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Kleiner Stich mit fataler Wirkung

Die Blauzungenkrankheit wird durch Gnitzen, eine Bartmückenart, übertragen
Von Mechthilde Becker-Weigel
Gnitzenweibchen beim Blutsaugen auf menschlicher Haut. Foto: Imago

Gnitzen (Familie Ceratopogonidae) gelten als Überträger der Blauzungenkrankheit. Experten warnten davor, dass sich das Virus in diesem Frühjahr stark ausbreiten könnte. Am Freitag der Vorwoche wurden die ersten Fälle auch in Schleswig-Holstein bestätigt. Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) und das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zeigen auf, was die Ausbreitung für die Tierhaltung bedeutet.

Gnitzen, regional auch Bartmücken genannt, sind eine von mehreren Mückenfamilien mit blutsaugenden Vertretern. Sie werden nur 0,5 bis 5 mm groß, und adulte Tiere haben eine Lebensdauer von kaum mehr als zwei bis drei Wochen. Ihr Aktionsradius beträgt, von passiver Verdriftung abgesehen, nur kurze Distanzen. Dennoch können sie gefährlich werden, denn die Weibchen etlicher Arten benötigen eine Blutmahlzeit, die ihre Eireifung ermöglicht.

Penetrantes Stechverhalten und fatale Folgen

Die weite Verbreitung und das massenhafte Auftreten unter bestimmten Umweltbedingungen führen dann vielerorts allein schon wegen ihres penetranten Stechverhaltens zu Einschränkungen in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie im Tourismus. Die Dichte sich entwickelnder Larven kann in bestimmten Lebensräumen (Moore, Sümpfe, Flussauen) bei mehr als 10.000/m2 Bodenfläche liegen. Daher können zur Hauptflugzeit extreme Belästigungen auftreten, die den Aufenthalt im Freien fast unmöglich macht. Und dann ist da noch die Übertragung von Krankheiten.

Von den mehr als 330 in Deutschland vorkommenden Arten spielen nur einige innerhalb der Gattung Culicoides eine Rolle als Vektoren von Krankheitserregern. Sie übertragen neben dem Blauzungen-Virus auch das Schmallenberg-Virus, gelten aber auch als Überträger der Viren der Afrikanischen Pferdesterbe und der Epizootischen Hämorrhagie der Hirsche, die in Mitteleuropa noch nicht aufgetreten sind.

Die Weibchen vieler Arten saugen Blut an Wirbeltieren oder ernähren sich von Körperflüssigkeiten anderer Insekten. Die Blutmahlzeit erfolgt in den Abendstunden und nachts. Gnitzen finden ihre Wirte dabei über den Geruchssinn und die Augen. Die Culicoides-Arten beispielsweise werden von den Ausdünstungen und Silhouetten großer Weidetiere angelockt. Die Weibchen stechen die Rinder in Bauch und Rücken, Pferde an der Mähne und am Schweifansatz, seltener am Bauch.

Gnitzenstiche können beim Menschen bis zu 2 cm große blasige Hautschwellungen verursachen, die meist mit starkem Juckreiz verbunden sind. Hautbereiche an den Rändern von Kleidungsstücken werden bevorzugt. Die Übertragung von Krankheitserregern durch Gnitzen auf den Menschen ist nur aus Süd- und Mittelamerika bekannt (Oropouche-Virus).

Schafe, Rinder, Ziegen und Pferde sind Opfer

Anders sieht das für die Tiere aus. Rund 50 Culicoides-Arten gelten weltweit als Überträger veterinärmedizinisch relevanter Krankheitserreger wie Protozoen, Filarien und Viren. Die durch Gnitzen übertragenen Erreger stellen in der Tierhaltung und -zucht – vor allem bei Schafen, Rindern, Ziegen und Pferden – ein ernstes Problem dar, da sie zum Teil mit hoher Morbidität und/oder Mortalität einhergehen. Die Kenntnisse der Blutwirte und Gnitzen als Reservoirwirte der Erreger sowie deren Pathogenität sind allerdings sehr lückenhaft.

Die aus Afrika und dem Mittelmeerraum seit Langem bekannte Blauzungenkrankheit ist ein prominentes Beispiel für eine Gnitzen-assoziierte Erkrankung, die durch ein Orbivirus verursacht wird und Wiederkäuer schädigt. Erstmals und überraschenderweise im August 2006 auch in Deutschland festgestellt, kam es in den Folgemonaten erstmalig und mit stark steigenden Fallzahlen zu einem epidemischen Auftreten seuchenhafter Erkrankungen bei Tieren. Erst mit sinkenden Temperaturen reduzierten sich die Fallzahlen im Spätherbst. Aber im Folgejahr flammten sie wieder auf.

