„Der Burgmann Heine Schack gelobt seiner Tochter, Mitgift und Brautschatz in Höhe von 230 Mark Pfennige dem Knappen Hartwig von Plessen zu zahlen“, so lautet ein Satz aus einer Urkunde von 1424, die das Landesarchiv Schleswig-Holstein Anfang der Woche präsentierte.
Doch ist dieser Satz noch gar nicht das Besondere an diesem Dokument, das am 1. Februar 600 Jahre alt wurde. „Das Besondere ist die Formulierung einer sogenannten Schadensklausel, die besagt, dass derjenige, der nicht zahlen kann, sich Geld bei jüdischen oder christlichen Geldverleihern leihen kann. Diese Textpassage ist eine kleine Sensation, denn das hieße, dass es bereits 1424 in Lauenburg und, nach unserem Kenntnisstand, auf dem Gebiet des heutigen Schleswig-Holstein jüdisches Leben oder zumindest aber Handelsbeziehungen mit Juden gegeben hat“, erklärte Prof. Rainer Hering, Leiter des Landesarchivs, bei der Vorstellung der Urkunde.
Die Forschung sei bislang davon ausgegangen, dass erst Ende des 16. Jahrhunderts Jüdinnen und Juden auf dem Territorium des heutigen Schleswig-Holstein lebten. Diese Urkunde sei ein Hinweis darauf, dass es bereits 150 Jahre vorher schon Kontakte zu Juden gab oder man sich an Kontakte mit ihnen erinnerte. „Es ist kein Beleg, dass es so war. Da sich Geschichte in Prozessen abspielt und wir nur bruchstückhafte Überlieferungen gerade aus dem Mittelalter haben, handelt es sich hier um ein Indiz“, so der Leiter des Landesarchivs. Dennoch sei es auch für ihn persönlich beeindruckend, gerade in der heutigen Situation, wo das Verhältnis wieder angespannt sei und Antisemitismus zunehme, zu sehen, dass es schon vor 600 Jahren jüdisches Leben oder Handelsbeziehungen gegeben haben könnte.
Der agrarische Jahreszyklus seinerzeit sorgte dafür, dass Bauern nicht immer finanziell flüssig waren, da sie ihre Einkünfte erst zur Erntezeit erhielten, den Rest des Jahres aber Ausgaben hatten. Wenn sie Geld brauchten, mussten sie es sich leihen. Juden waren nicht an die Verbote der katholischen Kirche gebunden, die für Christen den Geldverleih einschränkten oder untersagten. Zudem wurden sie von vielen Berufen ausgeschlossen und so in die Rolle des Geldverleihers gedrängt, erläuterte Rainer Hering die Hintergründe des Geldverleihs.
1880 gelangte die Urkunde nach Schleswig-Holstein ins Landesarchiv. Entdeckt habe er sie vergangenes Jahr bei Online-Recherchen im Archivinformationssystem Arcinsys. „Wir haben in etwa 1,6 Millionen Datensätze im Archivinformationssystem, dazu 52 Kilometer Unterlagen und Akten im Magazin des Landesarchivs. Darin befinden sich noch viele unendeckte Schätze. Aber Abfragen des Quellenmaterials können solche Ergebnisse wie die wiederentdeckte Urkunde hervorbringen. Konkreter Anlass war der Antrittsbesuch des neuen Beauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Dr. Gerhard Ulrich“, erinnert sich Rainer Hering. Dafür habe er nachgeschaut, was es an Unterlagen zu dem Thema Juden in Schleswig-Holstein gebe, und sei dabei auf diese Urkunde gestoßen. Aufgrund der Masse an Unterlagen entdecke man manche Dinge erst, wenn konkret danach gefragt werde.