Auch im Jahr 2022 lud die Rinderzucht Schleswig-Holstein eG (RSH) ihre gewählten Vertreter Mitte März nicht nach Neumünster, sondern vor die Computerbildschirme zur Videokonferenz. Auf der Tagesordnung standen neben den Berichten aus dem abgeschlossenen Geschäftsjahr (GJ) 2020/2021 auch turnusgemäße Wahlen von Vorstand und Aufsichtsrat. An der Versammlung nahmen rund 70 zugeschaltete Vertreter sowie zahlreiche Gäste teil.
Die Mitgliedsbetriebe blicken nicht nur auf ein schwieriges Jahr 2021 zurück, in dem die Pandemie und ihre Auswirkungen die Wirtschaft der Welt fest im Griff hatten. Der sich abzeichnende weitere Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise bereitete vielen Landwirten Sorge und konnte bei weitem nicht durch die leicht anziehenden Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte gedeckelt werden. Mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine bewegt sich die Preisspirale für Rohstoffe und Energie in ungeahnte Höhen, und niemand kann bis jetzt absehen, wohin diese Krise die deutsche Ernährungs- und Landwirtschaft noch führen wird.
Routinen während der Pandemie
Als ersten Redner des Tages bekam Geschäftsführer Olaf Weick das Wort. Hier ging es wie gewohnt um den Abschluss des zurückliegenden Geschäftsjahrs (GJ) 2020/2021. Die Zahl der rinderhaltenden Betriebe in Schleswig-Holstein folgt dem weiterhin rückläufigen Bundestrend. So verzeichnet die RSH einen weiteren Rückgang ihrer Mitgliederzahlen um 4 % auf noch 4.221 Mitglieder zum Stichtag, den 30. August 2021. Da sich dieser Trend über die vergangenen Jahre konstant fortgesetzt hatte, geht Weick davon aus, im laufenden GJ 2021/2022 erstmals weniger als 4.000 Mitglieder in der Genossenschaft zu vereinen. „Der operative Umsatz der RSH ist trotz des sehr positiven Jahresüberschusses im Trend rückläufig und auch insgesamt unter den anfangs prognostizierten Erwartungen geblieben“, bilanzierte er. Insgesamt sanken die Umsatzerlöse der Genossenschaft abermals im Vergleich zum Vorjahr von 24,6 Mio. auf 23,7 Mio. €.
Unter Berücksichtigung von Steuern schließt die RSH ihr Geschäftsjahr mit einem Jahresüberschuss von 542.234 €, was eine leichte Steigerung von rund 91.000 € im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. So konnte die positive Tendenz trotz widriger äußerer Einflüsse fortgesetzt werden: „Insgesamt ist das hier berichtete Ergebnis unter den bestehenden Voraussetzungen als sehr gut zu bewerten“, schloss Olaf Weick. Es soll eine Einstellung in die Ergebnisrücklagen von 500.000 € erfolgen.
Schwierige Rahmenbedingungen
„Aktuell kann man ohne Wenn und Aber von turbulenten Zeiten sprechen“, eröffnete Volker Kaack seine erste Rede als Vorstandsvorsitzender vor der Versammlung. Nach der weltweiten Corona-Pandemie folgt nun der Krieg in der Ukraine, der die seit 2020 kontinuierlich steigenden Preise mittlerweile in einigen Bereichen in astronomische Höhen schraubt. In Kombination mit unklaren politischen Rahmenbedingungen und wachsendem Druck der Öffentlichkeit auf die Landwirtschaft führt das zu großer Unruhe innerhalb des Berufsstandes. Die wirtschaftliche Situation auf den Höfen verschlechtert sich zusehends, Betriebe werden aufgegeben und Tierbestände verkleinert. Diese Entwicklungen gestalten auch für die RSH das Fahrwasser schwieriger. In der Besamung erwartet die RSH aufgrund der oben erwähnten Tatsachen einen weiteren Rückgang der Besamungszahlen um 4 bis 5 %, wobei rund 30 % der Besamungen mittlerweile mit Fleischrinderbullen getätigt werden. Auf dem deutschen Spermamarkt ist das Marktpotenzial, auch in Schleswig-Holstein, heiß umkämpft. Das führt zu einem Wettbewerbsdruck auf die Zuchtorganisationen, dem nur gemeinsam entgegengewirkt werden kann. So werden große Teile des Zuchtprogramms seit dem 1. Januar 2021 zusammen mit den Partnern der Phönix Group betrieben, was aufgrund der Synergieeffekte und des Einsparungspotentials als insgesamt richtiger Schritt zu sehen ist.
