deren Herstellung und Verbrauch wie Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmittel, Treibstoffe, Futtermittel, Tiere und Technik auch die CO2-Fixierung der Ernteprodukte durch Photosynthese in Form einer Hof-Tor-Bilanz berücksichtigt.

Unter Leitung von Prof. Gerhard Breitschuh, ehemaliger Präsident der Thüringischen Landesanstalt für Landwirtschaft, wurden 923 Betriebe unterschiedlicher Betriebsformen in Deutschland hinsichtlich ihrer THG-Bilanzen untersucht. Im Ergebnis ergab sich bei diesen Betrieben im Durchschnitt ein positiver THG-Saldo je Hektar. Gemäß den Kriterien für eine Umweltgerechte Landwirtschaft (KUL) fixiert die deutsche Landwirtschaft mehr CO2 als sie freisetzt: Einer Fixierung von 6,9 t CO2/ha steht eine Emission von 5,1 t CO2/ha gegenüber. Im Saldo ergibt sich ein positiver THG-Saldo von 1,8 t/ha. Der höchste positive Saldo wird dabei mit Agroforstsystemen (Pappel-Kurzumtriebsplantagen) in Höhe von 16,4 t CO2/ha erreicht, allerdings ohne Nahrungsmittel zu produzieren.

Aufgrund der höheren Erträge hat der konventionelle Ackerbau gegenüber dem ökologischen Landbau (jeweils ohne Vieh betrachtet) ein Vorteil von 7,5 t CO2/ha. Je Tonne Weizen werden bei konventioneller Produktionsweise vor allem durch die Produktion und den Verbrauch von Stickstoffdüngern 280 kg CO2äq emittiert. Je Tonne und je Hektar ist dieser Wert im ökologischen Landbau ohne Mineraldünger geringer. Zahlreiche internationale Studien belegen jedoch, dass negative Klimaeffekte im ökologischen Landbau durch einen höheren Flächenbedarf bei weiterer Extensivierung entstehen. Wenn die gleiche Menge an Nahrungsmitteln produziert werden muss, wird aufgrund der geringeren Erträge erheblich mehr Fläche benötigt. Auf diese Weise geht durch die Abholzung der Wälder in den Tropen wertvoller CO2-Speicher verloren. Um also langfristig hohe THG-Salden zu erzeugen, muss es das Ziel sein, möglichst hohe Erträge je Hektar umweltgerecht zu produzieren.

Viele Bereiche um die Applikation und die notwendigen Aufwandmengen von Wirtschafts- und Mineraldüngern haben sich in den vergangenen zehn Jahren bereits erheblich verbessert. Gleichwohl sind Forschung und Beratung gefordert, neue Erkenntnisse zu entwickeln und diese möglichst schnell in die sehr heterogene Betriebsstruktur der deutschen Landwirtschaft zu implementieren.

Humusanreicherung

Humus dient im Boden als Speichermedium für CO2. Daher ist der Aufbau und Erhalt eines – von regionalem Klima und Bodenart abhängigen – standortspezifischen Humusgehalts von großer Bedeutung und wesentlicher Teil der aktuellen Debatte. Eine dauerhafte Anhebung des Humusgehalts im Boden um 0,2 % würde zu einer einmaligen zusätzlichen Speicherung von 10,4 t CO2/ha führen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Landwirte ein Interesse an hoher Bodenfruchtbarkeit und damit einen tendenziell hohen Humusgehalt haben. Humus sorgt für eine bessere Speicherung von Nährstoffen, Wasser, Sauerstoff und verbessert die Bodenstruktur (Reduktion von Verschlämmungen und Druckempfindlichkeit, Verbesserung der Regeninfiltration). Daher verwundert es nicht, dass die landwirtschaftlich genutzten Böden in Deutschland grundsätzlich befriedigende Humusgehalte aufweisen. Die Bemühungen, den Humusgehalt über den eigentlichen, standortspezifischen Humusgehalt weiter steigern zu wollen (zum Beispiel mit hohen Anbauanteilen an Zwischenfrüchten und/oder organischer Düngung oder/und reduzierte Bodenbearbeitung beziehungsweise Direktsaat) stellt sich als problematisch heraus: Zum einen stellt sich ein Fließgleichgewicht zwischen Abbau- und Aufbau von Nährhumus ein, wenn der standortspezifische Humusgehalt erreicht ist und zum zweiten sind zum Aufbau von Humus bei einem C/N Verhältnis von 10/1 je 0,1 % Humus 140 kg N/ha notwendig. Damit sind Zielkonflikte mit anderen Problemfeldern wie phytosanitäre Probleme, notwendiger Glyphosateinsatz oder Düngerestriktionen bei der N-Düngung vorprogrammiert. So führen beispielsweise Direktsaatverfahren ohne Bodenbearbeitung im Vergleich zur konventionellen Bodenbearbeitung zu einer Erhöhung des Humusgehalt im oberen Teil der Krume, aber zu einer Reduzierung im unteren Teil.

Zusammenfassend bedarf das Thema „optimaler Humusgehalt“ einer sehr differenzierten Betrachtung, darf nicht monokausal eingeordnet werden und ist grundsätzlich Teil einer nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Landwirtschaft insgesamt.

Vernässung von Mooren

Wenn man bedenkt, dass 95 % der natürlichen Moorflächen in Deutschland entwässert sind, 7,5 % der Treibhausgase in Deutschland aus drainierten Moorflächen stammen und ein Drittel des weltweiten Bodenkohlenstoffs in Moorböden gespeichert ist, wird deutlich, welches Potenzial zur Speicherung beziehungsweise geringeren Freisetzung von CO2 und anderen Treibhausgasen aus Moorflächen steckt. Obwohl die THG-Emissionen in Deutschland seit 1990 insgesamt rückläufig sind, bleibt der durch Moorflächen emittierte Teil gleich und steigt daher in Relation. Der größte Anteil an Moorflächen liegt dabei unter Grünland.

Die Moorvernässung wäre eine sehr effektive Klimaschutzmaßnahme, so könnten rechnerisch je Hektar bis zu 30 t CO2äq/Jahr gespeichert werden. Im Fall einer Wiedervernässung eines 68 ha großen Gebiets in der Eider-Treene-Sorge-Niederung in Schleswig-Holstein wurde durch den TÜV Rheinland ein Einsparungsvolumen von 11,6 t CO2äq/ha und Jahr über 50 Jahre errechnet und dokumentiert. Dieses entspricht in etwa dem CO2-Verbrauch einer Person in Deutschland pro Jahr.

Die Kosten für die Wiedervernässung lagen bei 10.000 €/ha für Entrohrung, Baggerarbeiten und Gutachten beziehungsweise Genehmigungen. Hinzuzurechnen wären die Entschädigungen für die Eigentümer (Verkehrswert oder kapitalisierter Nutzenentgang) sowie jährliche Monitoringkosten im Planungszeitraum (Wasserstand, Vegetation, Zielüberwachung). Bei Gesamtkosten von 30.000 €/ha betragen die CO2-Vermeidungkosten zirka 52 €/t CO2äq (30.000 €/581 t). Im Gegensatz dazu liegen CO2-Vermeidungskosten einer Düngerreduktion auf guten Ackerbaustandorten wie in Ostholstein bei 250 bis 300 €/t CO2 bei Fruchtfolgen aus Raps/Weizen/Gerste. Allerdings sind neben CO2 bei diesem Vergleich auch andere Umwelteinflüsse wie Gewässerschutz regional von Relevanz.

Als problematisch stellt sich eine sinnvolle Nutzung des Aufwuchses auf den vernässten Flächen dar. Derzeit existieren zahlreiche Forschungsvorhaben, um den Aufwuchs rentabel nutzen zu können (zum Beispiel Paludikulturen oder Altgras zur energetischen Verwertung). Da die Nutzungskosten der Fläche durch die Vernässung deutlich zurückgehen, würde sich die Wirtschaftlichkeit bei einer Kombination mit Freiflächenphotovoltaik deutlich erhöhen und damit die CO2-Vermeidungskosten senken. Allerdings erhöhen die Gründungskosten der Pfahlbauten, mögliche Korrosion durch wechselnde Wasserstände und mangelnde Zugänglichkeit auf wiedervernässtem Moor die Baukosten. Zudem kann bei der Gründung der Pfahlkonstruktion ein Durchstoßen von wasserführenden Schichten im Moor alle Bemühungen zu Nichte machen.

Von Vorteil ist darüber hinaus, dass wiedervernässte Moore als Wasserreservoir bei zunehmenden Trockenheiten und als Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten dienen. Die Moorvernässung bietet demnach ein sinnvolles Modell zur CO2-Speicherung, wenn es

überregional geplant wird,

die Interessen der Eigentümer berücksichtigt,

Kombinationsmöglichkeiten mit Solar zulässt und

eine sinnvolle Nutzungsmöglichkeit für den Aufwuchs gibt.

Damit kann Moorvernässung durchaus Motor für eine Reduktion der Viehdichte und Veränderung der Betriebsstruktur und Betriebsform in nitratsensiblen Regionen werden.

