Im Übermut zu schnell über die Koppel getobt und dann ist es passiert – ein Pferd ist am Koppelrand eine dicht bewachsene Böschung hinuntergestürzt und kann sich nicht mehr allein befreien.
Ein Szenario, das durchaus so passieren könnte – und Einsatzkräfte vor Herausforderungen stellt. Tiere in Gräben, Bachläufen oder Schlammlöchern in unwegsamem Gelände, Rinder in Güllegruben, gestürzte Pferde oder Rinder in Transportanhängern nach Unfällen – die Zahl von Einsätzen, bei denen Großtiere aus Notlagen befreit werden müssen, nehmen zu. Um auf solch einen Einsatz gut vorbereitet zu sein, bot die Arche Warder – Zentrum für alte Haus- und Nutztierrassen e. V. in Warder am vergangenen Wochenende Feuerwehren, THW, Veterinärmedizinern und Reitern ein ganztägiges Training zur technischen Großtierrettung an.
Mit 20 Teilnehmenden war das Training ausgebucht, neben Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehren Timmaspe, Großharrie, Wattenbek, Eisendorf, Kropp, Mölln, Hochdonn und Rendsburg nahm auch eine Delegation aus dem brandenburgischen Schwedt teil. Mit dabei waren zudem zwei Tierärzte der Pferdeklinik Tappendorf, Mitarbeiter der Arche Warder sowie ein Mitglied des THW. Ziele des Trainingstages waren das Erlernen und Üben einer sicheren und tierschonenden Rettung von Großtieren wie zum Beispiel Pferden, Rindern oder Eseln. Konkret: das Tier unter Einsatz artgerechter und tierschonender Mittel von einem gefährlichen Ort an einen sicheren Ort zu bringen. Doch dafür sind einige Vorkenntnisse wichtig, die Trainer und Großtierretter Michael Böhler in einem Theorieteil vermittelte. So zum Beispiel das Verhalten von Fluchttieren, das Verhalten von Menschen, Gefahreneinschätzung, Risikovermeidung, Sicherheitsaspekte, Personenmanagement, Einsatzstrategien, das Anwenden des Spezialwerkzeugs.
Das Gelände des Tierparks Arche Warder bot den Teilnehmenden ideale Trainingsmöglichkeiten, um verschiedene Einsatzszenarien zu üben, zum Beispiel das Retten eines Pferdes aus einer Hanglage. Pferdedummy „Hope“ erwies sich dabei als geduldiges Rettungsopfer. Im Normalfall reagiert das Tier panisch, kann um sich schlagen oder mit den Hufen treten, denn der Fluchtinstinkt ist allgegenwärtig, um jeden Preis will sich das Pferd befreien und weglaufen. Das Szenario: „Hope“ ist beim Toben übers Ziel hinausgeschossen und am Hang verunglückt. Das Pferd kann sich nicht selbstständig aus seiner Lage befreien. Die Feuerwehr wurde gerufen, ebenso ein Tierarzt. „Der ist absolut unverzichtbar bei so einem Einsatz“, erklärt Michael Böhler. Die Pferdebesitzerin wurde ebenfalls informiert und tut das, was im Einsatzfall ebenfalls passieren kann: Sie reagiert panisch, hysterisch, will unbedingt zu ihrem Pferd, handelt emotional und unvernünftig, indem sie sich dem Tier nähert und sich dabei in Gefahr bringt. Denn das Tier reagiert besonders unter Stress unvorhersehbar, auch für seine Besitzerin.
Für die Einsatzkräfte bedeutet das: Ruhe bewahren, die Besitzerin aus dem Gefahrenbereich herausholen und die Lage einschätzen: Ist eine technische Rettung notwendig oder gibt es Alternativen? Ist die Rettung sicher und bei tolerierbarem Risiko durchführbar? Rechtfertigt der Nutzen den Einsatz? Und ist eine Lebendrettung sinnvoll? „Auch diese Frage muss gestellt werden“, erklärt die Tierärztin Friederike Lüthje von der Pferdeklinik Tappendorf. Hat das Pferd Knochenbrüche oder innere Verletzungen, sollte es von seinen Qualen erlöst und eingeschläfert werden. Bei „Hope“ ist das nicht der Fall. Grundsätzlich muss das Tier aber vor der Rettung sediert (ruhiggestellt) werden. Und selbst dann bestehen noch instinktive Reaktionsmuster.
Zunächst aber wird eine Rettungseinheit zusammengestellt, bestehend aus dem Einsatzleiter (steuert den Einsatz, trifft Entscheidungen in Absprache mit dem Tierarzt/der Tierärztin), einem Gerätemanager (verantwortlich für das Spezialwerkzeug, das am Rand des Einsatzortes bereitliegt), einem Sicherheitsassistenten (erkennt sich abzeichnende Risiken für Einsatzkräfte und andere Anwesende und warnt frühzeitig), Trupp am Tier (arbeitet direkt am Tier und nutzt die entsprechenden Werkzeuge, um es für Bewegungs- oder Hebevorgänge vorzubereiten), weitere Mannschaft (kommt zum Einsatz, wenn das Tier für das Ziehen bereit ist).
