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Zusammenhalt, Stärke, Hoffnung

Menschen in Israel nach dem 7. Oktober 2023 – Fotografien von Magalí Druscovich im Jüdischen Museum Rendsburg
Von Iris Jaeger
In zehn großformatigen Fotografien dokumentiert die argentinische Fotografin Magalí Druscovich Geschichten von Menschen in Israel nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Foto: Iris Jaeger

Jede Krise, so schlimm sie gerade auch sein mag, birgt Chancen und Möglichkeiten. Davon ist die argentinische Fotografin Magalí Druscovich überzeugt. Denn das, was die Menschen im Angesicht von Schrecken, Leid und Schmerz eint, ist Zusammenhalt, Solidarität, Stärke und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

In ihrer aktuellen Ausstellung „Home Front“, die am vergangenen Sonntag im Betsaal des Jüdischen Museums Rendsburg eröffnet wurde, erzählt Magalí Drus­covich in zehn eindrucksvollen, großformatigen Fotografien die Geschichten von Menschen in Israel nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des brutalen Überfalls der Hamas auf Israel. Sie dokumentiert mit diesen Bildern nicht nur den Schmerz, sondern auch die engen Verbindungen und die gegenseitige Unterstützung, die in der Krise enstanden sind. Im Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, werden dieses Prinzip der gegenseitigen Fürsorge, die Verantwortung füreinander und der Zusammenhalt der Gemeinschaft mit dem Begriff „Arevut“ beschrieben.

Magalí Druscovich vor einer ihrer Fotografien
Foto: Iris Jaeger

„Es ist diese Resilienz, diese Widerstandskraft, die gelebte Solidarität und Gemeinschaft in den Fotos, die uns so angesprochen haben und für uns ausschlaggebend waren, diese Ausstellung zu zeigen“, erklärt Mirjam Gläser, stellvertretende Leiterin des Jüdischen Museums und dort zuständig für Bildung und Vermittlung. Als die 32-jährige Fotografin sich mit ihrem Fotoprojekt an verschiedene jüdische Museen wandte, habe man gleich reagiert: „Wir hatten zuvor schon länger überlegt, was wir als Jüdisches Museum zum 7. Oktober machen können, und versucht, Ideen zu entwickeln, wie man diesen Tag als Erfahrung für Jüdinnen und Juden in unsere neue Dauerausstellung einbauen könnte, aber nicht so recht etwas gefunden. Umso mehr haben wir uns gefreut, als Magalí uns diese Ausstellung vorgestellt hat. Für uns ist es eine passende Möglichkeit, anlässlich dieser Terroranschläge vom 7. Oktober und der sehr aufgeheizten Debatte die menschliche Seite der Krise zu zeigen, bei den Menschen zu bleiben und bei deren Geschichten“, erläutert Gläser das Zustandekommen dieser Ausstellung.

Als Fotografin liege ihr Fokus auf Themen wie Menschenrechten, Gesundheit und Jugend, erzählt ­Druscovich. Für ihre bereits preisgekrönten Projekte kommt sie mit den Menschen vor Ort ins Gespräch, trifft sich mit ihnen, hört ihre Geschichten, führt Interviews, recherchiert zu den Themen, bevor sie fotografiert.

So war es auch bei diesem Projekt, für das sie durch Israel reiste, um die Geschichten Betroffener zu erfahren. Zum Beispiel von Rami, der 140 Kinder auf dem Nova-Musikfestival rettete, oder von Kathy, die 1.200 Kinder aus dem Süden und Norden im Kfar Maccabiah Hotel aufnahm, von Gabriel, der gegen Terroristen kämpfte, um seinen Kibbuz zu verteidigen. Alles begann mit dem Schicksal von Sigalit Shemer, die ihren 21-jährigen Sohn Ron beim Nova-Musikfestival verlor. „Sieben Tage lang suchte sie nach ihm und versuchte herauszufinden, was mit ihm geschehen ist. Die Armee teilte ihr mit, dass er erschossen wurde. Um zu erfahren, was genau ihr Junge in den Stunden vor seinem Tod erlebte, und um zu verstehen, was geschehen ist, wollte sie alles wissen. Sie begann mit Umfragen unter Überlebenden, hinterließ Posts in den Sozialen Medien, um andere Festivalteilnehmer zu finden, die mit ihrem Sohn in den letzten Stunden zusammen waren. Sigalit fand heraus, dass ihr Sohn bei dem Versuch starb, einem Mädchen zu helfen. Sie suchte nach weiteren Informationen und startete dafür eine Kampagne in einer israelischen Facebook-Gruppe, in der sie weitere Betroffene traf und in der ich auch Mitglied war. Auf diese Weise kam unser Kontakt zustande. Sigalit erzählte mir, dass es ihr geholfen habe zu wissen, was mit ihrem Sohn passiert ist, um zu verstehen, zu trauern und um weiterleben zu können“, erzählt Druscovich von den Anfängen von „Home Front“.