Abstockung Tierbestände

In der öffentlichen Debatte stehen besonders Wiederkäuer im Fokus, weil sie in ihren vier Mägen Methan (CH4) erzeugen und freisetzen, dass für 6 % der weltweiten THG-Emissionen verantwortlich ist. Dieses entspricht im Vergleich der dreifachen Menge aller weltweiten THG-Emissionen durch Flugzeuge. Für die Erzeugung von 100 g Protein aus Rindfleisch wird dabei die achtfache Menge an CH4 im Vergleich zu Schweinefleisch ausgestoßen. Die unmittelbare Wirkung von CH4 auf die Erderwärmung übersteigt die des CO2 um das Zehn- bis Zwanzigfache. Da sich aber Methan bereits nach 10 bis 20 Jahren in der Atmosphäre zu CO2 abgebaut, CO2 aber bis zu 100 Jahre in der Atmosphäre hält, führt eine Reduktion der Methanemission zwar zur Abkühlung der Erde, aber nur kurzfristig.

Dieses ist die eine Seite der Betrachtung. Die andere Seite ist, dass Wiederkäuer physiologisch in einzigartiger Weise in der Lage sind, Gras zu Proteinen zu verwerten. In Deutschland werden 28 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LF) als Grünland genutzt (zirka 5 Mio. ha), weltweit sind es 67 % der LF. Eine Reduzierung der Rinderhaltung wirft damit gleichzeitig die Frage auf, wie Grünland alternativ zu nutzen wäre. Eine Umnutzung zu Ackerland hätte klimatisch weitaus größeren Folgen, weil sich wesentliche Teile des im Grünland gespeicherten Kohlenstoffs (64 %) im Wurzelwerk und in der organischen Substanz der Bodenkrume befinden und bei Umbruch zu Ackerland freigesetzt werden. Es fehlt demnach an ökonomisch sinnvollen Alternativen für die Nutzung des Grünlandauswuchses, die der einer Verwertung zu Milch und Fleisch nahekommt. Das gilt insbesondere für die prosperierenden Schwellenländer, bei denen aufgrund der veränderten, dem Wohlstand folgenden Ernährungsgewohnheiten, der Fleischkonsum ansteigt. Die Lösung der CO2-Problematik unter Einbeziehung aller Vor- und Nachteile lautet:

Herdengröße an den Umfang des Grünlandes anpassen

Hohe Milch- und Fleischleistung pro Tier bei gleichzeitig

hoher Grundfutterleistung gepaart mit möglichst geringem Kraftfuttereinsatz

In Deutschland ist ein Rückgang der Viehzahlen bereits zu erkennen und wird sich sukzessive fortsetzen. Die Reduktion des individuellen Fleischkonsums in der Bevölkerung bei gleichzeitig mangelnder Finanzierbarkeit steigender gesellschaftlicher Anforderungen an die Tierhaltung durch höhere Zahlbereitschaft beim Kunden oder/und staatliche Subvention bei Umbauinvestitionen zeigen ihre Wirkung. Ob diese Entwicklung in Wohlstandsgesellschaften der westlichen Welt ausreicht, dem gegenläufigen Trend in Schwellen- und Entwicklungsländern entgegenzuwirken, scheint höchst fraglich.

Fazit

Zur notwendigen Reduktion von THG-Emissionen im Sektor Landwirtschaft liegt in der Vernässung von Moorböden ein hohes Potenzial bei gleichzeitig überbrückbaren Divergenzen der beteiligten Interessengruppen. Die Themen Ökologisierung der Bewirtschaftung fruchtbarer Ackerböden und die Humussequestrierung sind hinsichtlich Speicherung/Freisetzung von THG hingegen weniger erfolgsversprechend. Dies gilt weltweit betrachtet auch für die Viehhaltung – insbesondere die Rinderhaltung. Durch die sukzessive Reduktion der Viehbestände zeichnet sich in Deutschland ein anderer, für das Klima vorteilhafterer Weg ab. Die Folge dieser Entwicklung in Deutschland ist zwangsweise, dass durch steigende Nahrungsmittelimporte die im Inland eingesparten THG-Emissionen in Drittländer verlagert werden. 

„Zeigt euch, wie ihr wirklich seid!“

0

Carol Kleinke engagiert sich beim Verein Christopher Street Day, kurz CSD, in Kiel. Dafür erhielt er anlässlich des Ehrenamtstages am 5. Dezember von Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) die 10.000 Ehrenamtskarte. Seit 15 Jahren wird diese als Dankeschön und Zeichen der Anerkennung für ehrenamtliches Engagement in Schleswig-Holstein durch das Sozialministerium und die schleswig-holsteinischen Sparkassen herausgegeben.

Carol Kleinke war positiv überrascht, als er vom Sozialministerium die Einladung erhielt, seine Ehrenamtskarte direkt aus den Händen der Ministerin entgegenzunehmen. „Das war eine gute Gelegenheit, um mit Aminata Touré persönlich über die Themen zu sprechen, die unserem Verein wichtig sind“, freut er sich. Die Ministerin bedankte sich bei dem Termin für sein außerordentliches Engagement für eine vielfältige Gesellschaft.

Die Ehrenamtskarte erhält auf Antrag, wer sich in den vergangenen zwei Jahren mindestens drei Stunden pro Woche beziehungsweise 150 Stunden im Jahr ehrenamtlich engagiert hat und dafür keine finanziellen Zuwendungen erhält. Inhaberinnen und Inhaber der Ehrenamtskarte bekommen bei über 300 Bonuspartnern verschiedene Vorteile und Vergünstigungen. Koordiniert und ausgegeben werden die Karten vom Projektbüro Ehrenamtskarte beim nettekieler Ehrenamtsbüro.

CSD Kiel
Foto: Carol Kleinke

„Ich bin seit fünf Jahren im Vorstand des CSD Kiel als Pressesprecher und Schatzmeister aktiv“, erzählt Carol Kleinke wenige Tage später bei einem Tee in seinem gemütlichen Reihenhaus im Osten der Landeshauptstadt. Sein damaliger Freund, späterer Lebenspartner und jetziger Ehemann Jan war im Verein schon engagiert, als er ihn kennenlernte. „So wuchs auch ich Schritt für Schritt in die Vereinsarbeit hinein. Es ist schön, dass wir uns beide in der Freizeit, mit jeweils unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten, für den CSD einsetzen können“, meint der 35-Jährige. Der CSD Kiel richte alljährlich Anfang Juli den Christopher Street Day und ein Straßenfest sowie weitere, kleinere Veranstaltungen aus. Zudem setze er sich für eine offene, geschlechtergerechte und antirassistische Gesellschaft ein. „Wir fordern die vollständige Gleichstellung aller Menschen. Wir verfolgen das Ideal einer gleichberechtigten Welt, in der niemand für körperliche Merkmale, sexuelle Orientierung, geschlechtliche Identität, physische oder psychische Einschränkungen, Herkunft, Hautfarbe, Kultur, Religion oder Alter verurteilt wird“, stellt er heraus. Bei all seinem Einsatz erhalte er eine Menge zurück. „Ich kann mich durch mein Ehrenamt stetig weiterentwickeln und dazulernen. Außerdem habe ich darüber spannende Kontakte geknüpft und neue Freundschaften geschlossen“, berichtet er. Am wichtigsten sei jedoch, dass er immer wieder die Erfahrung mache, dass in der Gemeinschaft die Kraft liege und dass man als Mitglied eines Teams Ziele besser und wirkungsvoller erreichen könne als allein. Jede Person könne beim CSD Ideen einbringen und kreative Prozesse mit anstoßen. Entscheidungen würden dann mit allen Planungsmitgliedern basisdemokratisch getroffen und umgesetzt. „Wenn nach monatelanger Vorarbeit der Christopher Street Day und das Straßenfest vorbei sind und alles super geklappt hat, ist das für mich der schönste Lohn und ein tolles Gefühl“, verrät er mit einem Lächeln im Gesicht.

Nun noch etwas mehr zu seiner Person: Carol Kleinke kam nach dem Abitur 2008 aus Rostock nach Kiel, um Jura zu studieren. Zwei Wochen bevor der damals 19-Jährige die Heimatstadt verließ, klärte er seinen Freundeskreis über seine sexuelle Orientierung auf. Er outete sich selbstbestimmt als schwul. Danach informierte er Eltern, Halbschwester und Großeltern. „Nach einer gemeinsamen Flasche Kräuterlikör war für alle das Thema durch“, blickt er schmunzelnd zurück. Seitdem er in Kiel wohne, lebe er offen schwul. Er selbst sei bisher nicht von Diskriminierung betroffen. „Doch in meinem unmittelbaren Umfeld habe ich erlebt, dass Menschen verbale Angriffe und Gewalt erfuhren. Deshalb war es mir ein Anliegen, mich ehrenamtlich zu engagieren und für eine bessere Welt einzusetzen. Dafür opfere ich gern meine Zeit“, unterstreicht der Jurist, der als Abteilungsleiter der Immobilienwirtschaft im Kieler Rathaus tätig ist.

