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Mit digitaler Überwachung zu mehr Tiergesundheit

Rinder aktuell: Sensorsysteme helfen bei der Erkennung des Brunstverhaltens
Von Dr. Heike Engels
V. li.: Keno Tannen, Maike Tannen, Mitarbeiter Roland Esen und Ibrat Ebadullaev. Fotos: Dr. Heike Engels

Die automatische Erkennung des Brunstverhaltens durch Erfassung und Analyse von Tierbewegung ist auf den Milchviehbetrieben seit vielen Jahren weit verbreitet. Es mag Unterschiede zwischen den einzelnen Sensorsystemen geben, aber in vielen Studien kam heraus, dass diese Systeme regelmäßig über 90 % der brünstigen Kühe erkennen. Sie funktionieren so gut, dass sich im vergangenen Jahr auch Keno Tannen zu einem solchen System entschloss. Eine Betriebsreportage.

Keno Tannen bewirtschaftet zusammen mit seinen Eltern Maike und Manfred die Tannen GbR in Ostfriesland. Der Hof liegt in unmittelbarer Nähe des Nordseeheilbades Esens-Bensersiel an der Nordseeküste direkt am Deich.

„Wir hatten bislang keine Brunsterkennung. Wenn die Kühe nach 120 Tagen noch nicht besamt waren, sind sie ins OvSynch-Programm gekommen. So konnten wir sie terminiert besamen, da die Ovulationen mittels Hormonen in einem eng begrenzten Zeitraum stattfinden. Diese Methode hat immer gut funktioniert, aber nun wollten wir unabhängiger von der Brunstbeobachtung werden und außerdem den Hormoneinsatz reduzieren“, berichtet Tannen. Der Betrieb melkt mit einem noch recht neuen Doppel-16er-Swing-over-Melkstand von Dairymaster, weshalb ein Umstieg auf Melkroboter, die ein Sensorsystem mitbringen, nicht infrage kam.

Schwerpunkt auf dem Milchvieh

Im Jahr 2018 ist Keno Tannen nach der Fachschule bei seinem Vater in die GbR eingestiegen. „Der Betrieb ist schon lange in Familienbesitz. In meiner Großelterngeneration wurden nur 30 Kühe und zehn Sauen gehalten, dann wurde immer weiter ausgebaut, bis wir dann 2018 mit damals 180 Kühen den Schwerpunkt auf das Milchvieh legten und die Sauenhaltung, immerhin 250 Sauen mit Babyferkelproduktion, ganz abschafften. Den Sauenstall haben wir komplett abgerissen und dafür einen Komfortstall für Kühe und Kälber gebaut. Jetzt konzentrieren wir uns auf unsere 220 Milchkühe und die Nachzucht“, so der junge Landwirt.

Sein Vater steht ihm mit Rat und auch Tat zur Seite, doch eigentlich ist Keno weitestgehend allein für das Tagesgeschäft verantwortlich, da Manfred Tannen sich vielfältig im Ehrenamt engagiert. Er ist Präsident des Landwirtschaftlichen Hauptvereins für Ostfriesland und seit Anfang Februar Vizepräsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. „Wir haben die Arbeit optimal mit einer konkreten Aufgabenverteilung organisiert. Ich kann hier im Herdenmanagement frei agieren, aber bei wichtigen betrieblichen Entscheidungen besprechen wir uns“, so Keno Tannen.

Brunst und Abkalbungen im Fokus

So wurde die Entscheidung für die Digitalisierung mittels Sensorsystem und darüber, welches der Sensorsysteme am Markt es sein sollte, gemeinsam getroffen. Aber die Arbeit mit dem System ist Aufgabe des Junglandwirts. „Mittlerweile gibt es viele Systeme, die mittels Ohrmarke, Pedometer als Fesselband, Halsband oder Bolus außer der Brunsterkennung weitere Parameter der Tiergesundheit messen und auswerten. Auch eine Ortung der Kühe ist möglich. Uns ging es hauptsächlich um die Brunsterkennung, aber eine bessere Überwachung der Abkalber und der Frischmelker war uns auch wichtig. Nach der zweiphasigen Trockenstehzeit von sieben Wochen stallen wir die Kühe vor der Abkalbebox ein. Sie werden just in time zur Abkalbung in die Box gebracht. Danach geht es recht schnell wieder in die Herde, sofern alles gut ist. Wir haben keine extra Frischabkalbegruppen, das gibt der Stall vom Platz nicht her. Für die Frischmelkerkontrolle ist die Körpertemperatur wichtig, denn Fieber nach dem Abkalben ist immer ein Alarmzeichen für Stoffwechselerkrankungen wie Ketose und Milchfieber. Also sollte das Sensorsystem auch die Körpertemperatur messen.“

Nach anfänglicher Lernphase schätzt Keno Tannen die Arbeit mit dem Sensorsystem sehr.