Vermarktung in der öffentlichen Diskussion
Der öffentliche Druck durch die zum Teil nicht faktengetreue Berichterstattung über die Vermarktung von Zuchtrindern außerhalb der EU steigt weiter. Dabei wird durch den Verkauf der hochwertigen Zuchtrinder ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Milchrinderzucht in diesen Ländern geleistet. „Die RSH legt größten Wert darauf, dass die vermarkteten Tiere fachgerecht, tierschonend und unter Wahrung aller gesetzlichen Auflagen so komfortabel wie möglich an ihren Bestimmungsort transportiert werden“, sagte Kaack.
Mit den zukünftigen Anforderungen im Hinterkopf sollten immer wieder Verbesserungspotenziale innerhalb der RSH überdacht werden. Neben den bekannten Kernbereichen des Unternehmens sollte der Blick auch kontinuierlich auf eine Expansion der wichtigen Dienstleistungspalette gerichtet sein, um die Mitglieder optimal zu beraten und die Kundenbindung zu intensivieren. „Unter den prognostizierten Rahmenbedingungen, welche von uns nicht alle direkt, sondern nur zum Teil oder auch gar nicht beeinflusst werden können, rechnen wir mit einem leicht positiven Jahresergebnis“, schloss der Vorstandsvorsitzende seine Rede.
Spermavermarktung und Zuchtprogramm
Als neuer verantwortlicher Leiter der Abteilung Zucht gab Ingo Schnoor einen Ausblick über die Entwicklung der Besamungszahlen und Spermaverkäufe im laufenden Geschäftsjahr. Immer noch bestreiten die Schwarzbunten mit 56 % den größten Anteil der EB (Erstbesamungen), allerdings verlieren auch im laufenden Geschäftsjahr alle Milchrassen weiter prozentual Anteile in der Größenordnung von 7 bis 12 %. 21 % der Erst- und sogar 29 % der Gesamtbesamungen (GB) werden mittlerweile mit Fleischrinderrassen durchgeführt, das ist eine weitere Steigerung der EB um 4 % im Vergleich zum Vorjahr. Um rund 10 % weiter steigend ist die Zahl der mit gesextem Sperma durchgeführten Besamungen bei den Milchrassen, und auch bei den Fleischrindern wird rund 6 % mehr gesextes Sperma eingesetzt als im Vorjahr. „Wir erwarten für diesen Geschäftsbereich eine weitere Fortführung dieser Tendenzen, die sich vor allem durch geringere Aufzucht- und Remontierungsraten und die deutlich höheren Erlöse für Kreuzungskälber begründen“, erklärte Schnoor den sich abzeichnenden Trend in der Besamung.
Dr. Heiner Kahle, Leiter der Abteilung Vermarktung und Herdbuch, gab einen Überblick über die Aussichten der Zuchtviehvermarktung im laufenden GJ. Auch die Zahl der vermarkteten Tiere bis zum 31. Dezember 2021 ist mit 170 Tieren weniger rückläufig. Die Vermarktungskanäle haben sich leicht verschoben, so wurden weniger Tiere (–329) über den Export abgesetzt und auch die Zahlen der über die Zuchtviehauktion in Neumünster vermarkteten Tiere sanken. Dies ist maßgeblich auf die sich immer komplexer gestaltenden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Export und die Ausfälle der Auktionen durch die Corona-Schutzauflagen zurückzuführen.