Carol Kleinke gehört zum ehrenamtlichen Organisationsteam des alljährlichen Christopher Street Day in Kiel.
Foto: CSD Kiel

Ob es einen Unterschied mache, in der Großstadt oder auf dem Lande offen schwul oder lesbisch zu leben? Carol Kleinke denkt kurz nach. „Ich vermute, dass es im ländlichen Raum weniger queere Menschen gibt als in der Stadt. (Hinweis „queer“: Sammelbegriff für alle Kategorien sexueller Orientierungen und Identitäten) Deshalb ist sicherlich die Hürde höher, andere zu finden, die ebenfalls queer sind, und sich öffentlich zu outen. Man möchte ungern einen Paradiesvogel-Status im Dorf haben“, gibt er zu bedenken. Ein Potenzial für den CSD sehe er aber durchaus auch in ländlich geprägten Regionen. So seien ihm aus Niedersachsen CSD-Paraden bekannt, bei denen queere Landwirte mit dem Trecker durch die Dörfer zogen und auf durchweg positive Resonanz stießen. Im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit habe vor einigen Jahren auch die bundesweit agierende Berufsvereinigung Gayfarmer – homosexuelle Männer und Frauen, die in den Grünen Berufen arbeiten oder einen direkten Bezug dazu haben – am CSD mitgewirkt. Soweit ihm bekannt, aber noch nicht in Schleswig-Holstein. In Heide, Rendsburg, Flensburg und Norderstedt seien CSDs friedlich und entspannt gefeiert worden. Außerdem gebe es einen Lübecker CSD-Verein. Im Land zwischen den Meeren sei zudem der Aktionsplan „Echte Vielfalt“ für die Akzeptanz vielfältiger sexueller Identitäten aktiv. „Er wird getragen von einem breiten Bündnis aus der queeren Community in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium. Einmal im Monat treffen wir uns am Runden Tisch“, informiert Kleinke. Eines habe er in den zurückliegenden Jahren seines Engagements beobachtet: „Diskriminierung und Vorurteile lassen sich am besten abbauen, wenn wir uns persönlich begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Oft haben wir vor dem Fremden Angst, das wir nicht kennen. Vorurteile lösen sich schnell in Luft auf, wenn wir die Erfahrung machen, dass der vermeintlich so andere auch ein ganz normaler Mensch ist.“ Zum Schluss möchte Carol Kleinke queeren Menschen auf dem Lande Folgendes mit auf den Weg geben: „Auch in ländlichen Regionen ist es möglich, als queere Person zu leben und akzeptiert zu werden. Seid mutig. Seid sichtbar. Zeigt euch, wie ihr wirklich seid!“

„Das Plattdeutsche hat sich den Film einfach erobert“

0

Seit dem 22. September läuft der Film „Mittagsstunde“ in den deutschen Kinos, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Autorin Dörte Hansen. Rund 294.000 Zuschauer (Stand 6. Dezember) haben sich den Film inzwischen angeschaut. Das Besondere: Der Film wurde in zwei Fassungen gedreht – einer hochdeutschen sowie einer plattdeutschen Version mit hochdeutschen Untertiteln.

Für Regisseur Lars Jessen und sein Team sind die Besucherzahlen eine tolle Bilanz. Noch mehr überrascht ihn aber, dass die plattdeutsche Variante so gut ankommt. Selbst im bayerischen Augsburg wollten die Kinobesucher lieber die plattdeutsche Fassung sehen: „Weil der Film dadurch authentischer ist und die Menschen sich darin wiedererkennen“, erklärte Lars Jessen bei einem Filmabend mit anschließendem Gespräch im Kinocenter Rendsburg mit Inhaberin Nicole Claussen auf Einladung des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes (SHHB). Geplant war ursprünglich nur die hochdeutsche Version, die plattdeutsche Fassung war als Nischenprodukt gedacht, ein ­„Nice-to-have“ vor allem für die norddeutschen Kinobesucher. „Zwei Tage vor Drehbeginn überkam mich das schlechte Gewissen gegenüber dem Buch, in dem die Dialoge alle auf Plattdeutsch sind. Als Produzent und Verantwortlicher für den Film entschied ich mich, das Risiko einzugehen und den Film zwei Mal zu drehen“, so Jessen.

Regisseur Lars Jessen, Mittagsstunde, Kinocenter Rendsburg
Foto: SHHB Karina Dreyer

Da es aber sehr viel Geld kostet, zwei Filme zu produzieren, konnte das Vorhaben nur mit der gemeinsamen Förderung durch den Deutschen Sparkassen- und Giroverband, das Land Schleswig-Holstein und das ZDF realisiert werden. Ein Risiko, das mit Erfolg gekrönt wurde. Denn selbst die Schauspieler in dem Film, die allesamt kein Plattdeutsch sprechen, hatten schon nach kurzer Zeit die Sprache lieb gewonnen. „So fragten mich Charly Hübner und Peter Franke bereits am zweiten Drehtag, ob wir nicht immer als Erstes die plattdeutsche Fassung drehen könnten“, erzählte der Regisseur.

Dörte Hansen hatte die gesamten Dialoge auf Audio aufgenommen, die sich die Schauspieler kurz vor den Einstellungen noch einmal anhören und dann wiedergeben konnten. „So hat sich das Plattdeutsch einfach den Film erobert“, meint Jessen. „Damit ist der Film noch einmal ein ganz anderer Weg, Plattdeutsch zu den Menschen zu bringen“, sagte der Minderheitenbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Johannes Callsen. „Der Film macht neugierig auf Plattdeutsch und zeigt, dass Platt zu Schleswig-Holstein gehört. Für uns Kinobesitzer im Land ist es ein großes Geschenk, diesen Film im Programm zu haben“, betonte auch Nicole Claussen. Zudem könne so ein Film ein Auftrag sein, sich mit dem thematisierten ländlichen Strukturwandel zu beschäftigen und daraus Lösungen und Ideen für die Zukunft des ländlichen Raums zu entwickeln, ergänzte Johannes Callsen.

„Kultur und Heimat müssen sich immer neu erfinden und sich jedes Mal neu definieren, sonst wird es rückwärtsgewandt und langweilig. Der Film regt dazu an, als dörfliche Gemeinschaft mit dem, was man kennt, und dem, was neu kommt, nach vorn zu gehen, sich auf den Weg in die Zukunft zu machen“, so auch Lars Jessen. 

Filmabend im Rendsburger Kinocenter
Heimatbund lädt ein zum Film Mittagsstunde mit Regisseur Lars Jessen
Foto: Iris Jaeger

„Wir lieben diese Tiere“

0

Vor 20 Jahren zieht es Christina Löther-Mourujärvi aus Hohenlockstedt nach Finnland, sie trifft auf Manne und Rentiere – und bleibt für immer. Sie wird eine von Finnlands ersten ausländischen Rentierzüchterinnen und betreibt mit ihrem Mann einen Ferienhof in Lappland.

Von Rovaniemi am Polarkreis – wo offiziell der Nikolaus wohnt – fährt ein kleiner, gelber Minibus nach Posio. Er ist gleichzeitig der Schulbus und hält unterwegs an einsam gelegenen Bauernhöfen, wo ein wohlgenährtes, von der Kälte rotbäckiges Kind nach dem anderen in den Schnee und in diese einsamen nordischen Wälder hinaussteigt. Nach dreieinhalb Stunden Fahrtzeit ist der Busbahnhof des 3.000-Einwohner-Ortes Posio nur ein einfaches Holzgebäude. Christina Löther-Mourujärvi steht schon da. „Willkommen in Finnland“, grüßt sie und trägt ein blaues Auge. „Entschuldige, nicht dass du denkst, mein Mann schlägt mich – das war ein Rentiergeweih“, lacht sie und ist auf Anhieb sympathisch. „Die Tiere wissen manchmal nicht, was sie tun. Es sind eigentlich sehr sanftmütige Tiere, wir lieben sie.“ Die gebürtige Norddeutsche aus Hohenlockstedt züchtet mit ihrem finnischen Ehemann Manne Mourujärvi Rentiere. Der Hof liegt noch einmal 30 km entfernt, nur 20 km unter dem Polarkreis und mitten im Wald. Er besteht aus drei, für Finnland so typischen roten Holzgebäuden.

Es waren Mannes Großvater, der vom Staat Land zugewiesen bekam, und Mannes Vater, der 1957 in den Wald zog, um einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. „Wir hatten immer so um die sechs Milchkühe, ein Teil der Milch war für die Selbstversorgung, wie es damals eben so war“, erinnert sich Manne. Die alten Milchkannen hängen heute an einer Hauswand und sie werden für den Wassertransport zur Sauna genutzt.

„Das waren harte Zeiten, wir waren sechs Kinder, Haferbrei gab es nur am Sonntag, 1978 kam erst Strom.“ Keines der Geschwister wollte den Betrieb weiterführen, als der Vater sich 1987 zur Ruhe setzte. „Man hätte zu viel investieren müssen“, kommentiert Manne. Doch ihn ließ der Hof nicht mehr los. Er zog fort, verdiente sein Geld als Fährmann und am Skilift, zahlte seine Geschwister aus.

Die ausgedienten Milchkannen hängen heute an der Wand und leisten gute Dienste für den Wassertransport zur Sauna.
Foto: Petra Jacob

Am Skilift in Suomu war es auch, wo Manne und Christina sich 2005 kennenlernen. Die damals als Redaktionsassistentin arbeitende Norddeutsche hatte da bereits ihr Herz an Finnland verloren und verbrachte ihre Urlaube im Land. „Das ist mein Platz!“, waren ihre Gedanken, als sie vor zwanzig Jahren zum ersten Mal finnischen Boden betrat, das weiß die 47-Jährige noch wie heute, wie sie sagt. Sie war begeistert von der ursprünglichen Natur, dieser Ruhe, den intensiven Jahreszeiten, aber auch diesem besonderen Menschenschlag. Was sie mag an den Finnen, ist dieses Zurückhaltende, wie sie sagt. „Sie fallen nicht gleich mit der Tür ins Haus, sie sind eigentlich so wie ich.“

Vor 17 Jahren zieht Christina von Deutschland fort und mit Manne auf seinen Hof. Sie richten ihn her und beginnen mit der Rentierzucht. Während seiner Abwesenheit hatte Manne einige Rentiere bei einem Bekannten untergestellt. Manne war zehn, als er im Wald eine Rentierkuh mit Kalb fand und sich in die Tiere vernarrt habe, wie er sagt. Sein Vater kaufte dem Besitzer die Tiere ab und holte die ersten Rentiere auf den Hof. „Der Opa besaß zudem noch eine dieser Ohrmarken, die jeder Züchter in Finnland haben muss, der Rentiere in den Wald entlässt“, so Manne.

