Der Druck auf die landwirtschaftliche Fläche wächst: Neben dem Natur- und Klimaschutz meldet zusätzlich die Energiewende steigende Bedarfe an. Auf dem Landesnaturschutztag, der am Donnerstag in Neumünster stattfand, rangen die Teilnehmer um Lösungen – zum Beispiel Mehrfachnutzungen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt zeichnete zunächst ein düsteres Bild. „Wir haben einen Klimawandelleugner als neuen US-Präsidenten“, so der Grünen-Politiker. Zudem bezeichnete er die Weltbiodiversitätskonferenz in Kolumbien als gescheitert. Auch die Weltklimakonferenz, die bis Ende kommender Woche in Aserbaidschan stattfindet, stünde unter „denkbar schlechten Vorzeichen“.
Gesunde Natur als Sicherheitsgarant
Dabei sei es keine Option, die „Pausetaste“ im Klima- und Umweltschutz zu drücken. Diese Krisen würden zunehmend auch sicherheitspolitisch relevant, weil Ökosystemdienstleistungen gefährdet seien. Das könne zu massiven Flüchtlingsbewegungen führen, argumentierte Goldschmidt. „Wir müssen die Klimakrise und die Biodiversitätskrise stoppen“, appellierte der Minister. Das Landschaftsbild und auch die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein würden sich dadurch ändern.
Explizit begrüßte Goldschmidt die anwesenden Landnutzer: „Dass viele Landwirte hier sind, ist ein Zeichen der Hoffnung in schwierigen Zeiten.“ Nur wenn sich die verschiedenen Interessengruppen vertrügen, seien gute Lösungen möglich. Schleswig-Holstein sei hier weiter als viele andere Bundesländer. Er betonte: „Landwirtschaft und Naturschutz raufen sich oft, schauen aber eigentlich auf unterschiedliche Flächen.“ Landwirtschaft ziele insbesondere auf Hochertragsstandorte, Naturschutz eher auf Grenzertragsstandorte.
Jetzt komme allerdings die Energiewende dazu, die ebenfalls Flächenansprüche anmelde. Dabei gelte es, den Schaden für die Natur möglichst gering zu halten. Aktuell gebe es einen explosionsartigen Zubau von Photovoltaik-Anlagen (PV) auf Freiflächen. Das sieht der Minister kritisch. Er forderte: „Wir müssen daran arbeiten, die PV auf versiegelte Flächen zu bringen.“ Sein Vorschlag: Auf jedes neue Dach muss verpflichtend PV drauf. Der Minister unterstrich, dass auch der Netzausbau viel Fläche in Anspruch nehmen werde, ebenso die Ansiedlung von Folgetechnologien, zum Beispiel Elektrolyseure.
Ziel der Landesregierung bleibe, Schleswig-Holstein bis 2040 zum klimaneutralen Industrieland umzubauen. Um dabei den Natur- und Umweltschutz nicht zu vernachlässigen könnten Mehrfachnutzungen eine Lösung sein. Goldschmidt nannte PV auf Gebäuden, Agri-PV und Moor-PV als Beispiele. „Wir arbeiten heute immer mehr in integrierten Systemen. Strategien müssen im Miteinander entwickelt werden und auch die landwirtschaftlichen Belange müssen immer mitgedacht werden“, verdeutlichte der Minister.
Energiewende braucht mehr als tausend Hektar
Dr. Markus Hirschfeld vom Kieler Umweltministerium bestätigte, dass die Energiewende massiv in Schutzgüter eingreife. So werde Schleswig-Holstein aufgrund des Windenergieflächenbedarfgesetzes des Bundes bis Ende 2032 mindestens 2,0 % der Fläche als Windenergiefläche ausweisen. Das Problem dabei: Der Bund rechne anders als es das Land bisher tat, sodass sich nach Landesrechnung 3 % der Landesfläche ergäben. Das mache also die Ausweisung zusätzlicher Flächen notwendig.
Bei PV gebe es kein gesetzlich verankertes qualitatives Ausbauziel. Enormen Bedarf melde jedoch der Netzausbau an. Rund 800 ha Flächenbedarf hätten allein neue Umspannwerke. Dazu kämen Bedarfe für rund 950 km neue Freileitungen und Erdkabel. Auch das Wasserstoff-Kernnetz werde neben umzunutzenden Gasleitungen um mindestens 82 km neuer Leitungen erweitert.
Dr. Elke Bruns vom Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende in Berlin erinnerte an die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie. Danach sollen 30 % aller Flächen Schutzgebiete werden, davon sollen 10 % unter strengem Schutz stehen. Nach Zahlen des Nabu hinke Schleswig-Holstein mit etwas mehr als 10 % Schutzgebietsausweisungen deutlich hinterher. Dabei sei Flächenzugriff und Sicherung aus ihrer Sicht das Mittel der Wahl für den Naturschutz. In diesem Zusammenhang bedauerte Bruns, dass Fördermittel für den Naturschutz teilweise nicht dafür eingesetzt werden dürfen, Landwirte Flächen wegzukaufen.
