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Gefährdete Versorgung und hohe Kosten

Bundesrechnungshof sieht gravierende Versäumnisse bei der Energiepolitik der Ampel-Koalition
Von BRH/jh
Traurige Aussichten? Kein gutes Zeugnis stellt der Bundesrechnungshof der Energiepolitik der Bundesregierung aus. Langfristig sieht er die Versorgungssicherheit gefährdet und warnt vor hohen Strompreisen als Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende. Fotos: Imago

„Das Gelingen der Energiewende ist von herausragender Bedeutung für Deutschland. Ihre Ziele sind ambitioniert. In der Umsetzung hinkt Deutschland diesen Zielen aber deutlich hinterher. Ein Scheitern hätte gravierende Folgen, denn der Erfolg der Energiewende ist zentral für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung, den Wirtschaftsstandort Deutschland und das Erreichen der Klimaschutzziele“, fasst der Präsident des Bundesrechnungshofes (BRH), Kay Scheller, zusammen. Anlass ist die Veröffentlichung eines Sonderberichts über die Umsetzung der Energiewende in der Stromversorgung.

„Die Energiewende ist nicht auf Kurs. Die Bundesregierung muss dringend umsteuern, damit die Transformation erfolgreich ist, um Klimaneutralität bei gleichzeitiger sicherer, bezahlbarer und umweltverträglicher Versorgung mit Strom zu erreichen. Das Generationenprojekt Energiewende muss zielgerecht umgesetzt werden.“ Die Energiewende zielt auf eine grundlegende Umstellung der Energieversorgung in Deutschland auf Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz ab. Der Bundesregierung sind dabei energiepolitische Ziele vorgegeben: Die Energieversorgung soll sicher, bezahlbar und umweltverträglich sein (§ 1 EnWG).

„Aktuell hält der Bundesrechnungshof für den Bereich Strom fest: Die sichere Versorgung ist gefährdet, der Strom teuer, während die Bundesregierung die Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt nicht umfassend bewerten kann“, sagte Scheller. Zuletzt hatte der Bundesrechnungshof 2021 über Versäumnisse der damaligen Bundesregierung bei der Energiewende informiert. Seitdem hat der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg auf die Ukraine weitere Schwachpunkte und Herausforderungen der deutschen Energieversorgung offenbart. Daraufhin hat die Bundesregierung einen massiven weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien angekündigt. Im Jahr 2030 sollen sie 80 % des Bruttostromverbrauchs decken. Das soll nicht nur zum Klimaschutz beitragen, sondern auch die Importabhängigkeiten bei fossilen Energien verringern. Zudem sieht die Bundesregierung die Nutzung Erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse. Sie hat ihrem Ausbau in der Abwägung mit anderen Schutzgütern Vorrang eingeräumt, bis „die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist“.

Parallel zum Ausbau Erneuerbarer Energien wird der Bruttostromverbrauch in den nächsten Jahren deutlich steigen. Durch die zunehmende Elektrifizierung in den Sektoren Verkehr und Wärme geht die Bundesregierung von einem Anstieg um 33 % auf 750 TWh im Jahr 2030 aus (von 565 TWh 2021). Gleichzeitig hält die Bundesregierung am vorgezogenen Kohleausstieg im Jahr 2030 fest, den Ausstieg aus der Kernenergie hat sie bereits im April 2023 vollzogen.

Die Energiewende stellt daher eine Herausforderung für die Deckung des Strombedarfs dar. Um die angestrebte Versorgung mit Strom weitestgehend aus volatilen Erneuerbaren Energien zu sichern, muss der Bund dringend die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Hier ist die Energiewende nicht auf Kurs.

Unzureichende Kapazitäten

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) muss die Erneuerbaren Energien entsprechend den gesetzlich festgelegten Zielpfaden ausbauen. Allerdings ist absehbar, dass die Ausbauziele nicht erreicht werden.

So konnte die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Jahr 2023 lediglich 50 % des Zielvolumens für Windenergieanlagen an Land vergeben: statt 12,84 GW nur 6,38 GW. Um den Zielpfad zu erreichen, müsste sie im Jahr 2024 nunmehr 16,46 GW vergeben. Das ist nicht realistisch.

Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes Foto: BRH

Die Stromerzeugung durch Photovoltaik und Windanlagen unterliegt Schwankungen, sodass es zu Versorgungslücken kommen kann. Deshalb ist der Zubau ausreichender gesicherter und steuerbarer Back-up-Kapazitäten bis zum Jahr 2030 von zentraler Bedeutung. Diesen muss das Klimaschutz-Ministerium gewährleisten. Mit der Kraftwerksstrategie 2026 wird ihm das jedoch nicht gelingen, denn die darin vorgesehenen 10 GW H2-ready-Gaskraftwerke werden nicht ausreichen. Auch die Ausgestaltung eines zusätzlich geplanten Kapazitätsmechanismus für weitere Leistung ist noch offen. So ist nicht sichergestellt, dass die erforderlichen Back-up-Kapazitäten rechtzeitig verfügbar sein ­werden.

