Kommentar
Die neue Bundesregierung hat den ökologischen Landbau erwartungsgemäß zur ihrem Leitbild für eine nachhaltige Landwirtschaft gemacht, mit dem Ziel 30 % Bioanbau bis 2030 zu erreichen, bis in die Ladentheke. Das hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in seiner Regierungserklärung am 14. Januar bekannt gegeben. Das sind dicke Bretter. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten ab jetzt pro Jahr 400.000 ha Acker und Grünland auf Ökolandbau umgestellt werden. Kommt einem das nicht bekannt vor? Man könnte an ein Dèjá-vu denken: Denn im Januar 2001 trat Renate Künast (Grüne) als Bundeslandwirtschaftsministerin an und verkündete das Ziel, den ökologischen Landbau von 3,2 % Prozent der Fläche auf 20 % innerhalb von zehn Jahren auszudehnen.
Ist Bio oldschool?
2012 lag der Anteil des ökologischen Landbaus bei 6,2 % der Fläche (7,3 %der Betriebe) und nochmals zehn Jahre später, 2020, bei 10,3 % der Fläche (13,5 % der Betriebe). Zu Künasts Zeiten lastete die BSE-Krise auf der Branche. Heute bestimmt die Corona-Pandemie die Tagespolitik und fordert ihren Tribut. In der Landwirtschaft kommt die Afrikanische Schweinepest (ASP) als zusätziche unberechenbare Komponente für den Schweinesektor hinzu. Die Verbraucher werden sich mit Inflation, steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen und höheren Mieten arrangieren müssen. Die Frage, ob die Karotte biologisch angebaut wurde oder nicht, könnte vor diesem Hintergrund schnell an Bedeutung verlieren. Die Gefahr besteht, dass durch die dogmatische Haltung in der grünen Agrarpolitik die politische und gesellschaftliche Spaltung zwischen bio und konventionell weitergetrieben wird. Auf der landwirtschaftlichen Ebene findet längst ein intensiver Austausch statt, der zu immer mehr konstruktiven Lösungen führt. Die Bewirtschaftungssysteme werden immer weiter zusammenrücken, dafür sorgen auch digitale Techniken. Wird Bio allmählich „oldschool“? Hybride Landwirtschaft ist keine Utopie mehr. Präzisere Verfahren werden den Pflanzenschutzmitteleinsatz nochmals drastisch reduzieren und mechanische Verfahren kommen bald flächendeckend bei Öko- wie konventionellen Betrieben zum Einsatz. Künstliche Intelligenz wird immer stärker auch in die Tierställe einziehen, Tierwohl überwachen und präventiv eingreifen, unabhängig ob bio oder konventionell.
Özdemir könnte mit leeren Händen dastehen
Die Alleinstellungsmerkmale des ökologischen Anbaus werden weiter zusammen schmelzen. Die Landwirtschaft wird insgesamt grüner, dafür sorgt auch die EU-Agrarpolitik. Jetzt müssen 30 % Bio in die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) integriert werden. Hier sitzt der Tresor für die EU-Landwirtschaft, aus dem jährlich rund 6 Mrd. € nach Deutschland fließen und bestimmen, in welche Richtung die Entwicklung geht. Özdemir wird erklären müssen, wie er 30 % Ökolandbau finanzieren will. Skepsis ist angebracht und Unmut macht sich breit unter den Ökobetrieben angesichts der aktuellen Bedingungen. Umstellungswillige Kollegen werden zur Vorsicht gemahnt. Denn die nationalen Regeln der GAP stellen Ökobetriebe schlechter. Sie riskieren bei Teilnahme an den Eco-Schemes ihre Ökoprämie aus der Zweiten Säule. Verbessern Bund und Länder die GAP-Verordnungen nicht, steht Özdemir mit leeren Händen da. Dann werden bald 400.000 ha und die GAP zu einer harten Bewährungsprobe für den neuen Bundeslandwirtschaftsminister und seine Biopläne.
Mechthilde Becker-Weigel, Chefredakteurin
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