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Der Markt kann nicht alles richten

75 Jahre Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz
Von Redaktion, age
Prod. Dr. Stefan Tangermann. Foto: Adrienne Lochte

Das Verhältnis von Agrarwissenschaft und Politik hat sich entspannt. Darin sind sich der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), Prof. Achim Spiller, und das ehemalige Gremiumsmitglied Prof. Stefan Tangermann einig. Beide erklären, dass Beiratsvorschläge heute schneller Eingang in die Politik fänden als in früheren Jahren.

Die Abkehr von der staatlichen Preispolitik führen die Agrarökonomen auch auf die Arbeit des Beirats zurück. Umwelt-, Klimaund Tierschutzziele könnten nicht allein über den Markt erreicht werden, sondern erforderten eine aktive Rolle des Staates. Vor übertriebenen Erwartungen an die Marktkräfte warnt der Agrarökonom und ehemalige Direktor bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Prof. Stefan Tangermann. „Man kann weder das Tierwohl noch die Auswaschung von Nitrat ins Grundwasser oder den Schutz der Biodiversität dem Markt überlassen“, sagte Tangermann in einem Interview mit Agra Europe zum 75-jährigen Bestehen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL).

Für Tangermann ist die Abkehr von staatlicher Preispolitik als Mittel zur Einkommensstützung das größte Verdienst des WBAE in den vergangenen Jahrzehnten. Dass sich die Agrarpolitik mittlerweile in diese Richtung bewegt habe, gehe jedoch nicht auf die deutschen Bundesregierungen zurück. Den Schwenk habe vielmehr die EU-Kommission vollzogen. Dem habe sich die deutsche Agrarpolitik angeschlossen, „anfangs schweren Herzens“.

Laut dem WBAE-Vorsitzenden Prof. Achim Spiller hat sich nichts an der damaligen Erkenntnis geändert, dass der Staat keine Einkommenspolitik über den Markt betreiben sollte. Inzwischen stehe man jedoch vor der Frage, wie die Transformation des Agrar- und Ernährungssystems in Richtung Nachhaltigkeit erreicht werden könne: „Wir haben es mit öffentlichen Gütern zu tun, die der Markt nicht hinreichend oder gar nicht bereitstellen kann.“ In Zeiten des Klimawandels, aber auch angesichts eines veränderten Mensch-Tier-Verhältnisses greife die Wissenschaft gesellschaftliche Herausforderungen auf, die eine aktive Politik benötigten, so Spiller.

Der Göttinger Agrarökonom rechtfertigt das Engagement von Wissenschaftlern in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Anders als mittlerweile in Gesetzgebungsprozessen werde in solchen Stakeholder-Kommissionen ernsthaft miteinander um das beste Argument gerungen, um zu einem Konsens zu gelangen. Spiller: „In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft kann der Wert eines solchen Dialogs kaum überschätzt werden.“ Tangermann stimmt dem zu. Ob Konsensrunden jedoch tatsächlich wirksam sein könnten, müsse sich erst erweisen.

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