In Finnland gibt es 54 Rentierzuchtbezirke und rund 12.000 verschiedene Ohrmarken. Die Ohrmarke steht für das Muster, das den Tieren in die Ohren geschnitten wird. Daran erkennt man, zu wem das Rentier gehört, wenn es in freier Wildbahn unterwegs ist. „Um eine Ohrmarke zu bekommen, muss man einem Zuchtverband angeschlossen sein, das ist ein richtiger Prozess, normalerweise werden sie in der Familie weitergegeben“, erklärt Christina. Inzwischen ist auch sie Besitzerin einer Ohrmarke, wie sie erzählt. Darauf ist sie sehr stolz, das weist sie als legitimierte Rentierzüchterin aus. Sie wurde eine der ersten ausländischen Rentierzüchterinnen Finnlands.

Wie das Faible für Finnland und Manne war die Zuneigung zu den sanftmütigen Rentieren „einfach da, ein Bauchgefühl“, wie Christina gesteht. „Das ist gar nicht so typisch für mich, normalerweise bin ich ein sehr durchdachter Mensch.“ Aus der Landwirtschaft stammt sie nicht, die Mutter war gelernte Bauzeichnerin, der Vater arbeitete in der Keramikindustrie. Doch sie sei immer ein „Naturmensch“ gewesen, wie sie erzählt. „Wir haben auf einem Bauernhof in Hohenlockstedt viele Jahre Milch geholt und ich wollte immer Bäuerin werden.”

Auf ihrem Hof haben die Mourujärvis den Rentieren eine Umzäunung mit Futterstand gebaut. Jene Tiere, die am Hof ständen, nennten sich Hausrentiere, erzählt Christina beim Hofrundgang, da habe jedes Tier einen Namen. „Doch frag‘ nie einen Rentierzüchter nach der Anzahl seiner Tiere, das ist so, als wolltest du den Kontostand erfahren“, lacht sie. Doch wie viele Tiere zum Haus gehören, das kann sie schon verraten – es sind 30.

Diese Hausrentiere sind an Menschen gewöhnt, spazieren regelmäßig über den Hof und einige werden trainiert, um Schlitten zu ziehen. Das Ehepaar hat sein Anwesen vor einigen Jahren auch kleinen Besuchergruppen zugänglich gemacht. Auf einer separaten Wiese stehen rustikale Hütten und eine 6 m hohe Kota, ein „Zelt“ aus Holzbrettern, das im Stil des finnischen Urvolkes der Samen gebaut wurde und in dem bis zu sechs Menschen schlafen können. „Ein einmaliges Erlebnis“, verspricht Christina.

Hausrentiere sind an Menschen gewöhnt.
Foto: Petra Jacob

Zum Hof gehören auch Waldrentiere, sie verbringen die meiste Zeit in den Wäldern. Wie viele, das ist ein Geheimnis. Ab Herbst, wenn das Futter knapper wird, kommen sie näher an den Hof. „Doch eigentlich gehen sie gar nicht mehr so weit weg wie früher, denn sie haben es ihren Jungen beigebracht“, so Christina. „Es kommt vor, dass sich in den Wäldern um den Hof viel mehr Tiere aufhalten als zu uns gehören. Die kommen, weil sie wissen, hier sind sie sicher und werden nicht verscheucht.“

Immer wieder kommt es zu Konflikten mit Landwirten, weil Rentiere auf deren Feldern oder Grünland unterwegs sind. Manch einer greift da aus Frust sogar zur Flinte. In Lappland leben an die 200.000 Rentiere, mehr als Einwohner, von denen es rund 180.000 gibt. Mourujärvis entrichten an den Rentierzuchtverband jährlich eine Abgabe von rund 35 € pro Tier, damit wird unter anderem das Einzäunen landwirtschaftlicher Flächen der betroffenen Landwirte finanziert.

Die Waldrentiere dienen vor allem zur Fleischgewinnung. Im Herbst wird ausgewählt, welche Tiere geschlachtet werden sollen. „Da schaut man nach den Zähnen, denn wenn die zu abgenutzt sind, können die Tiere nicht mehr gut fressen“, so Christina. Früher sind die Tierhalter zu Fuß oder auf Skiern in die Wälder, um die Tiere einzuholen, heute sind sie mit Quadbikes unterwegs. Bei dieser Arbeit unterstützen sich mehrere Rentierhalter und die Tiere kommen an einem Ort zusammen. Kleine Tiertransporter stehen bereit – in jeden passen sechs Rentiere – und fahren direkt zum Schlachthaus. Das dem Hof nächste befindet sich in Posio, rund 30 km entfernt.

Mourujärvis verkaufen schlachtreife Rentiere auch an Heino, einen befreundeten Landwirt. Der macht daraus Rentierfleisch in Dosen und Trockenfleisch, das viele Wochen bei ihm auf dem Hof im kalten Wind lufttrocknet. Von ihm bekommen sie auch die Grassilage, die sie im Winter an die Hausrentie­re verfüttern. Zum Rentierhof gehören zwar 70 ha Land, das meiste ist jedoch Wald. Früher, als Mannes Vater hier noch einen Milchviehbetrieb hatte, gab es noch mehr Wiesen und es wurde Heu gemacht. Doch der Wald hat sich die Flächen mit den Jahren wieder zurückerobert. Im Sommer dürfen die Mourujärvis die Wiese eines Bekannten für die Futtergewinnung nutzen.

Mourujärvis füttern auch Pellets aus Getreide und Mineralien, die auf Rentiere abgestimmt sind. Und im Winter brauchen sie einen Silageballen pro Woche. Die Silage kommt in Plastikfolie eingeschweißt, lagert im Freien und ist in der kalten Jahreszeit schnell gefroren. Wird ein frischer Ballen gebraucht, kommt er vor dem Verfüttern in einen beheizbaren Holzkasten, den Manne selbst gebaut hat. Zu zweit hieven sie den schweren Kasten hoch, um an den aufgetauten Ballen zu kommen. Mit Plastikschlitten wird das Futter zum Gehege gezogen, wo die Tiere schon sehnsüchtig warten. Auch auf Streicheleinheiten. „Sie lieben es, an der Stirn berührt zu werden“, krault Christina liebevoll eines der flauschigen Tiere. Zu einigen der Rentiere hat sie eine besondere Beziehung; sie kamen als Waisen auf den Hof und wurden von ihr mit der Flasche aufgezogen. „Rentiere geben einem so viel zurück“, schwärmt sie. Ihr Mann sage immer: „Wer Rentieren dreimal etwas Gutes tut, bekommt es siebenfach zurück.“ In der freien Wildbahn fressen Rentiere am liebsten Flechten und Moose. „Dafür braucht es einen gesunden Wald“, merkt Manne an. Ein ausgewachsenes Tier kann im Winter bis zu 2 kg Flechten am Tag fressen. Um den Hof von Christina und Manne ist der Wald in gutem Zustand. „Die Bäume sind mindestens 200 Jahre alt, die gab es schon, als Opa geboren wurde“, berichtet Manne. Die Bäume tragen hier Bartflechten, Indikator von sehr reiner Luft, wie er sagt. So eine intakte Natur freut die Rentiere und natürlich auch Christina und Manne, die sehr gerne hier leben, wie sie sagen.

Vor dem Füttern kommt die Silage in einen beheizbaren Holzkasten
Foto: Petra Jacob

Die beiden sind ein gutes Team geworden. Christina schmeißt den Laden; allein, wenn Manne an einigen Tagen in der Woche am Kemijärvi-See arbeitet. Im Sommer ist er dort Fährmann. Im Winter ist der See zugefroren und er kontrolliert die Eisstraße; er entscheidet, mit wie viel Maximalgewicht Fahrzeuge über den See fahren dürfen. Manne lacht verschmitzt: „Mit ein paar Rentieren im Anhänger kommst du schnell auf ein hohes Gewicht.“

Weitere Informationen unter
poromatkailu.fi oder per Mail an poromatkailu@gmail.com

Wer kann diesem Blick widerstehen?
Fotos: Petra Jacob
Christina und Manne beim Füttern der Rentiere mit Silage
Die beiden Rentierliebhaber schauen, ob alle versorgt sind. 
Christina und Manne sind ein eingespieltes Team


Kein gutes Jahr wegen Trockenheit

0

Die Anbaufläche von Körnermais in Schleswig-Holstein hat sich 2022 laut Statistikamt Nord im Vergleich zum Vorjahr um 1.100 ha auf insgesamt 2.800 ha einschließlich Corn-Cob-Mix vergrößert. Das zeigt, dass Körnermais auch im nördlichsten Bundesland an Interesse gewinnt. Es ist aber davon auszugehen, dass letztlich aufgrund der diesjährig vorherrschenden Witterungsbedingungen von den ursprünglich geplanten Körnermaisbeständen einiges an Fläche als Silomais für die Grundfutterversorgung der Rinderhaltung gehäckselt wurde.

