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Faszinierende alte Handschriften

In einem Workshop im Schleswiger Prinzenpalais lernten die Teilnehmer das Schreiben und Lesen von Sütterlin
Von Iris Jaeger
Brief in deutscher Kurrentschrift Fotos: Iris Jaeger

„Endlich alte Briefe lesen können“ – so lautete der Titel eines Sütterlin-Workshops, zu dem das Landesarchiv Schleswig in das Prinzenpalais eingeladen hatte. In dem Kurs ging es aber um weit mehr als nur um das Lesen und Entziffern von scheinbar unlesbaren Zeichen: Durch das Schreiben der einzelnen Buchstaben in Sütterlin entfaltete sich eine ganz neue und eigene Faszination für alte Handschriften.

Ein kleines „e“, das aussieht wie ein gequetschtes „n“, ein kleines „h“, das aussieht wie ein „f“, ein „r“, das aussieht wie ein „w“ – beim Lesen von Sütterlin muss man sich gedanklich umstellen, aber mit ein wenig Übung wird das Lesen flüssiger. Ebenso das Schreiben der Buchstaben. Natürlich könne man jemanden beauftragen, Dokumente, Briefe oder andere Schriftstücke aus Nachlässen zu übersetzen: „Schöner ist es doch aber, selbst zu erfahren, was die Verwandschaft schriftlich mitzuteilen hatte oder welches Rezept die Uroma am liebsten zubereitet hat“, meint Gesa Füßle, Lektorin, Übersetzerin, Mediävistin und Expertin für deutsche Schreibschrift.

Gesa Füßle leitete den Workshop im Prinzenpalais in Schleswig

Seit zehn Jahren gibt die Hamburgerin Sütterlin-Workshops, weil sie es wichtig findet, dass Menschen die Schrift selbst zu entziffern lernen, „damit sie in ihrer Recherche unabhängig sind“. Entsprechend lagen auch die Interessen der 16 Teilnehmer an dem Workshop in Schleswig: Ahnenforschung, historische Forschung, Archivarbeit, privates Interesse, aber auch berufliche Notwendigkeit, um beispielsweise bei Gericht alte Verträge zu Hofüberlassungen und Erbregelungen lesen zu können.

Dabei handle es sich in den Dokumenten vor 1911 aller Wahrscheinlichkeit nach bei den Schriften um die deutsche Kurrentschrift, die seit Beginn der Neuzeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als allgemeine Verkehrsschrift im gesamten deutschen Sprachraum galt und auch als deutsche Schreibschrift oder deutsche Schrift bezeichnet wurde, so Füßle. Typischerweise wurde sie zunächst mit dem Federkiel, später mit der Bandzugfeder geschrieben. Mit Einführung der Spitzfeder veränderte sich das Linienbild durch druckabhängige an- und abschwellende Linien. Diese waren zudem sehr schräg geschrieben, einige Buchstaben hatten starke Über- und Unterlängen, das Lineaturverhältnis lag bei 3:1:3. Wenn dann noch die eigene „Klaue“ mit dazukam, fiel das Entziffern schwer.

Mit etwas Übung fällt das Sütterlin-Schreiben mit der Zeit immer leichter. 

1911 erhielt der Grafiker, Pädagoge, Buch- und Schriftgestalter Ludwig Sütterlin vom preußischen Kultur- und Schulministerium den Auftrag, die Kurrentschrift zu vereinfachen, um den Kindern das Schreibenlernen zu erleichtern. Sütterlin vereinfachte die Buchstabenformen, verringerte die Ober- und Unterlängen (Lineatur im Verhältnis 1:1:1) und stellte die relativ breiten Buchstaben aufrecht.

Ab 1915 führte man die deutsche Sütterlinschrift in Preußen ein. Sie begann in den 1920er Jahren die bis dahin übliche Form der deutschen Kurrentschrift abzulösen, 1935 wurde sie in einer abgewandelten Form als Deutsche Volksschrift Teil des offiziellen Lehrplans. Sütterlin ist somit nur eine Variante der Kurrentschrift. Der Normalschrifterlass der Nationalsozialisten 1941 untersagte das Lehren der Kurrentschrift im Schulunterricht. Als Ausgangsschrift wurde ab 1942 in den Schulen die lateinische Schrift als Deutsche Normalschrift eingeführt. „Kurrent und Sütterlin haben die gleichen Buchstaben, wenn man Sütterlin lesen kann, kann man auch Kurrent lesen“, erklärte Gesa Füßle den Workshopteilnehmern und empfahl, beim Versuch, Schriftstücke zu entziffern, dranzubleiben, sich nicht zu viel vorzunehmen, sich Zeit zu lassen und die Schrift in Ruhe auf sich einwirken zu lassen. „Es hilft, sich die einzelnen Buchstaben oder Schriftzeichen mit dünnen Bleistiftstrichen abzuteilen, um sich das Wort Buchstabe für Buchstabe zu erschließen.“ Schwierig werde es, wenn Linien zusammengezogen werden wie beim „St“ oder „Sz“. Für das Schluss-s gibt es darüber hinaus noch ganz eigene Regeln.

Konzentriertes Lesen und Schreiben im Sütterlin-Workshop im Schleswiger Prinzenpalais

Und so übten die Teilnehmer den Vormittag über das Schreiben von zunächst einzelnen Buchstaben, dann Silben und Wörtern bis hin zu einfachen Sätzen. Am Nachmittag ging es dann ans Lesen oder vielmehr Entziffern alter Rezepte, Briefe und Poesiealbumsprüche. Neben der Schwierigkeit, die Linienformen zu erkennen, um daraus Buchstaben zu bilden, erschwerten die veraltete Sprache und Schreibweise das flüssige Lesen. „Mitunter hilft es, den Text abzufotografieren und so groß zu ziehen, dass man die Linien besser erkennen kann“, lautete eine Empfehlung von Gesa Füßle.

Im Alltag übe das Verfassen von Einkaufszetteln oder Notizen in Sütterlin das Schreiben und Lesen der alten Handschriften, mit dem positiven Nebeneffekt, dass sich die eigene Handschrift ebenfalls verbessere, da man achtsamer schreibe. 

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