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Kleidung, die etwas zu erzählen hat

Sonderausstellung „Kinder in Samt und Seide“ im Schloss Eutin zeigt 400 Jahre Kindermode
Von Iris Jaeger
Der Gedanke, dass Kindheit die unschuldigste, schönste Phase im menschlichen Leben sein könnte, war um 1800 neu. Das beeinflusste für Jahrzehnte die Mode und die bildliche Darstellung von Kindern. Fotos: Iris Jaeger

„Kleider machen Leute“, so lautet der Titel einer Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Darin geht es um den Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der sich trotz Armut gut kleidet und aufgrund seines Äußeren für einen Grafen gehalten wird. Mit Kleidung verbinden wir auch heute noch Normen, Werte, Wünsche und Ideale. Wie hat sich das über Jahrhunderte entwickelt? Und wie übertrug/überträgt sich das auf Kinder? Damit befasst sich aktuell eine Sonderausstellung auf dem Schloss Eutin mit dem Titel „Kinder in Samt und Seide“ – 400 Jahre Kindermode, gemalt und genäht.

Zu den Beständen der barocken Schlossresidenz in Eutin gehört eine umfangreiche Porträtsammlung. Auch von Kindern, die, wie Ausstellungskuratorin Dr. Sophie Borges erzählt, auf die Schlossbesucher mitunter befremdlich wirken. „Es ist ein Blick in eine völlig andere Welt und Kultur, die zum Teil schon 300 bis 400 Jahre her ist, als diese Kinder lebten. Auch war es eine völlig andere politische Welt, weshalb uns diese Kinder wohl fremd bleiben.“ Und doch sei es reizvoll gewesen, die Porträts der kleinen Persönlichkeiten plastisch werden zu lassen, die Roben und Kleider der damaligen Zeit in echt zu zeigen.

Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Sophie Borges

Die Sammlung und Stiftung Ohm in Hamburg ist eine der bedeutensten, größten privaten Modesammlungen Europas. „Ich kenne den Sammler und Hauptleihgeber August Ohm. Er erzählte mir, dass er viele Kinderkleider habe, zum Teil 400 Jahre alt. Auf diese Weise haben wir aus unserer und seiner Sammlung Paarungen entdeckt, die die Ausstellung wirken lassen, als seien die Kinder aus den Gemälden herausgetreten und würden uns nun gegenüberstehen“, erzählt die Kuratorin.

Thematisch ist die Ausstellung in fünf Blöcke unterteilt, die zeigen, wie gelebt und gespielt wurde, was der Traum vom Kindsein bedeutete, wie Kleidung den Körper formte, aber auch was an Modetrends noch kommt und bleibt. In jedem Block wird ein Bezug zu heute mit Blick in die Zukunft hergestellt. „Wenn die Erwachsenen etwas für ihre Kinder kreiierten, Sachen für sie anfertigten und designten, dann war da ja auch immer ein Blick auf die nächste Generation, wie man sich die Zukunft ausmalte für die Kinder. Das galt für den Barock und gilt auch noch heute“, so Borges. Kleidung hatte und hat viel zu erzählen, wie zum Beispiel eine höfische Kinderrobe aus der Zeit um 1750 im ersten Themenblock „Eine tragende Rolle“.

Höfische Kinderrobe von 1750 für ein adliges Mädchen

Die schwere Qualität des kostbaren Seidenstoffes, ein hochkomplex gewebtes Blumenmuster weisen auf ein adliges Mädchen hin, das auf der Feier eindeutig als Nachfolgerin der Eltern inszeniert wurde. „Adlige Nachkommen nahmen von Geburt an eine tragende Rolle ein, die sich in den edlen Stoffen und den speziellen Schnitten der Kleidung widerspiegelte. Und je ähnlicher ihre Kleidung der ihrer Eltern war, desto deutlicher waren sie als deren Erbinnen und Erben erkennbar und wurden akzeptiert.“

Auch politische Strömungen oder gesellschaftliche Vorkommnisse spiegelten sich in der Kinderkleidung, so die Kuratorin. Und so ließ sie einen kleinen Revolutionär auf ein junges, adliges Mädchen treffen. Die Kleidung der beiden stammt aus der Zeit um 1789. Seine robuste Handwerkerkleidung gab ihn als Jakobiner zu erkennen, die phrygische Mütze war Kennzeichen der französischen Revolution, ihr zartrosafarbenes Seidenkleid verriet ihre Herkunft aus vermögenden Verhältnissen. „Das Besondere daran ist, dass so eine Handwerkerkleidung so gut wie nie überliefert wurde, so etwas hat man nicht aufgehoben, sondern nur das Seltene, Wertvolle, Besondere“, so Borges. Somit liefere der Revolutionär einen seltenen Blick in das Leben eines Kindes ohne Vermögen und Status. Ein Blick durchs Schlüsselloch in eine vergangene Welt, die viel größer war. Spannend sei es auch zu sehen, dass Kleidung früher für jedes Kind individuell angefertigt wurde, Haute Couture für jedes Kind. Heute sind es Marken und Label, die den Unterschied machen“, so Sophie Borges. Die Ausstellung ist noch bis zum 29. September zu sehen. Weitere Informationen unter schloss-eutin.de

Sonderausstellung Schloss Eutin, Kinder in Samt und Seide, 400 Jahre Kindermode
Fotos: Iris Jaeger
Anzüge für etwa vierjährige Jungs und Kleider, alle aus der Sammlung Stiftung Ohm
Foto: Iris Jaeger
Der kleine Revolutionär trifft auf ein adliges Mädchen
Foto: Iris Jaeger
Ältestes Exponat der Ausstellung: Seidene Jacke für einen zirka zwölfjährigen Jungen, gefertigt um 1660 in Amsterdam
Foto: Iris Jaeger
Erbprinz Peter Friedrich Wilhelm und Prinzessin Charlotte von Holstein-Gottorf, spätere Königin von Schweden
Foto: Iris Jaeger
Dreirad-Reitpferd, Skeleton-Suit, Gehlernhilfe – Auch vor 400 Jahren haben sich Kinder viel bewegt und gespielt, was um 1800 in spezielle Kinderkleidung mündete.
Foto: Iris Jaeger
Mäntel sind immer für draußen, für das Bewegen in der Natur und haben somit einen praktischen Aspekt. Links: Mantel für einen Jungen oder ein Mädchen, Frankreich um 1870 bis 1880, rechts: Mädchenkleid aus schwarz-weiß-rotem Mischgewebe, Sammlung Ohm
Foto: Iris Jaeger
Festkleid für ein junges Mädchen, sehr kostbares Stück, fast 300 Jahre alt. Dieses Kleid liegt in der Vitrine, denn in einigen Bereichen zerfällt der Stoff, was daran erinnert, dass Stoffe und Kleidungsstücke nicht für die Ewigkeit gemacht sind.
Foto: Iris Jaeger
Kleidchen und Paletot für einen Jungen oder ein Mädchen, Frankreich um 1860, weißer Baumwollpiqué mit Applikation in schwarzer Wolle, Sammlung Ohm
Foto: Iris Jaeger
Amalie und Friederike von Oldenburg
Foto: Iris Jaeger
Mädchenkleider für die Abenteurinnen mit Stil
Foto: Iris Jaeger
„Der neue Spielkamerad“ (1873) von Johann Julius Ferdinand Kronberg
Foto: Iris Jaeger
Zeitlose Klassiker: Matrosenanzüge
Foto: Iris Jaeger
Schloss Eutin
Foto: Iris Jaeger


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