Gemäß den fünf Geboten zur Großtierrettung wird der Kopf des Pferdes mit einem Seil gesichert und durch ein Bergetuch geschützt und gelagert. Es wurde ein sicherer Ort für die Freilassung bestimmt, ein Rückzugsweg für die Retter und ein Alternativweg für das Tier frei gehalten, ein Tierarzt hinzugezogen und konsequentes Personenmanagement betrieben. Der Tierarzt versucht, einen direkten Zugang zur Vene zu legen, um das Tier zu sedieren. „Das Mittel wirkt dann innerhalb von 45 Sekunden bis zu einer Minute“, so Lüthje. Ist das nicht möglich, wird das Mittel in den Muskel gespritzt, dann dauert es mindestens 30 min, bis es wirkt. „Diese Zeit sollte unbedingt abgewartet werden“, mahnt Lüthje. Mitunter sei eine Vollnarkose notwendig, das variiere von Tier zu Tier und müsse individuell entschieden werden. „Egal ob ihr euch mögt oder euch nicht ausstehen könnt, ihr müsst immer miteinander funktionieren und euch absprechen sowie den Anweisungen des Tierarztes folgen“, so Böhler. Bevor die Spezialgurte (keine Feuerwehrschläuche!) angelegt werden, muss geklärt sein, in welcher Position und in welche Richtung das Pferd aus der Hanglage herausgezogen werden soll. In diesem Fall liegt „Hope“ mit dem Kopf nach oben, was für den Vorwärtsassistenten spricht. Dabei werden die Gurte so angelegt, dass das Tier vorwärts den Hang heraufbewegt werden kann. Weitere Bewegungsmöglichkeiten sind der Rückwärtsassistent sowie zwei Möglichkeiten der Seitwärtsbewegung. Trainiert wird auch Drehen des Tieres über den Rücken. Die Aktionen erfolgen dabei immer von der Sattellage aus, außerhalb der Kick-Zone des Pferdes. „Grundsätzlich steht der Selbstschutz der Mannschaft im Vordergrund“, so Böhler.
Für die Gurte kommen jetzt die zuvor erlernten Fädel- und Zugtechniken mit Fädelstange und Hirtenstäben zum Einsatz. Die Fädelstange (oder der Federstahlbügel) wird vom Trupp am Tier behutsam unter dem Pferd hindurchgeschoben, um die von oben per Hirtenstab angereichte Gurtschlaufe einzuhaken und den Gurt unter dem Pferd durchzuziehen. Das klingt zunächst einfacher als es ist: Immer wieder rutscht der Gurt von dem Hirtenstab, Gebüsch behindert die Sicht. Und doch: Alles sollte ruhig und ohne Hektik geschehen, um das Tier nicht weiter nervös zu machen. „Denkt daran, macht langsam, wir haben keine Zeit“, erinnert Trainer Michael Böhler die Teilnehmer. Klingt widersprüchlich, gemeint ist aber, je ruhiger und bewusster die einzelnen Schritte durchgeführt werden, desto schneller kann das Tier befreit werden. Sind die Gurte angelegt, kommt der Rest der Mannschaft zum Zuge, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Schleifplatte leistet dabei einen wertvollen Beitrag, denn sobald das Tier darauf liegt, ist ein einfaches Ziehen der 600 bis 800 kg, die so ein Pferd wiegt, möglich. Zudem verhindert sie, dass das Tier direkt über den Boden gezogen wird und sich verletzt. „Die Platte ist Gold wert“, so Böhler, der auch bei der Rettung aus einem Pferdeanhänger wertvolle Hinweise geben konnte. „Hope“ wurde erfolgreich aus verschiedenen Situationen gerettet, dafür gab‘s zum Abschluss ein Gruppenfoto mit den Rettern.
Info
Lutz Hauch ist der einzige von der ARA (Animal Rescue Academy in Österreich) zertifizierte Großtierrettungstrainer mit Feuerwehrhintergrund in Deutschland. Seit 2016 unterrichtet er Einsatzkräfte von Feuerwehren und anderen Rettungsorganisationen in ganz Deutschland. Seit 2021 wird er von seinem Co-Trainer Michael Böhler unterstützt, der Organisationen in den nördlichen Bundesländern trainiert. Hauchs Trainingskonzept für die technische Großtierrettung wurde 2020 nach DIN ISO 9001 zertifiziert. (Quelle: comcavalo.de)