Aus diesem Grund entschied er sich für das System von smaXtec. Der Sensor ist bei diesem System ein Bolus, der von der Kuh geschluckt wird. Er wird mit einem Boluseingeber verabreicht und landet im Netzmagen.

„SmaXtec hat uns zugesagt, weil es das einzige System ist, das die Körpertemperatur messen kann, das klappt richtig gut. Im Vergleich zu den anderen ist es zwar ein teures System, denn man zahlt für jeden Bolus einmalig 30 Euro und dann je Kuh monatlich drei Euro für den Service der Datensammlung, -speicherung und -auswertung. Andere Sensorsysteme bezahlt man einmalig ohne weitere Gebühr, das ist sicher auf die Dauer billiger, aber hier haben wir immer den aktuellsten Stand des Programms“, erklärt Keno Tannen.

Der Bolus enthält einen Akku, der über die Lebenszeit der Kuh hinweg halten soll und deshalb laut Unternehmen wartungsfrei ist. Der Bolus misst neben der Körpertemperatur das Trinkverhalten und die Trinkmenge, Wiederkautätigkeit, Bewegungsaktivität und auch den pH-Wert.

Eine enorme Datenflut

Und wie arbeitet es sich mit dem Sensorsystem? Keno Tannen kann mittlerweile auf neun Monate mit smaXtec blicken. „Wir sind immer noch in der Lernphase. Wir haben das System jetzt seit Mitte Juli 2023, und man muss schon sagen, es ist eine Datenflut, damit muss man erst einmal umzugehen lernen. Es gibt viele Alarmmeldungen, da darf man nicht erschrecken. Die Tiere sind ja nicht kranker als vor dem System, nur ihre Gesundheitsdaten sind sichtbarer. Trotzdem muss man entscheiden: Welche Kuh schaue ich mir sofort an, welche Kuh beobachte ich erst einmal? Das muss man erst einmal herausfinden, das braucht Zeit und Erfahrung“, so der junge Milchbauer.

„Ich schaue morgens und abends je eine halbe Stunde auf die Sensordaten. Morgens selektiere ich die auffälligen Kühe für die Melkzeit nachmittags, und abends selektiere ich sie für die Melkzeit morgens. Bei gravierenden Problemen wie einer Euterentzündung gehe ich natürlich sofort zum Tier. Das erkenne ich, weil die Fieberkurve schnell hochgeht und das Wiederkäuen abfällt. Das kann eine Coli-Mastitis sein. Kürzlich hatten wir eine Kuh mit Labmagenverlagerung, die haben wir durch smaXtec zwei Tage eher gesehen. Das ist sehr gut, denn je früher man Erkrankungen sieht, desto besser ist es für die Kuh, denn sie leidet sonst unnötig. Wir können auch sagen, dass seit Juli die Besamungen viel erfolgreicher sind, der Hormoneinsatz ist deutlich zurückgegangen. Die Brunsterkennung klappt also gut. Ebenfalls sehr zuverlässig funktioniert der Schnulleralarm: Durch die Abkalbemeldungen erfahren wir 24 Stunden vorher, dass die Kuh kalbt. Die Körpertemperatur sinkt deutlich ab, wenn der Abkalbungsprozess beginnt. So können wir sie rechtzeitig in Ruhe in die Abkalbebox einstallen.“

Bolus auch bei Weidegang

Die Tannen GbR produziert Weidemilch für die Meierei Ammerland. „Unsere Tiere kommen im Sommer auf die Weide. Mindestens 120 Tage müssen wir erfüllen, wir liegen aber weit darüber mit bis zu 180 Tagen, denn die Weiden liegen direkt um den Betrieb herum, und auch das Jungvieh und die Trockensteher sind im Sommer draußen. Der Weidegang ist auch mit smaXtec problemlos möglich, da die Messdaten permanent gespeichert werden, auch wenn die Kuh hinausgeht auf die Weide“, so Keno Tannen.

