Für die überwiegende Anzahl der Kälber aus der Milchviehhaltung ist es gängige Praxis, zeitnah nach der Geburt von der Mutter getrennt zu werden. Anschließend verbringen sie 14 Tage in Kälberiglus in Einzelhaltung. Diese vor allem aus hygienischen Gründen verbreitete Vorgehensweise wird von Verbrauchern zunehmend kritisch hinterfragt. Deshalb erprobt die Landwirtschaftskammer die frühe Gruppenhaltung von Kälbern.
Das Verbundprojekt „InnoRind“ erprobt mit der frühen Gruppenhaltung der Kälber ab dem dritten Lebenstag einen innovativen Ansatz für eine zukunftsfähige, gesellschaftlich akzeptierte Haltung von Kälbern. Internationale Studien haben gezeigt, dass eine frühe Sozialisierung der Kälber einige Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören ein verbessertes Sozialverhalten, mehr Spielverhalten, eine leichtere Umstellung auf feste Futtermittel (Nachahmeffekt), mehr Optimismus und weniger Stress beim Abtränken.
Studien erkannten weiterhin, dass bei gutem Management keine Unterschiede im Gesundheitsstatus der Kälber aus der Gruppenhaltung im Vergleich zu Kälbern aus Einzelhaltung existierten. Am Lehr- und Versuchszentrum (LVZ) Futterkamp soll unter anderem untersucht werden, welche Auswirkungen das Halten der Kälber in Kleingruppen mit maximal acht Tieren innerhalb der ersten Lebenswochen auf die Leistungsdaten, mögliche Stressreaktionen und die Gesundheit der Kälber hat. Außerdem werden zum Zeitpunkt des Umstallens in die weitere Gruppenhaltung Untersuchungen im Hinblick auf das Stresslevel der Kälber folgen. Dazu werden das Stresslevel mittels Speichelcortisolbestimmung, das Verhalten und die Gesundheitsentwicklung in der weiteren Gruppenhaltung beobachtet und analysiert.
Was in Futterkamp passiert
Die Abkalbungen am LVZ Futterkamp werden während der Laufzeit des Projektes „InnoRind“ in zwei verschiedenen Bereichen stattfinden. Zum einen werden die geläufigen Buchten zur Einzelabkalbung weitergenutzt und als Kontrollgruppe innerhalb der Erprobung bewertet. Zum anderen wird es eine Gruppenbucht mit Separee für die Kühe zur Abkalbung geben, welche die Versuchsgruppe innerhalb der Erprobung repräsentiert. Diese zwei Varianten der Abkalbung sind sowohl für die Kühe als auch für die Färsen jeweils getrennt voneinander vorgesehen.
Die in diesen Buchten geborenen Kälber werden dann im Anschluss in zwei Gruppen aufgeteilt. Entweder werden sie den Einzeliglus zugeordnet (Kontrollgruppe) oder in der frühen Gruppenhaltung (Versuchsgruppe) als Kleingruppe gehalten und in die Auswertungen einbezogen. Die Kolostrumgabe erfolgt in beiden Gruppen auf identische Weise, hierzu verbleiben die Kälber in der Gruppenhaltung für die ersten 48 Lebensstunden ebenfalls im Einzeliglu und werden dort gezielt mit Kolostrum versorgt.
Für eine gute Versorgung der Kälber mit Kolostrum wird das Gesamteiweiß im Blut der Kälber zur Abschätzung der Versorgung mit mütterlichen Antikörpern bestimmt. So kann sichergestellt werden, dass zum Beispiel vermehrte Anfälligkeiten für Erkrankungen oder Entwicklungsverzögerungen nicht durch die Qualität des Kolostrums bedingt sind.
Ziel ist es ebenfalls herauszufinden, ob sich das Stresslevel der Kälber aus den Kleingruppen beziehungsweise aus der Einzelhaltung an unterschiedlichen kritischen Zeitpunkten wie zum Beispiel beim Umstallen unterscheiden. Weiterhin werden die Gesundheit und Entwicklung der Kälber überwacht und verglichen. Hierzu werden alle Kälber einem täglichen Gesundheitscheck unterzogen. Zu diesem Gesundheitscheck gehören die Beurteilung des Allgemeinzustandes, des Nasenausflusses, der Augen, der Ohren sowie Kotverschmutzungen, Husten und mögliche Infektionen des Nabels.
