Landwirtschaft und Naturschutz arbeiten eng zusammen. Wie sich dabei die unterschiedlichen Belange im Rahmen gesamtbetrieblicher Ansätze in Einklang bringen lassen, wurde über drei Jahre im Rahmen des Projektes „Naturschutzhöfe Ostfriesland” erarbeitet. Dieses Beispiel ist auch für Schleswig-Holstein interessant.
Während der Kiebitz früher in ganz Deutschland häufig zu finden war, ist er mittlerweile eine Seltenheit. Zwischen 1980 und 2016 sind in Deutschland die Kiebitzbestände um 93 % zurückgegangen, heute gilt er als stark gefährdet.
Norddeutschland hat eine besondere Verantwortung für den Wiesenvogelschutz, da ein Großteil der in Deutschland noch vorkommenden Brutpaare hier zu finden ist. Dieser Tatsache wird bisher mit der Ausweisung von Schutzgebieten und dem Angebot von Förderprogrammen Rechnung getragen. Häufig ist die Grünlandbewirtschaftung jedoch in Verbindung mit einer optimierten Milchviehwirtschaft und der Erzeugung hochwertigen Grundfutters intensiv ausgerichtet, sodass die Anforderungen des Natur- und Umweltschutzes nicht ausreichend berücksichtigt werden können.
Zudem stehen viele Milchviehbetriebe vor Entscheidungen über den nächsten Wachstumsschritt (häufig mit der Abkehr von der Weidehaltung), vor weiteren Zukunftsoptionen oder vor der Betriebsaufgabe mit einer Flächenverpachtung an zumeist intensiver wirtschaftende Nachbarbetriebe. Es droht deshalb die Gefahr, dass Milchviehbetriebe mit Weidehaltung als notwendige Partner des Natur- und Wiesenvogelschutzes verloren gehen.
Für viele landwirtschaftliche Milchviehbetriebe ist es oft nur schwer möglich, diese vielfältigen Anforderungen des Naturschutzes umzusetzen, besonders dann, wenn sich der Großteil der Hofflächen in Schutzgebieten befindet. Dadurch stehen in den Wiesenvogelkulissen viele Milchviehbetriebe vor der entscheidenden Frage, wie sich der Betrieb künftig auch wirtschaftlich weiterentwickeln kann.
Einklang von Landwirtschaft und Naturschutz
Wie also lassen sich Maßnahmen zum Schutz der Wiesenvögel und die Bedürfnisse landwirtschaftlicher Betriebe in Einklang bringen? Antworten auf diese Frage wurden im Projekt „Naturschutzhöfe Ostfriesland“ gemeinsam durch die Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die Ökologische Naturschutzbund (Nabu)-Station Ostfriesland und sechs landwirtschaftliche Betriebe erarbeitet. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie Milchviehbetriebe die Nutzung ihrer Gesamtbetriebsflächen zum Wohl der Wiesenvögel verändern können, ohne zugleich notwendige wirtschaftliche Ziele aus den Augen zu verlieren.
Konkret bedeutet das eine extensivere Flächennutzung, ein verändertes Wassermanagement auf den Flächen und ein verändertes Weidemanagement. Die Kartierung der Wiesenvögel, Kenntnisse über das Geländerelief und bestehende Möglichkeiten der Wasserstandsanhebung bildeten dabei genauso die Grundlage für die Ausrichtung der künftigen Betriebskonzepte, wie die Ermittlung des Futterwerts und der Erträge von Grünlandflächen sowie die betriebswirtschaftliche Gesamtsituation der Betriebe.
Auf Basis der Ergebnisse aus der naturschutzfachlichen Zielformulierung und der darin enthaltenen Anforderungen an die Flächennutzung wurden verschiedene Nutzungsmöglichkeiten erarbeitet. „Die Schwierigkeit der Vereinbarkeit liegt darin, dass durch einen verspäteten ersten Schnitt oder andere Naturschutzanforderungen, die auf vielen Flächen in den Schutzgebieten liegen, nicht die Erträge und Qualitäten geerntet werden können, die für die Produktion von hochwertigem Grundfutter benötigt werden”, sagt Felicitas Kaemena von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die das Projekt fachlich betreut hat. 
Die Innovation des Projekts lag dabei in der gesamtbetrieblichen Betrachtung und der Suche nach betriebsindividuellen Entwicklungskonzepten sowie Fördermöglichkeiten, um die Betriebsumstellung auf eine natur- und umweltschutzzielfördernde Betriebsstruktur auch für Landwirte ökonomisch rentabel und langfristig tragbar zu gestalten.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Der naturschutzfachliche Ansatz stellt die landwirtschaftlichen Betriebe in der Umsetzung vor große Herausforderungen. Eine naturschutzfachlicherseits gewünschte extensive Beweidung (zwei Tiere je Hektar), optimalerweise in Kombination mit Vernässungsmaßnahmen der Flächen, führt zu einer Veränderung des Pflanzenbestandes, indem sich minderwertige Gräser und Kräuter innerhalb der Flächen ausbreiten und etablieren.
