Die politische Übereinkunft auf ein Handelsabkommen zwischen den Mercosur-Staaten und der Europäischen Union ist über der Ziellinie. Vertreter aus EU-Kommission und der südamerikanischen Staaten haben sich am Freitag in Montevideo geeinigt. Was zuvor unklar war, sprach die doch eigens nach Uruguay gereiste Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von der größten Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat: „Jetzt gibt es die Chance, einen Markt mit 700 Mio. Menschen zu schaffen.“
Die Einigung wird nun von beiden Seiten rechtlich geprüft und in einen Vorschlag für einen Vertragstext überführt. Allein dieser Vorgang soll laut Kommission mehrere Monate in Anspruch nehmen – mindestens. Nach wie vor scheint die Rechtsgrundlage nämlich unklar. Möglich wäre ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“. Dann würde ein Abkommen neben dem Handelsteil beispielsweise Fragen zum Investitionsschutz enthalten. Letzterer fällt allein in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dann müssten auch die nationalen Parlamente in der EU dem Vertrag ihr Plazet geben; dies wäre mit einem Veto-Recht gleichzusetzen. Konkret hieße das: Wenn Mercosur-Kritiker wie Frankreich nicht zustimmen würden, könnte der Vertrag nicht in Kraft treten.
Die zweite Option wäre ein reines Handelsabkommen, das nach der Zustimmung des Rates mit qualifizierter Mehrheit und des Europaparlaments in Kraft treten könnte. Bei dieser Variante wäre eine Zustimmung dementsprechend sehr viel wahrscheinlicher.
Stopp der Entwaldung bis 2030
Welche Änderungen im Vergleich zur vorläufigen Einigung aus dem Jahr 2019 erfolgt sind, will die Kommission dem Vernehmen nach „in Kürze“ offenlegen. Klar scheint bereits jetzt, dass ein rechtlich verbindlicher Stopp der Entwaldung in den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay bis 2030 festgeschrieben werden soll. Darüber hinaus hat die Mercosur-Seite Kommissionskreisen zufolge einem Streitschlichtungspanel zugestimmt. Das Gremium soll bei bestimmten Konflikten für beide Seiten rechtlich verbindliche Urteile fällen dürfen.
Hochrangige Kommissionsbeamte stellen zudem klar, dass Brüssel weiterhin keine Kompromisse bei der Einfuhr von Rindfleisch von Tieren machen wird, die zuvor mit Wachstumshormonen behandelt worden sind. Bei den vielfach aus dem Agrarsektor geforderten Spiegelklauseln – also der Gleichwertigkeit von Produktionsstandards – sei aber Vorsicht angebracht. Hier warnen die Beamten vor überzogenen Forderungen, da andernfalls auch die Südamerikaner der EU Vorhaltungen machen könnten. So sei der Mercosur-Block beispielsweise beim Anteil erneuerbarer Energien deutlich weiter als die EU.
Einigung bei Freihandelsquoten
Was die Freihandelsquoten angeht, dürften diese den 2019 getroffenen Vereinbarungen im Wesentlichen entsprechen. Demnach soll den Mercosur-Staaten unter anderem schrittweise über fünf Jahre eine Freihandelsquote für Geflügelfleisch von 180.000 Tonnen zugestanden werden. Zudem wird – gestuft über sieben Jahre – ein Importkontingent von 99.000 Tonnen Rindfleisch zu einem Zollsatz von 7,5% eingerichtet.
Für Ethanol aus dem Mercosur-Block ist offenbar weiterhin ein Jahreszollkontingent von 650.000 Tonnen vorgesehen. 450.000 Tonnen davon sollen zollfrei von der EU-Chemieindustrie bezogen werden können. Für die darüber hinausgehende Menge von 200.000 Tonnen soll keine Zweckbindung gelten.
Überdies wird weiter ein zollfreies Lieferkontingent von 180.000 Tonnen Zucker jährlich zugestanden. Zusätzlich darf Paraguay 10.000 Tonnen Feinzucker einführen. Daneben soll es für den Mercosur-Block ein zollfreies Jahreseinfuhrkontingent von 45.000 Tonnen Honig geben.
Null-Zollsatz für EU-Milchprodukte
Ferner sieht die Übereinkunft für garantiert hormonfreies Schweinefleisch eine Quote von 25.000 Tonnen zu einem reduzierten Einfuhrzoll vor. Im Gegenzug haben die vier südamerikanischen Länder einer Öffnung ihres Schweinefleischmarktes für EU-Ware zugestimmt. Details wurden am Freitag noch nicht bekannt gegeben.
Schwächer fallen die Zugeständnisse der EU für Milchprodukte aus. An Käse sollen die Mercosur-Staaten 30.000 Tonnen, an Magermilchpulver 10.000 Tonnen liefern dürfen. Allerdings erklären hochrangige Kommissionsbeamte, dass für Milchpulver, bestimmte Käsearten sowie Kindernahrung die Mercosur-Zölle für EU-Importe bei 0% liegen sollen. Auch sollen Handelsschranken für Wein, Spirituosen und Olivenöl reduziert werden. Zudem werden 350 geografische Angaben aus der EU im Mercosur-Block vor Nachahmung geschützt; darunter Parmesankäse und Comté.