„Wir haben dann zwar kurzzeitig keinen Kontakt mehr mit dem System, aber die Daten bleiben gespeichert und sind da, wenn die Kuh wieder in Reichweite der Antenne kommt. Wir haben zwei Antennen: hier im Milchviehstall, und vorne in der Abkalbebox ist auch noch eine. Eine Antenne reicht 80 Meter im Umkreis. Man könnte auch auf der Weide noch eine Antenne installieren, aber der Bolus speichert die Daten über sechs Tage. Das heißt, wenn wir die Trockensteher, die ja die ganze Zeit über draußen bleiben, einmal die Woche zum Durchsortieren holen, sind die Daten alle da, wir können dann auch rückwirkend schauen.“

Tierarzt Dr. Jan Hendrik Steudtner (li.) sieht für Landwirte und Tierärzte großes Potenzial in der digitalen Gesundheitsüberwachung.

Früherkennung von Krankheiten

Auch sein Tierarzt Dr. Jan Hendrik Steudtner von der Tierarztpraxis Burhafe-Middels sieht große Potenziale in den digitalen Sensorsystemen. „Viele unserer Kunden nutzen mittlerweile Sensorsysteme. Diese unterstützen beim präventiven Arbeiten durch Früherkennung in den Bereichen Gesundheit, Brunst und Abkalbung. Die Systeme bieten ein gutes Früherkennungssystem für Krankheiten, denn sobald das Immunsystem auf Krankheitserreger oder Stress reagiert, verändert sich die Körpertemperatur, und das lange, bevor äußerliche Anzeichen sichtbar werden. Mit den weiteren Informationen zu Wiederkautätigkeit und Bewegungsaktivität lassen sich Fiebererkrankungen, beispielsweise Mastitis, Metritis, Atemwegserkrankungen oder andere Infektionen, gut frühzeitig erkennen. Je eher man eine Kuh behandelt, desto schneller geht es ihr wieder besser. Das bedeutet auf lange Sicht weniger Antibiotika, weniger Hormone und einfach gesündere Tiere.“

Die Daten der Sensorsysteme liegen in einer Cloud, werden von einer Künstlichen Intelligenz interpretiert und erscheinen auf dem Handy in einer App. Diese kann für Tierärzte und weitere Personen freigeschaltet werden, sodass eine Gesundheitsüberwachung der Herde sogar aus dem Urlaub möglich ist. Auch Telemedizin wäre damit möglich, sodass also der Tierarzt bereits aus der Praxis eine erste Diagnose stellen könnte.

„Aktuell kommt bei jeder Fiebermeldung noch der Tierarzt und ordnet die Therapie an, aber es wäre zukünftig wünschenswert, wenn bei leichten und eindeutigen Fällen mehr Telemedizin möglich wäre“, so Steudtner. „Wir versuchen möglichst vorbeugend zu arbeiten, die Kuh wollen wir behandeln, bevor sie wirklich klinische Symptome entwickelt. Um eine erfolgreiche Bestandsbetreuung zu gewährleisten, sind uns die Daten eine große Hilfe. Fakt ist aber auch, dass die Sensorsysteme Zeit in Anspruch nehmen. Je größer der Bestand, desto mehr Zeit muss man mit den Daten verbringen. Da ist die Frage schon berechtigt, ob man der Situation dann noch Herr wird. Speziell am Anfang sind es dann richtig viele Meldungen, die alle bewertet und sortiert werden wollen. Und es ist keinesfalls so, dass die Tierbeobachtung durch die Sensorüberwachung wegfallen kann. Im Gegenteil, der Mensch muss die Daten auswerten und die Handlungsanweisungen umsetzen. Das Sensorsystem ist also nur so gut wie der Mensch, der es bedient. Doch wer die Daten erfolgreich nutzt, profitiert von den Vorteilen: gesündere Kühe, verkürzte Krankheitsverläufe und letztlich weniger Antibiotikaeinsatz.“


Betriebsspiegel Milchviehbetrieb Tannen GbR, Ostfriesland

Milchviehbetrieb mit 220 Milchkühen

Bewirtschaftung von 150 ha Grünland, 6 ha Ackerland plus zugekauftem Mais (insgesamt 30 ha)

Meierei Ammerland, gentechnikfreie Weidemilch

Alle Futtermittel sind GVO-frei zertifiziert.

Milchleistung 10.800 l pro Kuh und Jahr, Tendenz steigend

im Nebenerwerb Vermietung von drei Ferienwohnungen

reiner Grünlandstandort, schwere Seemarsch

Familienbetrieb mit zwei fest angestellten Mitarbeitern


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