Wie vielfältig und variantenreich Drucke sein können, zeigt aktuell das Museum Kunst der Westküste in Alkersum auf Föhr. Vergangenes Wochenende eröffnete dort die Ausstellung „Dampfer, Deiche, Dramen“. Erstmals präsentiert das Museum Werke aus der grafischen Sammlung, ergänzt um zeitgenössische Kunst
Mit Arbeiten von Max Liebermann, Emil Nolde, Edvard Munch, Max Kahlke, Alexander Eckener oder auch Otto Müller liegt der Schwerpunkt auf dem Zeitraum zwischen 1890 und 1930. Die Druckgrafik als individuelles künstlerisches Ausdrucksmittel wurde wiederentdeckt. Sie diente den Künstlern als Ausgangsbasis für ihr malerisches Schaffen und umgekehrt, und sie bot den Künstlern ein breites Spektrum an Motiven und Techniken. Egal ob Ätzverfahren wie bei Aquatinta, Flachdruckverfahren wie bei der Lithografie, mit der Kaltnadel gekratzte und geritzte Motive auf Metallplatten bei Radierungen oder Holzschnitt, „die Vielfalt, die diese zeichnerische Technik schafft, und deren druckgrafische Umsetzung sind so variantenreich und reizvoll für das Auge. Es ist kein leichtes Metier, und doch wird die Fantasie des Betrachters durch Auslassung ungeheuer angeregt“, erklärt Museumsleiterin Prof. Ulrike Wolff-Thomsen bei einem Rundgang durch die Ausstellung. „Bei den Drucken ist grafisch nicht alles durchgearbeitet, sodass die Betrachter dazu inspiriert werden, die Bilder zu vervollkommnen.“
Mit der von der wissenschaftlichen Ausstellungskoordinatorin und Kuratorin, Dr. Pia Littmann, getroffenen Auswahl von rund 80 Werken aus der 273 Arbeiten umfassenden Sammlung werden alle grafischen Techniken durchgespielt. Und es zeigt sich, dass sich ebenso wie in der Malerei die Wahrnehmung von Meer und Küste in der Druckgrafik wandelte: Naturerleben, Stimmungen und Atmosphäre eingefangen in feinsten Linien und nuancenreichen Schattierungen oder aber in groben, derben Kerbungen und Schnitzen.
Oft fantasievoll überzeichnet, stellten die Künstler seinerzeit die Natur entweder als Paradies, verlorenen Garten Eden oder als einen gewaltvoll-mystischen Ort dar. Spannend wurde es, als dann auch noch Farbe ins Spiel kam. „Max Liebermann war in Deutschland einer der Ersten, der in den 1890er Jahren anfing, sich systematisch mit der Druckgrafik auseinanderzusetzen“, erläutert Dr. Pia Littmann.
Er fertigte Radierungen und Lithografien an, die thematisch eng gebunden an seine Malereien und Zeichnungen bleiben und doch keine Reproduktionen der Motive darstellen. Er hatte Spaß dabei, unterschiedliche Radiertechniken auszuprobieren. Das Druckverfahren bot ihm die Möglichkeit, seine Werke zu vervielfachen und seine Bildwelten weit zu verbreiten, um damit ein größeres Publikum zu erreichen. „Die Druckgrafik ist somit für ihn ein demokratisches Medium“, so Littmann. Ein Aspekt, der auch bei Emil Nolde und Edvard Munch eine große Rolle spielt.
Die Künstler nutzten das Mittel der Druckgrafik auch, um Erlebtes und Eindrücke zu verarbeiten. Bei Munch ist es die unerfüllte Liebe, bei Max Kahlke der Schrecken des Ersten Weltkrieges. Oder sie erzählen so Geschichten, wie Alexander Eckener. Er hat Theodor Storms „Der Schimmelreiter“ in 59 Kaltnadelradierungen dargestellt, wovon in der Ausstellung 18 zu sehen sind: Deiche und Drama.
Gewaltige Dampfer und die Atmosphäre des Hamburger Hafens mit Kränen, Dalben, Seglern, Frachtern, Dampf, Nebel und den Landungsbrücken sind in großformatigen Radierungen von Emil Nolde zu sehen, der sich 1910 einen Schlagabtausch mit Max Liebermann lieferte und sich etwas später auf St. Pauli in Hamburg einquartierte und die Hafenkulissen in den Grafiken einfing.
Mit dem Norweger Are Andreassen, der Dänin Marie-Louise Exner und der Freiburgerin Henrieke Strecker treten drei aktuelle, zeitgenössiche Künstlerinnen und Künstler mit ihren Arbeiten in den Dialog zu den damaligen Darstellungen. Andreassen thematisiert in seinem farbigen Holzschnittzyklus „Røst“ die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Fischerei für Norwegen, anglehnt an die Geschichte des Untergangs dreier venezianischer Handelsschiffe 1432, deren Überlebende an der nordnorwegischen Insel Røst strandeten, dort von den Fischern aufgenommen wurden und Stockfisch in Italien als Exportschlager populär machten. Marie-Louise Exner hingegen braucht nur wenige feine Striche oder Punkte, um die Strukturen zum Beispiel von Wiesen, Gras, Dünen oder Schwärme von Staren einzufangen.
Einen ganz eigenen Weg geht Henrieke Strecker, die im vergangenen Oktober auf Einladung des Museums als Artist in Residence auf Föhr weilte. Sie ist nicht an Reproduktionen interessiert, weshalb sie sich für die Monotypie als grafische Technik entschied. Anstatt Druckplatten irreversibel zu verändern, werden ihre Unterlagen bemalt und bezeichnet, sodass immer nur ein einziger Abzug entsteht, „wie eine einzigartige Berührung“, so Strecker. Ihre Motive sind nicht gegenständlich, sondern Abdrücke ihrer inneren Landschaften, die erst im Laufe des Zeichenprozesses entstehen. Sie nutzt Naturmaterialien wie zum Beispiel Fischgräten als Pinsel und Zeichenwerkzeug, die sie, wenn sie fertig ist, wieder an die Natur zurückgibt.
„Dampfer, Deiche, Dramen“ ist bis zum 18. Juni zu sehen. Informationen zu den weiteren Ausstellungen, zu Veranstaltungen und Workshops gibt es unter mkdw.de