Der Seuchenzug konnte erst 2009 durch eine ausgedehnte Impfkampagne unter Rindern, Schafen und Ziegen gestoppt werden. Ab 2012 galt Deutschland als BTV-frei, zum 1. Juni 2023 wurde der Status „amtlich seuchenfrei“ anerkannt. Allerdings hat sich die Seuche im Sommer und Herbst im vergangenen Jahr mit einem massiven Ausbruchsgeschehen in den Niederlanden zurückgemeldet. In Belgien und in Westdeutschland nahe der deutsch-niederländischen Grenze wurden ebenfalls BTV-Fälle gemeldet. Daher muss mit einer Weiterverbreitung in der nächsten Vektorsaison, das heißt in diesem Frühsommer, gerechnet werden!

Da Wiederkäuer hierzulande jedoch keinen Immunschutz gegen das BTV-3 besitzen und flächendeckend noch kein entsprechender Impfstoff vorhanden ist, muss aus den Erfahrungen zur Überwinterung des BTV in Mitteleuropa mit dem Beginn der saisonalen Aktivität der Gnitzen 2024 von einem Fortgang des Infektionsgeschehens ausgegangen werden. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass die 150 km umfassende Restriktionszone, in der Handelsbeschränkungen für Wiederkäuer gelten, auf weitere Bundesländer ausgeweitet werden.

Als wirksamster Schutz für Rinder wird die prophylaktische Impfung empfohlen, um Krankheitsverläufe abzuschwächen. Foto: Agrar-Press

Schafe am schwersten betroffen

Unter den domestizierten Wiederkäuern zeigen Schafe die deutlichsten Krankheitssymptome nach einer BTV-Infektion. Sie können hohes Fieber (bis 42 °C) entwickeln, es tritt Apathie auf, und erkrankte Tiere sondern sich von der Herde ab. Weitere typische klinische Symptome sind gerötete und geschwollene Maulschleimhäute, vermehrter Speichelfluss und Schaumbildung vor dem Maul, Kreislaufstörungen, Ödembildungen und Hämorrhagien (Blutungen). An den Klauen rötet sich der Kronsaum und schmerzt. Infolgedessen treten Lahmheiten auf.

Die namensgebende Blauverfärbung der Zunge ist sehr selten zu beobachten und nur bei hochempfänglichen Schafrassen zu erwarten. Im aktuellen BTV-3-Ausbruchsgeschehen wurde in den Niederlanden von zahlreichen Todesfällen bei Schafen berichtet. BTV-3, der Serotyp, der sich auch nach Deutschland ausbreitete, wurde bis Sommer 2023 in Mitteleuropa noch nicht nachgewiesen, aber in Süditalien, Tunesien, Israel und Teilen des südlichen Afrikas.

Hat sich eine vektorkompetente Gnitze mit dem BTV infiziert, bleibt sie nach bisherigem Kenntnisstand lebenslang infektiös. Die Lebensdauer ist zwar kurz, aber die weiblichen Gnitzen sind in der Lage, in ihrem Leben mehrfach Blut zu saugen. Mit steigenden Temperaturen im Jahresverlauf und bedingt durch die Klimaerwärmung nimmt die Stechaktivität und -frequenz dieser Tiere zu. Der ebenfalls temperaturabhängige Replikationsprozess des Virus in der Mücke erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Erregerübertragung in der wärmeren Jahreszeit.

Empfehlungen zur Bekämpfung

Die Blauzungenkrankheit gehört zu den anzeigepflichtigen Tierseuchen. Um ihre ungehinderte Ausbreitung zu vermeiden, wird nach strikten Regeln verfahren. Nach geltendem nationalen und europäischen Recht müssen um einen Befallsort ein Gefährdungsgebiet sowie eine Beobachtungszone festgelegt werden. Informationen zu den staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen sind bei den zuständigen Ministerien und Landesveterinärämtern abrufbar. Wiederkäuer und deren Produkte dürfen aus diesen Zonen nur unter Auflagen heraustransportiert werden.

Die Kontrolle der potenziellen Vektoren mit Insektiziden beziehungsweise Larviziden ist aufgrund mangelnder Kenntnis zu Larvenhabitaten und Lebensweise der adulten Gnitzen im Umkreis landwirtschaftlicher Betriebe nicht erfolgreich möglich. Weitere Möglichkeiten einer biologischen Kontrolle fehlen. Da sich die Bruthabitate der Gnitzen innerhalb und außerhalb der Stallungen befinden können, ist das Einstallen des Tierbestandes über Nacht unwirksam.