Außerdem ist ein erheblicher Ausbau der Stromnetze nötig. Der Netzausbau liegt aber erheblich hinter der Planung zurück. Der Rückstand beträgt mittlerweile sieben Jahre und 6.000 km.

Wirklichkeitsfremdes Monitoring

Gleichzeitig bewertet der BRH die Annahmen der Bundesregierung beim Monitoring der Versorgungssicherheit als wirklichkeitsfremd. Die Bundesnetzagentur betrachte in ihrem Monitoringbericht für die Jahre 2025 bis 2031 lediglich ein „Best Case“-Szenario: Danach werden die Ausbauziele sicher erreicht. Alternative Szenarien betrachtet das Monitoring nicht – obwohl der Ausbau weder bei den Erneuerbaren Energien noch den Stromnetzen auf Kurs ist. „Das Szenario ist sehr unwahrscheinlich. Es weicht von den tatsächlichen Entwicklungen erheblich ab“, so Scheller. „So nimmt das BMWK hin, dass Gefahren für die sichere Versorgung mit Strom nicht rechtzeitig sichtbar und Handlungsbedarfe zu spät erkannt werden. Der Zweck des Monitorings als Frühwarnsystem zur Identifizierung solcher Handlungsbedarfe wird faktisch ausgehebelt.“

Das Ziel einer sicheren Versorgung mit Strom kann so langfristig nicht gewährleistet werden. Die Bundesregierung muss daher verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten betrachten und auch ein „Worst Case“-Szenario einbeziehen, Maßnahmen ergreifen, um den Ausbau Erneuerbarer Energien und jederzeit gesicherter, steuerbarer Kraftwerksleistung sicherzustellen. Sie muss den Akteuren Planungssicherheit geben, um in die notwendigen Erzeugungskapazitäten und Stromnetze zu investieren.

Risiko für den Wirtschaftsstandort

Hohe Strompreise sind ein erhebliches Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende. Die Preise für Strom sind in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Sie gehören zu den höchsten in der EU. Weitere Preissteigerungen sind absehbar. Bis zum Jahr 2045 fallen allein für den Ausbau der Stromnetze massive Investitionskosten von mehr als 460 Mrd. € an. Das BMWK berücksichtigt diese Systemkosten bisher nicht bei seiner Darstellung der Kosten für Strom aus Erneuerbaren Energien. Um den sehr hohen Strompreisen entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung diese wiederholt mit staatlichen Mitteln punktuell bezuschusst. „Dadurch entsteht ein falsches Bild der tatsächlichen Kosten der Transformation“, machte Scheller deutlich.

Für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung ist der Ausbau der Erneuerbaren laut BRH-Bericht von überragender Bedeutung. Foto: Imago

Die Bundesregierung muss die Systemkosten der Energiewende klar benennen. Darüber hinaus sollte sie endlich bestimmen, was sie unter einer bezahlbaren Stromversorgung versteht. Die von ihr geregelten Strompreisbestandteile muss sie konsequent auf ihre energiepolitischen Ziele ausrichten.

Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung von überragender Bedeutung. Zugleich sind damit auch negative Auswirkungen auf die Umwelt verbunden. Knappe Flächen und Ressourcen werden in Anspruch genommen, die Biodiversität beeinträchtigt. Umweltschutzrechtliche Verfahrensstandards hat die Bundesregierung im Zuge der Energiekrise abgesenkt, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Sie hat es aber bis heute versäumt, ein wirksames Ziel- und Monitoringsystem für eine umweltverträgliche Energiewende einzuführen. Dabei ist dies notwendig, um unerwünschte Wirkungen der Energiewende auf einzelne Schutzgüter frühzeitig zu erkennen und angemessen nachsteuern zu können. Grundlage der Entscheidungen muss ein wirksames Monitoring sein.

Bisherige Maßnahmen ungenügend

„Unser Bericht zeigt: Die bisherigen Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende sind ungenügend und bergen deshalb gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele“, warnte Scheller. „Die Bundesregierung ist im Verzug beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze sowie beim Aufbau von Back-up-Kapazitäten. Hinzu kommen Wissenslücken über die Umweltwirkungen der Transformation und kein Konzept gegen hohe Strompreise. Zugleich fehlt ihr ein integriertes Monitoring der Energiewende, das alle energiepolitischen Ziele in den Blick nimmt. So läuft die Bundesregierung Gefahr, dass mögliche Konflikte zwischen den energiepolitischen Zielen ungelöst bleiben. Sie sollte schnellstmöglich Kurskorrekturen vornehmen. Die Risiken für die Energiewende und damit für unseren Wohlstand sind groß. Die Bundesregierung sollte unsere Prüfungsfeststellungen nutzen, um die aufgezeigten Defizite abzustellen.“

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