Schon seit einigen Jahren führt die Landwirtschaftskammer Landessortenversuche zu Körnermais durch, in denen ausschließlich frühe Körnermaissorten mit Reifezahlen K ≤ 220 geprüft werden, um möglichst niedrige Feuchtegehalte zur Kornernte zu erzielen. Die Körnerreifezahl (K) beruht auf dem praxisrelevanten Trockensubstanzgehalt des Korns.

Hitze und Trockenheit ab Blüte

Auf sehr leichten Standorten und flachgründigen Böden führten Hitze und Trockenheit in diesem Jahr bereits ab Ende Juli zu Befruchtungsstörungen während der Blüte. Pollenschüttung und das Erscheinen der Narbenfäden unter Trockenstress passten nicht zueinander. Die Kolbenentwicklung litt im August bei angespannter Bodenwasserversorgung und hohen Temperaturen zunehmend. Jede Sandlinse, Bodenverdichtung et cetera führte innerhalb eines Schlages zu oftmals deutlichen Abreifeunterschieden, Defizite in der Kornfüllung des Kolbens waren keine Seltenheit. Auch die Körnermaissortenversuche der Landwirtschaftskammer auf den diesjährigen Versuchsstandorten Dannewerk (SL) und Langwedel (RD) wurden durch die Hitze und Trockenheit ab Ende Juli in Mitleidenschaft gezogen mit der Folge, dass die Kornerträge der Landessortenversuche so stark schwanken, dass eine Wertbarkeit dieses Merkmals nicht gegeben ist.

Nicht nur auf Ertrag achten

Doch sollte es bei der Sortenwahl nicht nur um Ertrag gehen. Für den jeweiligen Standort ist es wichtig, eine passende Sorte zu finden, bei der gute Abreifen im Korn erzielt werden und Lageranfälligkeit und Stängelfäule gering sind. Dazu erhobene Daten sind in Tabelle 1 aus den Jahren 2021 und 2022 aufgeführt. In den einzelnen Merkmalen sind deutliche Jahresunterschiede festzustellen. Vor dem Hintergrund, dass die diesjährige Körnermaisernte bereits Mitte Oktober abgeschlossen war, vier Wochen früher als im Vorjahr, liegen die Trockenmassegehalte im Korn in diesem Jahr im Mittel der Versuchsstandorte um 3,6 % höher. Die Anfälligkeiten für Stängelfäule sind 2022 deutlich erhöht, auch wenn überwiegend die Standfestigkeit der Maispflanzen gegeben war. Zur Ernte trat Stängelbruch auf, es liegt die Vermutung nahe, dass Bestände nach Trockenstress und Hitze im August vorzeitig abgestorben sind. Lager trat in beiden Versuchsjahren nicht auf, daher sind die Daten aus der beschreibenden Sortenliste aufgeführt. Am Merkmal Pflanzenlänge lassen sich Wachstumsbedingungen festmachen. Der Aufwuchs war im Vergleich zum Vorjahr auf beiden Versuchsstandorten niedriger, das zeigt, dass die Maispflanzen in den Versuchen bereits in der vegetativen Phase eine Einschränkung im Längenwachstum erfuhren. In der anschließenden generativen Wachstumsphase wurden Blüte, Kolben- und Kornfüllung in den Körnermaisversuchen in Mitleidenschaft gezogen. Die gemittelten Kornertragsergebnisse der beiden Versuchsjahre zeigen deutlich, dass 2021 hohe Erträge eingefahren werden konnten.

Sortenwahl entscheidet über Verwertung

Für die Sortenwahl von Körnermais sind die Nutzung und Verwertung entscheidend. Körnermais wird zum einen als Corn-Cob-Mix (CCM) angebaut, die Lagerung erfolgt durch Feuchtkonservierung. Das bedeutet, eine zusätzliche Trocknung ist nicht erforderlich. Für die Körnernutzung werden die Körner auf Restfeuchtegehalte von etwa 14 % getrocknet. Für die Wirtschaftlichkeit der Körnernutzung sind Kornertrag und geringe Restfeuchten im Erntegut entscheidende Größen. Soll Mais mit niedrigen Feuchte­gehalten gedroschen werden, stehen die Bestände lange im Feld. Vor diesem Hintergrund sind die Beobachtungen bezüglich Anfälligkeit für Stängelfäule und Lagerneigung zu beachten. Steht hingegen für den Verkauf eine kostenintensive Trocknung der Maiskörner im Vordergrund, hat mit Blick auf hohe Energiekosten die bereinigte Marktleistung eine große Bedeutung, in die die Merkmale Ertrag und Kornabreife einfließen. Je höher der Kornertrag und je niedriger die Restfeuchtegehalte im Korn, desto höher die Marktleistung. Eine Einschätzung der Ertragseigenschaften von Korn und Silo sind in Tabelle 2 für die diesjährig angebauten Sorten laut Bundessortenamt aufgeführt. Eine Sortenwahl von standfesten Doppelnutzungssorten ist anzuraten, wenn zur Ernte erst die Verwertungsrichtung Silo oder Korn entschieden werden soll. Einjährig geprüfte Sorten können im Probeanbau getestet werden.

Fazit

Es zeigt sich, dass der Körnermaisanbau in Schleswig-Holstein zwar machbar, aber nicht ohne Risiko ist. In diesem Jahr zum Beispiel zeigte sich die Wetterabhängigkeit des Anbaus im Sommer, ausbleibende Niederschläge nach der Blüte und hohe Temperaturen waren häufig der ertragsbegrenzende Faktor. Aber auch starke Stürme im Herbst vor der Kornernte oder auch Frosttage im Mai zum Auflaufen et cetera können zu Schwierigkeiten während des Körnermaisanbaus führen. Der Fokus der Sortenwahl sollte nicht nur auf dem Kornertrag liegen, weitere wertbestimmende Eigenschaften wie Abreife, Lageranfälligkeit und Anfälligkeit für Stängelfäule beeinflussen den sicheren Anbau. Standfeste Doppelnutzungssorten anzubauen ist auf jeden Fall anzuraten, wenn erst zur Silomaisernte entschieden werden soll, ob der Aufwuchs als Korn genutzt wird.

Einjährige Versuchsergebnisse zu Körnermais sind unter lksh.de/Landwirtschaft/Ackerkulturen/Mais einzusehen.

Auf die Jüngsten kommt es an – Potenziale nutzen

0

Endlich war es wieder so weit – der Rindertag fand wie gewohnt Ende November in Präsenz statt. Zahlreiche Besucherinnen und Besucher folgten der Einladung nach Rendsburg. Die Vortrags-Veranstaltung hatte das stets aktuelle Thema der Kälber- und Jungrinderaufzucht. Diesbezüglich haben viele Milchviehbetriebe noch Potenzial zur Optimierung. Um dieses aufdecken und nutzen zu können, haben die Referenten zu den speziellen Bedürfnissen von Kälbern beziehungsweise Jungtieren vorgetragen und daraus wichtige Aspekte für die Haltung, Fütterung und Tiergesundheit abgeleitet.

Thore Kühl von SVN Optipro guckt sich bei jedem Beratungstermin zuerst die Kälberaufzucht an.
Prof. Stefan Krüger von der Fachhochschule Kiel referierte darüber, wie beim Kalb die immunologische Lücke bestmöglich gemanagt werden kann.

Die Präsidentin der Landwirtschaftskammer, Ute Volquardsen, übernahm die Eröffnung und begrüßte anschließend Thore Kühl von SVN Optipro als ersten Redner. Dieser präsentierte die Ergebnisse zur Kälbergesundheit aus der Betriebsberatung. Das Ziel sind vitale, gut wachsende Kälber, die später als Milchkuh gesund und leistungsbereit möglichst lang in der Herde verbleiben. Die konkreten Zahlen für beispielsweise das Absetzgewicht oder Erstkalbealter, die hinter diesem Ziel stecken, sind hingegen sehr betriebs- und rasseindividuell. Folglich sollten auf jedem Betrieb individuelle und erreichbare Ziele definiert werden. Um sie zu erreichen, sollte zunächst die aktuelle Situation analysiert werden. Erst dann können Maßnahmen abgeleitet werden, um dem Ziel näherzukommen. Hierfür ist es empfehlenswert, Personen von außen miteinzubeziehen, da diese einen objektiveren Blick auf den Betrieb haben.

Wiegen ist wichtig

Mit die wichtigsten Kennzahlen der Kälberaufzucht sind die Tageszunahmen. Diese können nur ermittelt werden, wenn Kälber zu bestimmten Zeitpunkten gewogen werden. Dies ist auf den Betrieben nach wie vor selten der Fall. Doch wie sollen sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden, wenn nicht einmal bekannt ist, wie die aktuelle Situation aussieht? Die Einflüsse auf die Gewichtsentwicklung sind vielfältig. Neben der Fütterung und Haltung hat das Management einen entscheidenden Einfluss.

Prof. Stefan Krüger von der Fachhochschule Kiel sprach über das richtige Management der immunologischen Lücke bei Kälbern. Es ist allgemein bekannt, dass Kälber so schnell wie möglich und so viel wie möglich an Kolostrum erhalten sollen.

Die Organisatorinnen des Rindertages, Hannah Lehrke (li.) und Dr. Luise Prokop (r.), nehmen die Eröffnungsrednerin, Kammerpräsidentin Ute Volquardsen, in ihre Mitte.