Nebelpräparate auf Basis von Pyrethrum können in Ställen sowie in den Außenbereichen zur Abtötung von Gnitzen eingesetzt werden. Rinder können vorbeugend mit einem Pyrethroid-haltigen Pour-on-Mittel behandelt werden. Es wird jedoch dringend dazu geraten Insektizide nur nach Rücksprache mit Veterinären und Schädlingsbekämpfern einzusetzen.

Dr. Doreen Werner und Anja Voigt, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung

Dr. Helge Kampen, Dr. Kerstin Wernike und Prof. Dr. Martin Beer, Friedrich-Loeffler-Institut

ZALF: Gnitzen-Monitoring verfolgt Ausbreitung in Deutschland

Aufgrund zunehmender Globalisierung mit verstärktem Güter- und Tiertransport sowie sich ändernder klimatischer Bedingungen fördert die Bundesregierung ein deutschlandweites Gnitzenmonitoring. Durchgeführt wird dies vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) auf ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben.

Dazu nutzen die Wissenschaftler spezielle UV-Lichtfallen, die sie zum Nachweis möglicher Vektoren (Gnitzen) für 24 Stunden pro Woche aktivieren und anschliessend beproben.

Die Fallen vor Ort werden von engagierten Landwirten beziehungsweise Tierhaltern betreut. Die Fallen befinden sich in Rinder-, Schaf- oder Ziegenställen oder in unmittelbarer Nähe von ihnen, beispielsweise auf den Weideflächen. An den Fangstandorten werden parallel dazu auch die Umwelteinflüsse erfasst, um die Verbreitung und die Aktivität der Gnitzen näher zu erforschen.

Die Fangproben kommen zur Sortierung und morphologischen Bestimmung zum ZALF. Aufbereitete Gnitzen der Obsoletus-Gruppe und des Pulicaris-Komplexes, die die wichtigsten virusübertragenden Arten enthalten, werden nachfolgend zur genetischen Identifizierung und Pathogendiagnostik zum Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) geschickt.

In Greifswald werden die kleinen Blutsauger und das eventuell in ihnen enthaltene Blauzungenvirus (Bluetongue-Virus oder BTV) mithilfe diverser PCR-Tests analysiert. Dabei werden das Genom aller Serotypen des BTV und alle wichtigen potenziellen Vektorarten der Gattung Culicoides erfasst.

Die Fallenbetreuer erhalten nach der Diagnostik Informationen zu den im Jahresverlauf bei ihnen gefangenen Gnitzen. Sie erfahren daraus die Artengruppen und ob ein Virus in den Insekten nachgewiesen wurde. Ein positiver Test hat für den Landwirt dabei keinerlei Konsequenzen, da es sich ausschließlich um den Nachweis von Virusmaterial in der Gnitze handelt. Der Tierbestand der Landwirte wird vom ZALF nicht untersucht.

Die Zahl der gefangenen Gnitzen schwankt zwischen den Standorten im Jahresverlauf. Zudem unterliegt sie diversen biotischen und abiotischen Einflüssen. Beispielsweise beeinflusst die Verfügbarkeit von Bruthabitaten und von Wirtstieren die Populationsdichte von Gnitzen entscheidend.

Die saisonale Aktivität beginnt an den meisten Standorten im April, ist in ihrer Ausprägung aber zunächst sehr stark von den vorherrschenden Temperaturen abhängig.

Die höchste Biodiversität der Gnitzenfauna wird im Frühsommer von Mai bis Juni/Juli verzeichnet, wobei sich die Populationsdichte bis in den Spätsommer halten oder sogar ausbauen kann.

Die Arten der Obsoletus-Gruppe wurden bisher am häufigsten gefangen, gefolgt von denen des Pulicaris-Komplexes. Die wissenschaftliche Bearbeitung der restlichen Culicoides-Arten steht noch aus. Das umfangreiche Monitoring lieferte bisher keine Hinweise, dass der global wichtigste Vektor von BTV, Culicoides imicola, im Studiengebiet in Deutschland vorkommt.

Gleichzeitig wird damit aber sehr deutlich, dass einheimische Gnitzen als Virusvektoren fungieren. Denn es gab im vergangenen Jahr einen massiven BTV-3-Ausbruch, der dazu führte, dass für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen sowie Niedersachen der frei-Status ausgesetzt wurde. Zudem wurde in dieser Zone das Monitoring um 18 zusätzliche Standorte mit täglicher Probennahme er­weitert. ZALF, FLI

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