Neben den Kernbereichen Besamungsdienstleistung, Sperma- und Zuchtrindervermarktung bietet die RSH eine breite Palette individueller Dienstleistungen für rinderhaltende Betriebe. „Auch unser Betriebsberatungsprogramm RSH-Optipro zur Analyse von Bestandsproblemen, das seit 2016 rund 250 Betriebe in Anspruch genommen haben, bleibt Dank der Förderung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (Eler) bis Ende 2022 kostenlos“, warb Dr. Heiner Kahle abschließend nochmals für das vielfältige Beratungsangebot der RSH.
Gründung der Phönix Repro GmbH
Neben dem Zusammenschluss der Verbände innerhalb der Phönix Group als größtes deutsches Holstein-Zuchtprogramm, entstand im Januar 2021 auch die Phönix Repro GmbH: „Die klare Zielsetzung war, alle anspruchsvollen, modernsten biotechnischen Verfahren uneingeschränkt anzuwenden und weiterzuentwickeln, zugunsten des Zuchtfortschritts für unsere Züchter“, leitete Dr. Erwin Hasenpusch, hier in Funktion des Geschäftsführers der Phönix Repro GmbH, ein. Die hierfür benötigte Infrastruktur musste neu geschaffen werden. Neben Mitarbeitern und Ausrüstung mussten vor allem neue Ställe für die weiblichen Spitzenrinder eingerichtet werden. Hierfür entstand neben Dabergotz (RBB) und Fließem (RUW) auch ein Standort bei der RSH, nämlich im vorher als Prüfstall genutzten Gebäude in Ruhwinkel. Anfang Mai 2021 zogen die ersten aus dem RSH- und dem RinderAllianz-Gebiet stammenden Spendertiere ein, der erste Termin für ein „Ovum-Pick-Up“ (OPU) fand bereits am 17. Mai 2021 statt. Bei diesen „Donoren“ handelt es sich um die genetische Spitze der weiblichen Population, die im Zuchtprogramm als Top-Donoren beziehungsweise Subtop-Donoren mit jeweils 30 beziehungsweise 15 Embryonen ihren Beitrag für die Bullenselektion von morgen liefern.
Veränderungen im Vorstand
Aus dem Vorstand schieden satzungsgemäß Christian Fischer (Brunsbek) und Hans Andresen (Böklund) aus. Weitere Vorschläge für die vakanten Posten aus dem Plenum der Vertreter gab es bis zur gesetzten Frist nicht. Aus dem Aufsichtsrat schieden Ingwer-Martin Carstensen (Lütjenholm), Klaus Heldt (Groß Schlamin), Michael Petersen (Taarstedt) und Hauke Pein (Appen) satzungsgemäß aus. Hauke Pein stellte sich aus persönlichen Gründen nicht für eine weitere Amtszeit zur Wiederwahl. Als Ergänzung wurde Thies Magens aus Kollmar vorgeschlagen, der gemeinsam mit seiner Familie einen Betrieb mit rund 470 rotbunten und schwarzbunten Holsteins betreibt und sich schon lange mit der RSH verbunden fühlt.
Aufgrund der Online-Konferenz mussten die Wahlen und die Zustimmung zur Ergebnisverwendung im Nachgang als Umlaufverfahren schriftlich erfolgen und wurden Anfang April ausgewertet. Der Vorschlag zur Verwendung des Ergebnisüberschusses, die zur Wiederwahl vorgeschlagenen Mitglieder des Ehrenamtes und Thies Magens als neues Mitglied im Aufsichtsrat, fanden alle eine ausreichende Stimmenanzahl und damit die Bestätigung. Ein herzlicher Dank gilt Landwirten aus dem Ehrenamt der RSH für ihre Zeit und ihr Engagement für die Belange der Genossenschaft und allen Vertretern für ihr zahlreiches virtuelles Erscheinen an diesem Tag. Die RSH hofft auf ein großes, persönliches Zusammentreffen am 29. Oktober 2022 zu „Neumünster am Abend“ als Nachholtermin für den Ausfall im Frühjahr.