Bauern stemmen sich gegen Schwarzmalerei
Alexander Schwarzlose, Vorsitzender Nabu Schleswig-Holstein warnte: „Die Klima- und Biodiversitätskrise sind existenzbedrohend“. Beide Krisen begünstigten einander. Er forderte, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien nicht auf Kosten das Naturschutzes geschehen dürfe, was jedoch gerade passiere. Schwarzlose kritisierte auch zu hohe Pauschalabstände von Windkraftanlagen zu Wohnsiedlungen. Das benachteilige sowohl Fledermäuse aus auch Wildvögel – zum Beispiel den Seeadler – die in ihren Brutplätzen eingeschränkt würden. Der Nabu-Vorsitzende sprach sich vehement gegen Mehrfachnutzungen aus. „Windenergieanlagen und PV-Anlagen dürfen nicht in Mooren gebaut werden“, so Schwarzlose.
Eine positive Grundhaltung zeigte Ludwig Hirschberg, Vizepräsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein (BVSH). Er setzte auf gute Botschaften: „Wir Landwirte stehen den Naturschutzzielen nicht entgegen.“ Hirschberg betonte, dass Naturschutz vielerorts auch Abseits von Gesetzen und Verordnungen geschieht. Nach seinen Angaben finden auf vielen Flächen Schutzmaßnahmen statt, die nicht in Kulissen auftauchten. Die Landwirtschaft in der Gunstregion Schleswig-Holstein bewege sich auf sehr hohem Niveau. Aber die landwirtschaftlich genutzte Fläche schrumpfe.
In diesem Zusammenhang warnte er vor dem Export von Umweltproblemen, wenn Lebensmittel aus dem Ausland unter Inkaufnahme viel höherer Umweltschäden importiert würden. „Wir brauchen kluge Lösungen und differenzierte Maßnahmen“, so der BVSH-Vizepräsident. Sonst gebe es keine Gewinner, außer der Bürokratie.
Marcus Hrach vom Landesverband Erneuerbare Energien pflichtete Hirschberg bei: „Ein Gemeinsames Problemverständnis ist entscheidend.“ Er empfinde die Zusammenarbeit zwischen der Erneuerbaren-Branche, Behörden und Naturschützern in Schleswig-Holstein als konstruktiv.
Artenschutz muss aus seiner Sicht dort ansetzen, wo er am effektivsten ist. Als Beispiel nannte er den bisherigen Verdacht, dass Windkraftanlagen eine Hauptursache für den Tod von Rotmilanen sei. Eine Untersuchung habe nun ergeben, dass Windräder nur für 8 % der unnatürlichen Todesursachen der Rotmilane verantwortlich seien. Eine noch geringere Quote sei zwar wünschenswert, aber die Hauptursache seien Windkraftanlagen nachgewiesener Weise nicht.
Jörg Bülow, Vertreter des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetages, erklärte: „Kommunen und Gemeinden in sind aufgeschlossen und aktiv beim Ausbau der Erneuerbaren.“ Es gebe jedoch außerordentlich schwierige Abwägungen. Kommunalpolitik habe zudem weitere Ziele zu beachten, wie den Ausbau der Infrastruktur, Arbeitsplätze, den Wohnungsbau und den Schutz des Landschaftsbildes. Er kritisierte die Privilegierungstatbestände des Bundes, weil diese die „letzten Steuerungsmöglichkeiten“ der Kommunen begrenzten. Den Solarerlass des Landes mit dem Vorrang für Freiflächen-PV werde von den Kommunen und Gemeinden begrüßt. Grundsätzlich warb Bülow mit Blick auf den Ausbau der Erneuerbaren für eine stärkere Gewichtung qualitative Kriterien statt quantitativer.
Mit Biogas gegen Dunkelflauten
BVSH-Präsident Klaus-Peter Lucht zog ein positives Veranstaltungsfazit. Das Thema der Flächenkonkurrenz sei gut gewählt worden. Der Bauernverband setzte darauf gemeinschaftlich mit Behörden und Naturschutzverbänden Flächen zu identifizieren, die für eine Mehrfachnutzung in Betracht kommen. „Moor nur für Moorschutz können wir uns nicht mehr leisten“, stellte Lucht klar. Aus seiner Sicht gehören PV-Anlagen vorrangig auf versiegelte Flächen, bevor Äcker und Wiesen dafür auf der Nutzung genommen werden.
Er stellte außerdem die Vorteile der Biogaserzeugung in den Vordergrund. Insbesondere während Dunkelflauten stützten Biogasanlagen die Grundlast und sorgten so für Energiesicherheit.