Sigalit Shemer, Naama Navon, Talila Ariel und Tali Atias (v. li.) verloren ihre Kinder beim Nova-Festival. Sie kannten sich vor dem 7. Oktober nicht, doch sie eint der Schmerz, ein Kind zu verlieren.
Foto: Magalí Druscovich

Sigalit lernte weitere Mütter kennen, die ihre Kinder bei dem Festival verloren hatten. Das sei für sie etwas Besonderes gewesen, weil sie nun mit anderen Betroffenen ihre Trauer und den unbegreiflichen Schmerz teilen konnte. Das war der Anfang des Projekts. „Ich begann zu verstehen, wie die Zivilgesellschaft Israels begann, sich auf so vielen verschiedenen Wegen gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, da waren so viele verschiedene Szenarien und Erlebnisse von Menschen, die in der Ausnahmesituation füreinander da waren, im Süden, im Norden, innerhalb und außerhalb Israels“, berichtet die Fotografin von ihren Erfahrungen. Daraus habe sich für sie eine Art Landkarte ergeben, die sie durch Israel und zu den Menschen führte, die sie in ihren ausdrucksstarken Fotografien porträtierte.

Natürlich seien dabei auch sehr emotionale Momente gewesen, zum Beispiel als die Mütter ihr erzählten, dass sie von ihren verstorbenen Kindern Zeichen erhalten hätten. „Es hat mich beeindruckt, wie diese Mütter zugleich trauerten und feierten, das Leben feierten, das ist etwas Besonderes im Judentum. Denn sie alle wollen trotz des Verlustes und des Schmerzes weiterleben, das Leben ist etwas Kostbares“, so die Fotografin.

„Die Fotografien von Magalí Druscovich machen menschliche Schicksale jenseits politischer Debatten sichtbar. Sie fordern dazu auf, das Leid aller Betroffenen in Israel und Gaza/Palästina anzuerkennen. Es geht nicht um einfache Schuldzuweisungen, sondern um die Menschen, ihre Verluste und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Mit der Ausstellung richten wir den Fokus auf die Betroffenen vor Ort und schaffen in Zeiten von festgefahrenen Debatten einen Raum für Dialog. Jedes Menschenleben zählt“, heißt es in einer Ausstellungsbeschreibung auf einem Banner im Betsaal des Museums.

Bis zum 2. Februar 2025 ist die Ausstellung im Jüdischen Museum Rendsburg zu sehen. Weitere Informationen unter jmrd.de

Info

Magalí Druscovich ist Bildjournalistin und Autorin mit Schwerpunkt auf Menschenrechten, Jugend- und Gesundheitsthemen sowie der Erforschung von Traumata und Resilienz, insbesondere in Lateinamerika. Sie wurde 1992 in Buenos Aires geboren. Die Argentinierin studierte Soziale Kommunikationswissenschaften an der Universität von Buenos Aires (UBA) und Fotojournalismus an der ARGRA. 2017 erhielt sie ein ­ICP-Direktoratsstipendium für ein Studium am International Center of Photography (ICP) im Programm für Dokumentarfotografie, wo sie den Rita-K.-Hillman-Preis für herausragende Leistungen erhielt.

Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Medien veröffentlicht, darunter Reuters, „The New York Times“, „The Guardian“, „Revista Anfibia“, „El País“, „Rest of World“, Unicef Argentina, „Página 12“, „Clarín“, „LatFem“, „Der Spiegel“, „Le Monde Diplomatique“, Télam und vielen anderen. Weitere Informationen unter ­magalidruscovich.com

Gabriel und Tamir wurden im Rahmen ihres freiwilligen Wachdienstes gerufen, um den Kibbuz zu schützen. Dank eines Anrufs der Armee wurden sie auf das Eindringen von Terroristen in das Gebiet aufmerksam gemacht. Gabriel und Tamir bekämpften die Terroristen, und ihr Kibbuz war einer der wenigen in der Gegend, in den kein Terrorist eindringen konnte, was das Leben der gesamten Gemeinschaft rettete.
Zikim, Israel 2024/Foto: Magalí Druscovich
Rami Shani (65) rettete in Re‘im auf dem Musikfestival 35 junge Menschen mit seinem Auto. Unter Beschuss fuhr er Maor Morchiano (29) und seine Freundin Shani Katz (28) in Sicherheit. Das Paar verlor fünf Freunde, mit denen sie zum Festival gegangen waren. Während der Fotoaufnahmen trafen sie Rami zum ersten Mal. „Er ist unser Engel, er hat uns nicht nur einmal, sondern zweimal gerettet. Wir leben dank ihm.“
Modiin, Israel 2024/Foto: Magalí Druscovich
Zohar, Or und Selda versteckten sich 48 Stunden lang im Schutzraum ihres Hauses in Sderot, während Terroristen in ihrer Nachbarschaft schossen und ihr Haus durchsuchten. Ohne Nachrichten von der Regierung beschlossen sie, am nächsten Morgen zu fliehen. Nächte lang schliefen sie im Auto oder bei Verwandten, gequält von Albträumen, bis sie schließlich Kfar Maccabiah erreichten und dort wieder ein Gefühl von Gemeinschaft fanden. Kathy Hason war für die Aufnahme und Betreuung von mehr als 1.200 Flüchtlingskindern aus dem Süden im Hotel Kfar Maccabiah verantwortlich. Auf dem Foto spielen Zohar, Or und Selda mit Kathy
Ramat Gan, Israel/Foto: Magalí Druscovich
Noch immer befinden sich mehr als 100 Geiseln in den Händen der Hamas. Die gelbe Anpin-Schleife ist ein Zeichen der Solidarität mit den Geiseln und darf von den Besuchern der Ausstellung mitgenommen werden.
Fotos: Iris Jaeger


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