Geteilte Meinungen bis zum Schluss
Noch zu Anfang dieser Woche hieß es die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) werde nicht an dem Gipfel in Montevideo teilnehmen, so die neue Kommissionssprecherin Paula Pinho in Brüssel. In Frankreich hatten sich die Regierung sowie auch das Parlament des Landes am späten Dienstagabend gegen das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen MercosurStaaten ausgesprochen. Aus Brüssel hieß es zu diesem Zeitpunkt, die Gespräche auf technischer Ebene hielten an. Zuvor hatte es geheißen, von der Leyen könnte zu dem Gipfel in Uruguays Hauptstadt Montevideo reisen und dort im Namen der EU das lange geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern paraphieren, also vorläufig unterzeichnen.
Das Abkommen soll eine der weltweit größten Freihandelszonen mit über 715 Millionen Einwohnern schaffen. Dazu gehören auf südamerikanischer Seite Uruguay, Argentinien, Brasilien und Paraguay. Die Bundesregierung und große Teile der deutschen Wirtschaft sind für den Abschluss. Frankreich und Polen sind dagegen. Beide Länder fürchten Konkurrenz für heimische Landwirte, unter anderem durch günstigeres Geflügel- und Rindfleisch aus Südamerika.
Bedenken bei Copa Cogeca
Auch bei den EU-Ausschüssen der Bauernverbände (Copa) und ländlichen Genossenschaften (Cogeca) stieg mit Blick auf das geplante Mercosur-Abkommen die Anspannung. In der Vorwoche tagte das Präsidium in Brüssel. Dabei sollen nahezu alle Vertreter der nationalen Delegationen ihre Bedenken respektive ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht haben. Auch der neue EU-Agrarkommissar Christophe Hansen war vor Ort. Etwas zurückhaltender sollen die Äußerungen vonseiten der Landwirtsvertreter der Iberischen Halbinsel gewesen sein. Traditionell gibt es zwischen Portugal und Spanien vor allem mit dem Mercosur-Mitglied Brasilien engere Handelsbeziehungen. Gleichwohl hält die überwiegende Mehrheit den landwirtschaftlichen Teil eines potenziellen Abkommen für unausgewogen.
Beklagt wrden die „großen Unterschiede“ in den Produktionsstandards. Zudem enthält das Abkommen nach Darstellung von Copa und Cogeca keine ausreichenden Ausgleichs- oder Notfallmechanismen. Kritik wurde geäußert an möglichen Plänen der EU-Kommission, einen Ausgleichsfonds für die Landwirtschaft anzulegen. Der Vorschlag wurde als „Almosen“ abgetan.
Die Gespräche über das Abkommen dauern bereits seit 25 Jahren an. Kritiker führen neben Bedenken der Landwirte auch die fortschreitende Abholzung des Regenwaldes am Amazonas an. Kommentatoren stellen die Frage, ob die EU-Kommissionschefin zögert, weil sie den Eindruck vermeiden wolle, dass Brüssel ein unpopuläres Handelsabkommen gegen den Willen der europäischen Bauern durchdrückt. Dies, so die Sorge, wäre eine Vorlage für Rechtspopulisten.
In Europa sind die Länder am skeptischsten, in denen Rechtspopulisten besonders stark sind: Frankreich, Polen, Österreich und die Niederlande. Auch die italienische Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat Bedenken geäußert. Sollten die fünf Länder im EU-Rat gegen das Abkommen stimmen, hätten sie die nötige Sperrminorität. Der Deal wäre damit gescheitert.
Härterte Wettbewerbsposition für EU Landwirte
Rolf J. Langhammer, Handelsexperte am Kieler Institut für Weltwirtschaft, zeigte Verständnis für die Ängste der Landwirte: „Es käme auf jeden Fall mehr Rindfleisch aus diesen Ländern in den Markt hinein – in einen Markt, in dem sowieso zurzeit insgesamt weniger Rindfleisch konsumiert wird. Und das bedeutet natürlich, man muss sich auf eine härtere Wettbewerbsposition einstellen.“ Zum Vergleich: Innerhalb der EU-27 wurden allein in Frankreich im Jahr 2023 1,3 Mio. t Rindfleisch verzehrt. Neben Rindfleisch gehe es um Hähnchenfleisch und auch um Zucker. Insgesamt ist der Kieler Handelsexperte ein Unterstützer des Mercosur-Abkommens. Die EU laufe Gefahr, zwischen den beiden Riesen USA und China zerrieben zu werden. Die Chance, aus dieser Situation herauszukommen, sei ein Freihandelsabkommen mit möglichst vielen Ländern, so Langhammer. age, mbw
Rukwied: Mercosur-Einigung geht auf Kosten der Landwirtschaft
EU-Rat und Parlament dürfen Abkommen in dieser Form nicht annehmen (DBV) Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, zeigt sich enttäuscht, dass das Mercosur-Abkommen ohne wesentliche Veränderungen des Agrarteils zum Abschluss gebracht wurde: „Wir Bauern wurden nicht gehört. Dieses Abkommen geht einseitig zu Lasten der europäischen Bauern und schwächt unsere Betriebe massiv im Wettbewerb. Damit ist es das Gegenteil der von der EU-Kommission zugesagten Stärkung der europäischen Landwirtschaft. Die geplanten Mechanismen zum Schutz europäischer Standards für Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung sind nach wie vor völlig unzureichend. Das Europäische Parlament und der Europäische Rat als nun entscheidende Institutionen dürfen das Abkommen in dieser Form nicht annehmen!“ (DBV)