Hier ist ein intensives Weide- und Flächenmanagement gefordert (Tierkontrollen, Frischwasserzufuhr, Zaunpflege, Reinigungsschnitte, Parasitenmanagement, Zuwässerungsmaßnahmen …). Diese Verschiebung von Arbeitsschwerpunkten, die sich mit der Neuausrichtung der Betriebe ergeben, ist unter anderem im Rahmen des Projektes betriebswirtschaftlich berechnet worden und wurde in der gesamtbetrieblichen Umsetzung berücksichtigt.
Da die Ausgangslage der sechs beteiligten Betriebe sehr unterschiedlich war, mussten auch die Lösungsansätze sehr individuell ausgerichtet sein. Aber bei all der Unterschiedlichkeit und Differenzierung zeigen die Projektergebnisse eines ganz deutlich: Die Bewirtschaftung eines Großteils der Betriebsflächen auf die Ansprüche einer Artengruppe auszurichten (hier Wiesenvogelschutz), erfordert sowohl finanziell als auch arbeitswirtschaftlich einen erheblichen betrieblichen Aufwand, der derzeit nicht durch den Markt abgedeckt ist. Auch können bestehende Förderprogramme die notwendige finanzielle als auch Planungssicherheit nicht geben. Förderprogramme sind nicht einkommenswirksam und die Abhängigkeit von Landwirten, über diese Möglichkeit eine Finanzierung zu generieren, ist risikoreich und nicht gewollt.
Perspektive und Lösungsansätze
Eine gesamtbetriebliche Neuausrichtung ist aus Sicht der Landwirtschaftskammer Niedersachsen mit zu vielen Unsicherheiten verbunden (Marktschwankungen, Klimawandel), die derzeit ein zu hohes unternehmerisches Risiko darstellen. Hier ist es vorerst notwendig, dass sich neue ökonomische Perspektiven für „Naturschutzhöfe“ entwickeln. Als Beispiel ist das Weidemastprogramm „Earl of Lowlands“ mit dem Deutschen Schwarzbunten Niederungsrind zu nennen, das die Ansprüche von Landwirtschaft und Naturschutz gleichermaßen berücksichtigt und für einige Betriebe eine Lösung sein kann.
Viel mehr steckt aber die Lösung in einer kleinschrittigen Vorgehensweise, die betriebsindividuell herausgearbeitet werden muss, und darin, weitere Projektinnovationen zu fördern. Auf Investitionen oder Einzelmaßnahmen ausgerichtete Förderungen und die finanzielle Unterstützung etwa von gemeinschaftlichen Weidemanagern sowie der Gebietsbetreuung wären geeignete Ansätze für die Umsetzung auf den Betrieben.
Dass nicht immer der gesamte Betrieb, sondern auch die Umstellung nur eines Betriebszweiges mit Blick auf den Naturschutz sinnvoll sein kann, ist weiterhin als ein Ergebnis festzuhalten. Dies ist gerade dann interessant, wenn sich einige landwirtschaftliche Flächen durch bestimmte Störfaktoren, zum Beispiel durch die unmittelbare Nähe zu stark befahrenen Straßen, für Wiesenvögel nicht eignen, selbst wenn sie „hergerichtet” würden. Hier gilt es dann abzuwägen, welche Flächen weiter intensiv für eine hochwertige Grundfutterproduktion genutzt werden können und welche Flächen beispielsweise für die Mutterkuhhaltung mit anschließender Fleischvermarktung extensiviert werden können.
Für das Thema Wertschöpfung aus der veränderten, deutlich extensiveren Flächennutzung sind weitere Absatzmöglichkeiten zwingend erforderlich. Hierfür müssen die Ideen, etwa zur stofflichen Verwertung von Gras, und Innovationen gebündelt und in ihrer Weiterentwicklung unterstützt werden.
Zentrales Ziel bleiben aber mit ersten Pilotprojekten auch der Praxistest und die Konzipierung verbesserter Fördermöglichkeiten für den gesamtbetrieblichen Ansatz der Umsetzung von Naturschutzzielen. Wesentlich ist, dass die familiengeführten Betriebe erhalten bleiben und weiter auf dem Weg in die schrittweise Umsetzung nicht alleingelassen werden. Die Umsetzung gelingt nur, wenn alle Akteure Hand in Hand zusammenarbeiten.
Das Projekt
Entstanden ist die Projektidee in der Arbeitsgruppe „Kooperation Landwirtschaft und Naturschutz in Ostfriesland“, die bei der Ostfriesischen Landschaft in Aurich angesiedelt ist. Gefördert wurde das Projekt drei Jahre bis Juni 2024 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) und vom niedersächsischen Umweltministerium (MU).