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Harte Währung Stickstoff

Editorial zur Neuausweisung der Roten Gebiete
Von Mechthilde Becker-Weigel
An den Nitratmessstellen wird demnächst entschieden, was in welcher Intensität angebaut werden kann. Foto: Imago

Gefahr in Verzug bezeichnet eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht eine zuständigen Behörde oder Person unmittelbar tätig wird. Stickstoff ist eine harte Währung in der Landwirtschaft, und Gefahr ist in Verzug, Anbauflächen und Erträge zu verlieren.

In den Niederlanden demonstrieren Landwirte seit Wochen vehement gegen die Stickstoffpolitik der Den Haager Regierung. Die Stickstoffziele, die Christianne van der Wal, Ministerin für Natur und Stickstoff, dem Repräsentantenhaus verkündet hat, sind für die Landwirte drastisch. Gemäß diesen Zielen müssen die Emissionen in den Provinzen Noord-Brabant, den Gelderse Vallei und Limburg um mehr als die Hälfte vermindert werden. In Naturschutzgebieten müssen die Emissionen sogar um mindestens 95 % reduziert werden, im Ring um diese Gebiete um 70 %. Die Provinzen sind für die Umsetzung verantwortlich, und es wird mit dramatischen Folgen bis hin zu zwangsweisen Betriebsschließungen gerechnet (Bericht Seite 13).

In Deutschland hat der Bundesrat am Freitag, 8. Juli, der Novelle der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV GeA) zugestimmt (Bericht Seite 10). Mit der Neufassung reagiert die Bundesregierung auf die Kritik der EU-Kommission an den von der vorherigen Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungen. Noch in diesem Jahr werden die sogenannten Roten Gebiete, in denen die Landwirte unter Bedarf düngen müssen, deutlich wachsen. Die EU-Kommission hatte unter anderem die Methodenvielfalt der Messverfahren kritisiert. Ab 2025 muss bundesweit das geostatistische Regionalisierungsverfahren angewendet werden. In Schleswig-Holstein wird die Zahl der Nitratmessstellen dann von 225 auf 640 wachsen und die Nitratkulisse von bislang 5,4 % auf dann 10 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche ansteigen.

Umweltorganisationen sprechen von einem Schritt in Richtung Verursachergerechtigkeit. Das ist nur ein Teil der Wahrheit und straft besonders die gewässerschonend wirtschaftenden Betriebe in der Kulisse. Diese sollen laut EU-Kommission die Möglichkeit erhalten, von zusätzlichen Maßnahmen in der Nitratkulisse befreit zu werden. Jetzt kommt die Digitalisierung ins Spiel. Denn dafür werden Plattformen benötigt, um betriebsspezifische Düngedaten zu sammeln und zu analysieren. In Schleswig-Holstein soll dafür die Plattform Endo SH aufgebaut werden und ab 31. März 2023 für die Ermittlung von Düngedaten zur Verfügung stehen.

Seit 2012 hat die EU-Kommission immer wieder Kritik an der deutschen Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie durch die Düngeverordnung geäußert. Seit 2017 gab es mehrfache Änderungen des Düngerechts, durch die viele Landwirte immer wieder ihre Bewirtschaftungsweisen ändern mussten. Nach Überprüfung der Landesverordnungen und der darauf basierenden Gebietsausweisungen in den Ländern forderte die EU-Kommission im Juni 2021 erneut deutliche Nachbesserungen. Dies betraf vor allem die Ausweisung der belasteten Gebiete. Es wird Zeit für abgestimmte Lösungen und Produktionssicherheit. Hinter der Währung Stickstoff steht Nahrungsmittelproduktion – und nicht erst an der letzten Dezimale die Ernährungssicherung.

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