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Mit Habeck am Küchentisch

„Schieß‘ los, wie geht‘s der Landwirtschaft?“, wollte der Kanzlerkandidat von Landwirt Tilo von Donner erfahren
Von Sven Tietgen
Grünen-Chef und Kanzlerkandidat Robert Habeck in Wahlstorf bei Tilo von Donner. Journalisten durften das Küchentischgespräch vom Flur aus verfolgen. Foto: Sven Tietgen

Dr. Robert Habeck hat den Küchentisch für seine Politik entdeckt. Bekannt machte der Grünen-Politiker das Möbelstück, als er in einem Video in der Küche sitzend seine Kanzlerkandidatur ankündigte. Jetzt bietet der Bundeswirtschaftsminister im Wahlkampf Küchentisch-Gespräche an – und will so Volksnähe demonstrieren. Nach ersten Treffen mit einer Erzieherin und einer 96-Jährigen besuchte Habeck in Wahlstorf (Kreis Plön) mit Tilo Friedrich von Donner erstmals einen Landwirt.

Wer bei dem Zusammentreffen Schimpftiraden wegen der Agrarpolitik der mittlerweile auseinandergebrochenen Ampelregierung erwartet, dürfte von dem mit Filmkameras dokumentierten Küchentisch-Gespräch bei Familie von Donner enttäuscht sein. Der 55-jährige Landwirt und der gleichaltrige Vizekanzler hatten sich bereits ein Mal im Zuge des Bundestagswahlkampfs 2021 getroffen. Als Tilo von Donner von dem neuen Gesprächsformat hörte, lud er Robert Habeck in seine Bauernküche ein.

che ein. „Ich finde es gut, wenn Spitzenpolitiker egal welcher Partei zu den Leuten nach Hause kommen und mit ihnen ins Gespräch gehen“, erklärt der Landwirt und Lohnunternehmer. Gleich bei seiner Ankunft bietet er dem Gast das Du an. Robert Habeck nimmt das Angebot an, ruft den drei im Wohnzimmer spielenden Kindern freundliche Worte zu und krault ausgiebig Hund Arwi. In der filmtechnisch ausgeleuchteten Küche greift der Wirtschaftsminister zum Kaffeebecher und startet einen Klönschnack, fragt nach der Historie des Hofes mit 80 ha Grün- und Ackerland und den landwirtschaftlichen Aktivitäten des Familienbetriebes.

ten des Familienbetriebes. Mit Habecks Frage „Wie geht es der Landwirtschaft?“ ist es vorerst vorbei mit dem Small Talk. Tilo von Donner spricht von der Bürokratie als Riesenthema des Berufsstandes, erzählt von Daten, die doppelt oder mehrfach an unterschiedliche Behörden, Kassen oder Stellen übermittelt werden müssten. Das gilt für Nährstoffein- oder -austräge beim geplanten Hähnchenmaststall wie für Meldungen zu den Galloways, die Tag und Nacht das Grünland beweiden. Dazu verändern sich manchmal innerhalb kurzer Zeit die Vorgaben, etwa für die Knickpflege. „Man sollte den Landwirten und Lohnunternehmern mehr Eigenverantwortung zutrauen. Irgendwann werden Vorgaben unpraktikabel, etwa wenn beim Knickputz alle drei Jahre nur der jährliche Zuwachs geschnitten werden darf“, erzählt von Donner

Robert Habeck versteht den Unmut des Wahlstorfer Landwirts und erinnert an seine Amtszeit als Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein zwischen 2012 und 2018. „Das sind oftmals gewachsene Strukturen“, erläutert der Grünen-Politiker und hat Bedenken, dass viele Ausnahmen erwartet würden. In Sachen Bürokratie sympathisiert der Kanzlerkandidat der Grünen mit einem Vorschlag des aktuellen Landwirtschaftsministers: Werner Schwarz (CDU) brachte eine „Datensäule“ ins Gespräch, auf die alle betroffenen Ämter und Stellen in ihrem Umfang zugreifen könnten.

Thilo von Donner wirbt weiter dafür, dass Weidekühe nicht mehr als Klimakiller bezeichnet werden sollten: „Diese Sichtweise ist einfach falsch.“ Rinder sollten vielmehr als Partner im Kampf gegen den Klimawandel gesehen werden, denn durch das Grasrupfen mit den Konuszähnen werde mehr Kohlenstoff im Dauergrünland gespeichert als im Wald. „Das Grünland bindet den Kohlenstoff dauerhaft ein“, erklärt der Landwirt.

In Sachen Freihandelsabkommen mit Südamerika macht er sich Sorgen. In Deutschland würden den Landwirten sehr hohe Standards aufgelegt, mit dem Mercosur-Abkommen könnten Produkte den Weg nach Europa finden, die unter deutlich schlechteren Sozial- oder Umweltstandards hergestellt werden. Robert Habeck ist da zuversichtlicher. Er geht von relativ guten Schutzstandards aus.

Einig ist das Duo beim Windkraftausbau vor Ort. Das Thema sei ein Aufreger in der Region, erzählt von Donner. Die 1998 ans Netz gegangenen Windmühlen sollten im Zuge des Repowerings durch größere Windkraftanlagen ersetzt werden. Aus den Plänen werde aber nichts: Der Standort wurde aus der neuen Regionalplanung gestrichen – das Areal gilt als sogenanntes Seeadlerdichtezentrum. „Das kann hier keiner verstehen, die Seeadlerbestände haben sich in den vergangenen 26 Jahren verdreifacht“, erklärt von Donner. Der Vizekanzler erinnert sich, dass es Ende der 1980er Jahre kaum Seeadler in Schleswig-Holstein gab. „Heute sind es rund 150 Brutpaare. Ich werbe dafür, statt dem individuellen Tötungsverbot das Anwachsen der Populationen als Kriterium zu nutzen. Wächst die Population von Uhus, Seeadlern oder Rotmilanen, kann auch mehr zugebaut werden“, sagt Habeck.

Die rund 75-minütige Unterredung am Küchentisch kam beim Gastgeber gut an. „Mir hat gut gefallen, dass er bei vielen Themen auf dem Laufenden war und Lösungen aufgezeigt hat. Es war ein guter Austausch, Robert Habeck wollte wirklich wissen, was für Probleme gerade in unserem Berufsstand existieren und was uns bewegt“, resümierte Tilo von Donner. Sven Tietgen

Tilo von Donner sieht auch seine Galloways als Partner im Umgang mit dem Klimawandel. Foto: Sven Tietgen
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