Nicht pasteurisieren

Neben den Immunglobulinen spielen auch die bioaktiven Sub­stanzen im Kolostrum eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Kalbes. Diese werden durch die Pasteurisierung negativ beeinflusst, weshalb Kolostrum nicht pasteurisiert werden sollte. Die passive Immunität entsteht durch die Kolostrumaufnahme, während die aktive Immunität vom Kalb erst langsam aufgebaut wird.

Die immunologische Lücke entsteht am tiefsten Punkt der passiven und aktiven Immunität zwischen der dritten und sechsten Lebenswoche. Die Länge und der Zeitpunkt schwanken von Tier zu Tier und von Betrieb zu Betrieb. Die volle Leistungsfähigkeit des Immunsystems ist erst mit fünf bis acht Monaten erreicht und macht deutlich, wie wichtig das richtige Management für eine optimale Kälbergesundheit ist.

Immunologische Lücke

Das Immunsystem des Kalbes ist schon vor der Geburt aktiv. Während der Geburt kommt es zu einer immunsuppressiven Wirkung durch Steroidhormone, die von Kalb und Mutter zur Einleitung der Geburt produziert werden. Zu diesem Zeitpunkt besteht also ebenfalls eine immunologische Lücke. Kommt es dann noch zu einer Schwergeburt, hat dies massive negative Folgen wie zum Beispiel Stress, Trauma, Entzündungsreaktionen und Azidose für das Kalb. Das Schmerzmanagement nach Schwergeburten für Kalb und Kuh sollte im Blick behalten werden. Zu einer Ausschüttung von Steroidhormonen kommt es auch bei Stress, weshalb dieser das Immunsystem negativ beeinflusst. Am Ende dieses Vortrags war allen klar: Die Krankheit des Kalbes entscheidet über die Karriere der Kuh.

Dr. Ole Lamp (li.), Fachbereichsleiter Rind der Landwirtschaftskammer SH, und Dr. Heiner Kahle, Chef für Viehvermarktung und Marketing bei der RSH, moderierten gekonnt.

Ein Perspektivwechsel

Benito Weise von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen stellte anhand vieler Beispiele und auf eindrückliche Art und Weise das Hören und Sehen von Rindern dar. Rinder sind Fluchttiere und, um in der Natur zu überleben, auf eine ausgeprägte Sinneswahrnehmung angewiesen. Sie verlassen sich stark aufs Gehör und können sich darüber wahrscheinlich auch räumlich orientieren. Rinder können niedrige Frequenzen (Infraschall) und insbesondere hohe Frequenzen (Ultraschall) deutlich besser als der Mensch hören. Es ist daher ratsam, sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen und seinen Stall anzuhören, denn was wir gerade noch hören können, ist für das Rind unter Umständen schon ein lautes Geräusch und kann zu Verhaltensänderungen wie zum Beispiel Meideverhalten führen. Ein Radio sollte, wenn überhaupt, täglich zu den gleichen Zeiten, leise und mit entspannter Musik (zum Beispiel Klassik) eingeschaltet werden.

Beleuchtung kontrollieren

Benito Weise von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen schilderte, wie stressfreier Umgang mit dem Rind funktioniert, wenn man weiß, wie das Fluchttier sieht und hört.
Sybille Möcklinghoff-Wicke vom Innovationsteam Milch Hessen stellte die Fortführung des Holsteiner Kälberstalls, den Kälbergesundheitsstall, in Rendsburg vor.

Rinder haben aufgrund der Anordnung ihrer Augen ein sehr weites Sehfeld, nur einen schmalen Bereich hinter sich können sie nicht einsehen. Nehmen Rinder ein Geräusch wahr, wenden sie ihr Sehfeld dem Geräusch zu und beobachten die Bewegung. Durch die starke Einzelbildwahrnehmung erkennen sie kleinste Bewegungen auf größere Entfernungen. Allerdings können sie Entfernungen sehr schlecht abschätzen, weswegen in der Nähe von Rindern keine schnellen Bewegungen gemacht oder gerannt werden sollte. Die Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse ist bis zu fünf Mal langsamer als beim Menschen. Kommt ein Rind etwa tagsüber von der Weide in einen dunklen Stall, kann die Anpassung bis zu 30 min dauern, bis es wieder ausreichend sieht. Deshalb sollten Tiere möglichst vom Hellen ins Helle oder vom Dunklen ins Dunkle getrieben werden. Mit diesem Hintergrundwissen sollte die Beleuchtung in allen Bereichen kontrolliert werden.

Frühe Gruppenhaltung

Sybille Möcklinghoff-Wicke vom Innovationsteam Milch Hessen gab einen Ausblick auf die zukunftsfähige Kälberhaltung. Die Keimbelastung in der Umgebungsluft der Kälber zu minimieren, ist dabei eine der größten Herausforderungen. In den meisten Kälberställen ist die Keimbelastung viel zu hoch und führt zu dauernden, unterschwelligen Atemwegsproblemen. Um diese zu minimieren, sollten ein optimaler Luftaustausch, feste Trennwände und ausreichend Einstreu im Kälberbereich sein. Kälber sollten, wenn möglich, bis weit nach dem Absetzen nicht umgestallt und in festen, fixen Gruppen gehalten werden. Dies reduziert die Stressbelastung von Kälbern und bietet den Vorteil des Rein-Raus-Verfahrens. Eine paarweise oder Gruppenhaltung sollte möglichst früh durchgeführt werden. Dies fördert die kognitive Entwicklung und das Sozialverhalten von Kälbern. Sie können sich besser anpassen, sind neugieriger und dadurch stressresistenter.

Der Kälbergesundheitsstall

Als Weiterentwicklung des Holsteiner Kälberstalles wurde vom Innovationsteam Milch Hessen ein sogenannter Kälbergesundheitsstall entwickelt. Dabei standen ebenfalls das Minimieren von Kälbererkrankungen, ausreichend Platz, eine gute Luftqualität und die Arbeitserledigung im Vordergrund. Wie beim Holsteiner Kälberstall befinden sich die Kälberboxen auf der einen Seite und die Gruppenbuchten auf der anderen Seite des Stalles. Eine Schlauchlüftung garantiert auch bei windstillem Wetter einen ausreichenden Luftaustausch. Seitlich sind bewegliche Curtains angebracht. Ein Gefälle von etwa 1,5 % sollte sowohl unter den Einzelboxen als auch ein Längsgefälle über den gesamten Stall geplant werden, damit Flüssigkeiten und Waschwasser ablaufen können. Die Kosten eines Kälbergesundheitsstalles belaufen sich je nach Ausführung auf zirka 2.500 € pro Platz.

Das Zuchtziel von Landwirt Christof Kirst sind einwandfreie Fundamente und gute Klauen bei mittelrahmigen Kühen.
Volker Kaack von der Rinderzucht Schleswig-Holstein hielt das Schlusswort und fasste die Erkenntnisse des Rindertages zusammen.

Intensive Kälberaufzucht

Landwirt Christof Kirst aus Brande-Hörnerkirchen präsentierte seinen Betrieb und ging auf die Details seiner Kälberaufzucht ein. Im Nachfolgenden ausgesuchte Kennwerte zum Betrieb:

184 Kühe mit einer Leistung von 11.200 kg Milch

18 kg Lebenstagsleistung

26 % Remontierung

124 ha Landfläche

vier Arbeitskräfte

Alle Kälber erhalten innerhalb der ersten vier Lebensstunden Kolostrum. Anschließend werden sie intensiv aufgezogen und mit zweimal täglich 5 bis 6 l Milch getränkt. Dabei wird Vollmilch mit einem hochwertigen Milchaustauscher verschnitten. Außerdem steht den Kälbern immer frisches Wasser zur Verfügung. Nach drei Wochen werden die Kuhkälber in die Gruppenhaltung umgestallt. Die Einzeliglus werden gewaschen und desinfiziert.

Die vier bis sechs Kälber je Box werden restriktiv mit zweimal 4 l an Milkbars getränkt. Die Tränkephase dauert zwölf Wochen und währenddessen werden Kälbermüsli ad libitum und die Kuhration gefüttert. Von September bis April erhalten alle Kälber eine Grippe-Impfung. Diese intensive Kälberaufzucht führte zu einem reduzierten Erstkalbealter, einer höheren Einstiegsleistung der Färsen und die Abgangsleistung der Kühe erhöhte sich.

Fazit

Für eine erfolgreiche Kälber- und Jungviehaufzucht muss vieles beachtet werden. Das Leben des Kalbes startet mit einer immunologischen Lücke und die Kolos­trumversorgung sowie das richtige Management sind von zentraler Bedeutung. Aus dem Wissen um die Sinneswahrnehmung von Rindern lassen sich deren Bedürfnisse ableiten. Der Kälbergesundheitsstall kann ein Baustein für fittere Kälber sein, aus denen gesunde, leistungsbereite Kühe werden, die möglichst lang im Bestand bleiben. Für eine positive Betriebsentwicklung müssen zunächst Ziele definiert und der Istzustand analysiert werden. Es ist unerlässlich, Daten zu erfassen, um daraus Maßnahmen ableiten zu können.

Dino gegen Traktorhacke

0

Wie erfolgreich jäten Feldroboter? Vergleichstests mit konventioneller Hacktechnik zeigten ermutigende Ergebnisse, aber auch weiteren Entwicklungsbedarf.

In einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt zur herbizidfreien Beikrautregulierung an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) testeten Experten über zwei Jahre den Agrarroboter Dino des französischen Herstellers Naïo Technologies. „Die Einschränkungen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Schwierigkeiten bei der Einstellung geeigneter Saisonarbeitskräfte für das manuelle Hacken sind für Landwirte riesige Herausforderungen“, nennt Projektmitarbeiterin Anna Maria Molitor als Motivation für das Vorhaben. Zwar gelinge es bereits, den Herbizideinsatz in Gemüsekulturen durch Mulchfolien zu reduzieren. Auf der Negativseite ständen hier jedoch Bodeneinträge von Mikroplastik und das problematische Recyceln der verunreinigten Folien. Der Test dieses Roboters basierte auf einem Ergebnisvergleich des autonomen Geräts mit herkömmlicher Hacktechnik auf parallel angelegten Gemüseflächen.

Blind hacken oder aktiv mit Kamera

Der etwa 800 kg schwere Hackroboter mit einer Arbeitsbreite zwischen 120 und 160 cm (je nach eingestellter Spurweite) nutzt die bei der Kulturbegründung durch GNSS/RTK-Technik mit einer Genauigkeit von 2 cm aufgezeichneten Spurlinien. Dies erfolgt durch das Anbringen des mobilen GPS-Moduls des Roboters an der zuvor eingesetzten Sä- beziehungsweise Pflanzmaschine. Vor dem Übertragen der Daten auf den Roboter müssen diese per E-Mail-Anhang an den Vertragshändler – in diesem Fall die BayWa – gesendet und dort aufbereitet werden.

Zur Ausstattung dieses Roboters gehören die Fernsteuerung (li.) für kurze Fahrten zum Feld und der ebenfalls per Funk bedienbare Not-Stopp-Taster. Foto: Carmen Rudolph

Die Basisversion folgt auf dem Feld lediglich der RTK-Spur und kann mit Fingerrädern, Gänsefußscharen und weiteren passiven Werkzeugen zum Hacken zwischen den Reihen ausgestattet werden. Darüber hinaus lässt sich der Roboter mit einer Kamera zur Identifizierung der Kulturpflanzen aufrüsten. Erkennt die Bildauswertungssoftware Abweichungen zur Reihe, sendet sie ein entsprechendes Korrektursignal an den Verschieberahmen. Die Kamera ist Voraussetzung für ein weiteres Ausstattungsmerkmal, die aktive Hacktechnik in Form ausschwenkender Sichelarme. Dies ermöglicht die Beikrautregulierung auch in der Reihe. Alle drei Optionen waren Bestandteil der Versuchsreihen auf den Gemüsefeldern der LWG.

Die fest eingebauten Akkus versorgen das Gerät über acht bis zehn Stunden mit der notwendigen Energie. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 4 km/h ergibt sich daraus eine theoretische Arbeitsleistung von 5 ha am Tag. Über die Nacht benötigt die Maschine eine Steckdose zum Aufladen. Kürzere Wege zum Arbeitsort, die nicht über öffentliche Straßen führen, lassen sich per Fernsteuerung zurücklegen. Ansonsten erfolgt der Transport auf einem Anhänger.

Am Feld müssen die Werkzeuge eingestellt und die entsprechende Karte ausgewählt werden. Nach dem Start fährt der Roboter Reihe für Reihe ab, wendet automatisch und signalisiert, wenn er fertig ist. „Die Einrichtung auf einer klar umrissenen Fläche ist eigentlich simpel. Komplizierter wird es jedoch, wenn Hindernisse umfahren werden müssen“, berichtet die Agrarwissenschaftlerin.

Um während des autonomen Einsatzes die Sicherheit zu gewährleisten, ist der Roboter mit einem Laserscanner ausgestattet, der Hindernisse in der Umgebung erkennt und gegebenenfalls einen Not-Halt einleiten kann. Vor den Rädern befinden sich zudem Drucksen­soren, die bei Berührung ebenfalls zu einem Stopp führen. Darüber hinaus lässt sich das Gerät über einen Taster am Chassis sowie an der Fernbedienung schlagartig außer Betrieb setzen. Trotz dieser Sicherheitseinrichtungen darf die Maschine nicht gänzlich ohne Aufsicht agieren. Dies verbietet die EU-Maschinenrichtlinie (2006/42/EG). Sie fordert für die Fahrzeuglenkung zumindest eine menschliche Aufsicht vor Ort, während der allerdings nebenher andere Tätigkeiten ausgeführt werden können. Als Alternative strebt der Hersteller eine Video-Fernüberwachung an.

Je nach Ausstattung kostet der Dino beim Händler zwischen 100.000 und 160.000 €.

Beim Jäten zwischen den Reihen mit Gänsefußscharen und Fingerhacken zeigte der Farmroboter Dino auf den LWG-Versuchsparzellen ein gutes Hackergebnis. Foto: LWG/Anna Maria Molitor
Dank der vier lenkbaren Räder wendet der Feldroboter am Ende des Feldes nahezu auf der Stelle. Foto: Carmen Rudolph
Innovationen konventioneller Hackgeräte, wie die schneidenden Winkelmesserpaare am Robovator von K.U.L.T., kommen auch in autonomen Maschinen zum Einsatz. Die Herausforderung liegt in jedem Fall in der Schonung der Kulturpflanzen. Foto: Carmen Rudolph
Der Roboter Oz ist der kleine Bruder des Dino. Der autonom fahrende Geräteträger kann Hacken, Striegel oder Säaggregat aufnehmen und ist insbesondere für den Einsatz in Folientunneln konzipiert. Foto: Carmen Rudolph


Wurden gute Arbeitsergebnisse erreicht?

In den Versuchen mit Zwiebeln und Roter Bete verglichen die Wissenschaftler die Arbeitsergebnisse von konventioneller Hacktechnik am Traktor-Geräteträger mit dem des autonomen Systems von Naïo. Die Traktorhacke kam alle zwei Wochen zum Einsatz, der Hackroboter in einer Variante ebenfalls 14-täglich (Dino extensiv), aber auf einer parallelen Testfläche auch wöchentlich (Dino intensiv). Dazu wurden im Frühjahr 2021 für beide Kulturen und Varianten jeweils drei, also insgesamt 18 Beete angelegt. Die an allen Maschinen identische Werkzeugausstattung umfasste zunächst Gänsefußschare mit Hackschutzrollen und später eine Kombination aus Fingerhacken und Gänsefußscharen. „In den Zwiebelbeeten entwickelte sich das Beikraut Ende Juni sehr stark, sodass wir uns entschlossen, zusätzlich zu den Maschinenüberfahrten in allen Varianten mit der Handhacke durchzugehen“, merkte Molitor an.

Anfang August vergangenen Jahres startete eine zweite Phase, da nun ein Roboter in Vollausstattung mit Kamera und aktiver Hacke zur Verfügung stand. Angelehnt an den Versuchsaufbau in Phase 1 übernahm dieser im Wettbewerb mit konventioneller Hacktechnik die Beikrautregulierung in den Kulturen Salat und Kohlrabi.

Beim Jäten zwischen den Reihen zeigte der Dino in den Versuchskulturen Rote Bete und Zwiebeln ein gutes Hackergebnis bis nahe an die Pflanzen heran, so das Resümee der Agrarwissenschaftlerin nach den Exaktversuchen. Zumindest in den wöchentlich gehackten Beeten (Dino intensiv) habe man ähnlich viele Beikräuter gezählt wie auf den Flächen, auf denen die Traktorhacke alle zwei Wochen unterwegs war. Da aber der Roboterbetrieb einen deutlich geringeren Personaleinsatz erfordere, sei der Arbeitsaufwand also durchaus vergleichbar. Ebenso waren zwischen den Varianten weder bei der Roten Bete noch bei den Zwiebeln Unterschiede in der Kulturpflanzenentwicklung feststellbar. Der häufigere Einsatz des Roboters führe demnach nicht zu größeren Ernteverlusten als mit konventioneller Technik in weiteren Zeitabständen.

Tests verdeutlichten Entwicklungsbedarf

Als Nachteile der Roboterhacke nennt Molitor den zeitlichen Aufwand für die Fahrten mit 4 km/h und die Transporte auf dem Anhänger zum Feld und zurück an die Hofsteckdose. Auch das Einstellen und Austauschen der Werkzeuge sei umständlicher als bei einem Geräteträger am Traktor, da sie unter der Maschine verbaut sind und die Parallelogramme einzeln verschoben werden müssen. Verbesserungspotenzial sieht Molitor zudem bei der Fernbedienung, die öfter den Kontakt zum Gerät verliert, und beim Sicherheitslaser, der hoch gewachsene Beikräuter aber auch große Kultupflanzen, etwa Mais, auf angrenzenden Flächen als Hindernisse einstuft und entsprechende Fahrmanöver auslöst. Der technische Support beim Vertriebspartner habe gut geklappt. „Allerdings konnten die Servicemonteure nicht alle Fehler gleich beheben. Waren Rücksprachen mit dem Hersteller erforderlich, dauerte es dann doch länger“, so Molitor.

Als besonders problematisch habe sich der Einsatz der Dino-Variante erwiesen, in der zusätzlich eine kamerageführte Vorrichtung zum Hacken zwischen den Pflanzen innerhalb der Reihen fest verbaut ist. Beim Zusammenspiel zwischen Roboter und der Hackmechanik des englischen Herstellers Tillett & Hague Technology bestehe offensichtlich noch Entwicklungsbedarf. So habe die Kamera rotblättrigen Salat nicht erkannt und es seien hohe Verluste entstanden. Das Entfernen der aktiven Hacke könne aber nur vom Hersteller durchgeführt werden. Zwar lasse sich zum Hacken in eng stehenden Kulturen, etwa Zwiebeln, der Drehmechanismus der Sichelhacke ausschalten. Für andere Werkzeuge fehle dann aber der Platz. Im Anschlussprojekt „Innovative Methoden zur ökologischen Beikrautregulierung im Gartenbau“ werden die Tests und Exaktversuche bis Anfang 2025 fortgesetzt. Dann gehe es um einen Vergleich zwischen Hackrobotern unterschiedlicher Hersteller.