Zusätzlich werden wöchentlich die Körpertemperatur (Rektalmessung), die Atemfrequenz, die Herzfrequenz und die Kotkonsistenz dokumentiert. Auffällige Kälber werden unmittelbar dem Tierarzt vorgestellt und behandelt. Um einen Eindruck von den Zunahmen der Kälber zu erhalten, werden alle Kälber bis zum Ende der Aufzuchtphase (77. Lebenstag) routinemäßig wöchentlich gewogen.
Die Gruppenhaltung
In der frühen Gruppenhaltung werden bis zu acht Kälber gehalten. Am LVZ Futterkamp wurden dafür acht baugleiche Einzeliglus nebeneinandergestellt. Um die zum Einzeliglu gehörenden Ausläufe wurde ein weiterer Auslauf installiert, der alle Einzelausläufe umfasst. So ist die Möglichkeit gegeben, die Kälber in den ersten drei Lebenstagen in ihrem eigenen Iglu inklusive Auslauf zu halten und mit Kolostrum zu versorgen. Nach dem dritten Lebenstag werden die Einzelausläufe hochgeklappt, und die Kälber können den größeren Auslauf in der Gruppe nutzen. Zur Reinigung lässt sich der große Auslauf genauso gut deinstallieren wie die Einzeliglus, sodass das Entmisten und Desinfizieren der Iglus und der gesamten Lauffläche ohne Einschränkungen möglich sind.
Die Tränkekurve
Innerhalb der ersten zwei Lebenstage werden alle Kälber in den Einzeliglus (Kontrollgruppe) und in der Gruppenhaltung (Versuchsgruppe) individuell über den Nuckeleimer mit Kolostrum versorgt. In der Gruppenhaltung haben die Kälber anschließend uneingeschränkten Zugang zu einem Tränkeautomaten. Über diesen bekommen sie einen Milchaustauscher ad libitum angeboten.
Aktuell werden am LVZ Futterkamp zwei Milchaustauscher eines Herstellers getestet, welche sich in der Zusammensetzung unterscheiden. Der eine hat 60 % Magermilch- und Vollmilchpulver, weist 24 % Eiweiß und 21 % Fett auf, wohingegen der andere 50 % nicht angesäuertes Magermilchpulver aufweist, 21 % Eiweiß und 19 % Fett hat.
Der Tränkeautomat erfasst mittels RFID-Chip jedes einzelne Kalb und hinterlegt so die Häufigkeit, Dauer und Menge der Tränkeaufnahme. So lassen sich die Entwicklung und die Tränkemenge jedes Kalbes sehr gut nachvollziehen und rückverfolgen. Zudem haben die Kälber in den Einzeliglus und in der Gruppenbucht uneingeschränkt Zugang zu Heu, Wasser und Kälberkraftfutter. In den Einzeliglus bekommen die Kälber nach der Kolostrumgabe Vollmilch ad libitum über den Nuckeleimer vertränkt.
Erfahrungen in Futterkamp
In der frühen Gruppenhaltung am LVZ Futterkamp wurden bisher vier Gruppen mit jeweils acht Kälbern gehalten. Diese zeigten sich durchweg sehr agil und waren leicht an das Trinken im Automaten zu gewöhnen. Hierbei war insbesondere auch der Nachahmungseffekt hilfreich. Die Umstallung in die weitere Gruppenhaltung hat den Kälbern ebenso wenig Probleme bereitet, da sie mit dem Tränkeautomaten bereits vertraut waren. Erste Beobachtungen zeigen, dass die sehr jungen Kälber gut mit dem Vertränken von Milchaustauschern zurechtkommen. Ebenso konnten in den bisherigen Durchgängen keine vermehrte Krankheitsanfälligkeit oder eine rasche Verbreitung von Erkrankungen beobachtet werden. Derzeit werden verschiedene Zeitpunkte zur Öffnung der Einzelausläufe erprobt. Die hier dargestellten Erkenntnisse sind zum aktuellen Zeitpunkt reine Beobachtungen aus der täglichen Praxis. Wissenschaftliche Auswertungen sowie die Erfassung der weiteren Daten zur Beurteilung des Stresslevels und der Tiergesundheit stehen noch aus.