Fazit

Die Versuche der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau zeigen, dass der Hackroboter Dino mit der konventionellen Technik mithalten kann. In den nächsten Jahren werden sich die autonomen Maschinen weiterentwickeln und verbessern. Hoffentlich dürfen sie dann auch ohne menschliche Aufsicht ihre Feldarbeit verrichten. Darauf kann man warten. Aber auch jetzt schon ist für technikbegeisterte Landwirte zumindest im ökologischen und regenerativen Landbau und bei guter Integrationsmöglichkeit in den Betriebsablauf die Anschaffung von Robotern durchaus eine Überlegung wert. Wer sich einen Roboter für die Beikrautbeseitigung zulegen will, sollte sich beim jetzigen Entwicklungsstand jedoch überlegen, ob er die aktive Hacke wirklich braucht oder ob die einfache, aber exakt arbeitende passive Hacktechnik der Basisversion ausreicht.

Ein turbulentes Getreidemarktjahr

0

Das Kalenderjahr geht zu Ende und damit die erste Hälfte der Vermarktungssaison. Der Löwenanteil der Ernte 2022 hat sich vom Erzeuger in die Hände von Verwertern und Händlern bewegt. Seit einigen Wochen ist es sehr ruhig am hiesigen Getreidemarkt. Landwirte haben ihre geplanten Verkäufe längst getätigt und wohl so manche zusätzliche Tonnage aus Preisgründen verkauft. Trotz jüngster Rückgänge bleibt das Preisniveau bemerkenswert. Brotweizen kostet derzeit „nur“ 18 €/t mehr als im Dezember des Vorjahres, aber immer noch 112 €/t mehr als im Schnitt der Jahre 2013 bis 2020. Das Jahresende bedeutet in nördlichen Breitengraden Winterruhe. Es besteht kein Verkaufsdruck, die Ernteergebnisse stehen fest. Man kann sich entweder näher mit den Geschehnissen des endenden Jahres beschäftigen oder davon Abstand nehmen. Auf der südlichen Hemisphäre hingegen ist jetzt Erntezeit und damit Hochbetrieb im Agrarsektor. Wie so oft in diesem Jahr türmen sich auch hier die Superlative: die kleinste argentinische Weizenernte seit Jahren, die größte brasilianische Sojaernte jemals, die erneute Rekordgetreideernte in Australien.

Preisvolatilität ist Alltag

Flüchtige Kurse am Getreidemarkt sind in diesem Jahr zur Normalität geworden. Man könnte „volatile Preise“ quasi zum Marktbegriff des Jahres wählen, nachdem „Zeitenwende“ schon das Wort des Jahres wurde. Die täglichen Schwankungen der Kurse waren groß, ein Blick auf die Börse ist fast jedes Mal überraschend. Waren die Kurse im Aufwind, konnte nicht wie in friedlichen Jahren die allgemeine Entwicklung abgewartet werden. Stattdessen lohnte sich in diesem Jahr manchmal ein flotter Anruf beim Landhändler, der richtige Verkaufszeitpunkt war teilweise eine Frage von Stunden. Einige Händler passten die Preislisten mehrmals täglich an. So mancher Preisspitze folgte in den vergangenen Monaten ein ebenso steiler Preisrückgang. Die Vermarktung der Ernte ähnelte damit eher dem (risikoreichen) Handel direkt an der Terminbörse als dem am lokalen Markt. Man brauchte Nervenstärke und auch Glück. Die Preiskapriolen ließen manche Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter mutiger werden, zum Beispiel um einen preislichen Aufschwung auszusitzen. Die Chance, unerwarteten Profit zu machen, ließ in manchen Phasen einen möglichen Preisrückgang verblassen. Das schon bestehende Plus zu Vorjahrespreisen rückte in der subjektiven Wahrnehmung in den Hintergrund. Hingegen beobachten Handelsunternehmen aber eine deutliche Zurückhaltung beim Thema Vorkontrakte. Solche Erzeuger, die mit Vorverkäufen von 2021 weit unter den möglichen Höchstpreisen bei Getreide und vor allem Raps lagen, lassen jetzt die Finger von Kontrakten. Fragt man derzeit nach Prognosen für das kommende Jahr, so rechnen die einen mit einem preisstarken Frühjahr, sicherlich geprägt von Schwankungen. Die anderen begnügen sich mit der vorsichtigen Prognose einer generell weiter festen Preistendenz.

Spannende Aussicht

Wie geht es jetzt tatsächlich weiter? Auf der Südhalbkugel hat die Sommer- und Erntesaison begonnen. In Australien läuft die Getreideernte und man rechnet mit einer Rekorderntemenge an Weizen und Raps zum dritten Mal in Folge. Dies trägt zum derzeitigen Kursrückgang dieser Ackerfrüchte bei. Jedoch haben frühere Starkregenereignisse und jetzige Überschwemmungen Einfluss auf die Qualität des Erntegutes. In Argentinien reduziert sich der Weizenertrag aufgrund von Dürre um fast die Hälfte von 22 Mio. t im Vorjahr auf 12,5 Mio. t. Diese beiden Länder und die weiteren großen Exportregionen EU, USA, Russland und Ukraine liefern sich vermutlich weiterhin ein Exportwettrennen rund um die Wechselkurse. Mit unvorhersehbaren Störungen des Marktgeschehens und politischer Steuerung von Teilmärkten muss 2023 gerechnet werden. Entsprechend spannend könnte die Preisentwicklung werden. Aber wie sagte der Komiker Karl Valentin einst: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“

Veränderungen zu höheren Haltungsstufen in der Schweinehaltung digital unterstützen

0

Engagierte Schweine haltende Betriebe in Schleswig-Holstein haben im September damit begonnen, zukünftige Dienstleistungsangebote für die Umstellung ihrer Haltungsform und ihres Betriebsmanagements auf die Haltungsstufen 3 und 4 mitzugestalten. Ziel ist eine noch stärkere digitale Vernetzung der Betriebe mit ihren Dienstleistern in der Beratung, Qualifizierung und Vermarktung, um die Herausforderungen und Risiken der Umstellung gemeinsam zu meistern.

Die Vermarktungsgemeinschaft für Zucht- und Nutzvieh ZNVG eG als Leadpartner, die Fachhochschule Kiel sowie die Education and Qualification Alliance SCE mbH – EQAsce haben sich zu diesem Zweck im EIP.Agri.SH-Projekt „Smart Service zur Unterstützung der Transformation der Schweinehaltung in Schleswig-Holstein“ zu einer sogenannten operationellen Gruppe (OG) zusammengeschlossen.

Am Beispiel von Pilotbetrieben in Schleswig-Holstein soll der Veränderungsprozess in der Schweinehaltung hin zu den Haltungsstufen 3 und 4 bewertet, digital gestaltet und erprobt werden. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung eines für die Bedürfnisse der Betriebe maßgeschneiderten digitalen Dienstleistungspaketes. Die Datenhoheit liegt dabei bei den landwirtschaftlichen Betrieben, sie entscheiden, welche produkt-, prozess- und personenbezogenen Daten mit welchen Marktpartnern zu von ihnen bestimmten Konditionen ausgetauscht werden. Die Betriebe in Schleswig-Holstein profitieren dabei von der Vorarbeit ihrer Berufskollegen und -kolleginnen aus dem EIP.Agri.NRW-Projekt ­„GeTie – Gemeinschaftsleistung Tierwohl“. In diesem Projekt wurde die Grundstruktur der ersten auf landwirtschaftliche Betriebe zentrierten Plattformgenossenschaft in Europa festgelegt, die im nun gestarteten Projekt „Smart Service Zukunft“ zum Nutzen insbesondere von Betrieben mit dem Produktionszweig tierische Veredlung weiterentwickelt wird.

Der bundesweite Erfahrungsaustausch ist allen Mitgliedern der OG besonders wichtig. Deshalb ist im ersten Arbeitspaket kurz nach Projektstart eine deutschlandweite Umfrage zu Zukunftsstrategien Schweine haltender Betriebe gestartet worden. Darüber hinaus hat sich die OG zunächst mit einem Kurzvideo am Gemeinschaftsstand der ZNVG eG auf der EuroTier in Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Zwischenergebnisse und die Auswertung der Umfrage zu dem EIP-Innovationsprojekt „Smart Service Zukunft“ wurden am 13. Dezember auf der ZNVG-Wintertagung in Nortorf präsentiert und anschließend in einem weiteren EQA-Band „Wissen kompakt“ veröffentlicht. Die Umfrage läuft noch bis Februar 2023 und ist unter https://t1p.de/qjift erreichbar.

Der nächste Schritt wird sein, gemeinsam mit den teilnehmenden Projektlandwirten zu evaluieren, welche Anforderungen sie und ihre Berufskollegen an das Projekt haben. Dies passiert in Vor-Ort-Workshops und Treffen in den angeschlossenen landwirtschaftlichen Betrieben der operationellen Gruppe.