In verschiedenen Übungsszenarien trainierten Einsatzkräfte von Feuerwehren aus ganz Schleswig-Holstein am vergangenen Wochenende in Tellingstedt, Kreis Dithmarschen, die Personenrettung an, unter und aus einem Mähdrescher. Auslöser des auch für Feuerwehren besonderen Trainings war der schwere Arbeitsunfall eines jungen Mannes im vergangenen Sommer in der Nähe von Rostock, der in die Förderschnecke des Korntanks geraten war und dessen Leben nur durch eine Amputation beider Beine noch in der Maschine gerettet werden konnte.
Die Gesichter der Anwesenden wirken ernst und nachdenklich, als der Mähdrescher vom Typ New Holland CR 9070, den der Hersteller zur Verfügung stellte, inmitten der Halle und bereits ohne jegliche Seitenverkleidungen noch einmal mit Vollgas läuft und einen ohrenbetäubenden Lärm verursacht. Neben den Einsatzkräften sind an diesem Tag auch Interessierte aus anderen Bundesländern sowie von Tageszeitungen und Fernsehen angereist. Nicht alle hier haben eine solche Maschine schon auf dem Feld im Einsatz erlebt. Beim Blick auf die von etwa 460 kW angetriebenen Riemen, Ketten und Förderschnecken wird noch einmal allen bewusst, welche Energie und Kraft hinter dieser Technik stehen.
Außergewöhnliches Übungsobjekt
Auch wenn es sich bei den Übungsszenarien in Tellingstedt um Bedingungen handelt, die nicht an diejenigen auf dem Feld heranreichen können, so ist die Ausbildung direkt an einer derart großen landwirtschaftlichen Maschine dennoch ungewohnt realitätsnah. Zumeist wird die Technische Hilfeleistung in den Feuerwehren an Pkw geübt, eine derartige Ausbildung an einem Mähdrescher hat es in Deutschland bislang noch nicht gegeben. Etwa ein halbes Jahr haben die Organisatoren und ehrenamtlichen Feuerwehrmänner Marco Weber und Henning Edler in ihr Projekt gesteckt, warben um Sponsoren, luden Gäste und Pressevertreter für die nichtöffentliche Veranstaltung ein. Unterstützt wurden sie unter anderem durch den Löschzug-Gefahrgut des Kreises, das Technische Hilfswerk aus Heide und Burg-Hochdonn, das Deutsche Rote Kreuz aus Heide sowie von Herstellern für Feuerwehrausrüstung und Werkzeuge.
Nach theoretischen Unterweisungen in die Technik des Dreschers und für die eigene Sicherheit werden die 30 Teilnehmer in die Übungslagen eingewiesen. Die meisten von ihnen sind Feuerwehr-Kreisausbilder für Technische Hilfeleistung, die ihr neu erlerntes Wissen und ihre Erfahrungen als Multiplikatoren weitertragen sollen. Mitglieder der „Lukas Rescue League“, eines Trainernetzwerks des gleichnamigen Herstellers von Rettungsgeräten, und das „Fire and Rescue“-Team des Werkzeugherstellers Milwaukee Deutschland unterstützen die Teilnehmer. Obwohl sie alle in ihren Wehren Teamwork gewohnt sind, haben die Feuerwehrleute in dieser Konstellation noch nicht gemeinsam gearbeitet. „Man merkt sofort, dass hier alle in der Feuerwehr sind. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache und ziehen an einem Strang“, sagt Henning Edler begeistert.
Verschiedene Einsatzlagen realistisch simuliert
Die Szenarien sehen unter anderem jeweils die Rettung einer Person unter dem Mähdrescher, aus dem Korntank, aus der Kabine, dem Schneidwerk und einem am Mähdrescher verunfallten Pkw vor. Als das rund 24 t schwere Gefährt mit einem hohen fünfstelligen Restwert an einer Seite mittels Hebekissen angehoben wird, kommt es direkt zu einer Schrecksekunde: Trotz Sicherungen bewegt sich der Mähdrescher etwa einen halben Meter nach vorn. Auch das gehört zu einer Übung dazu, umgehend wird nachgebessert.
Um die eingeklemmte Person im nächsten Szenario aus den Tiefen des Korntanks zu befreien, wird seitlich von außen eine Öffnung geschaffen, durch die der Patient achsengerecht, also wirbelsäulenschonend, über eine Arbeitsplattform ins Freie gerettet werden kann.
Spezialtechnik und modernstes Werkzeug
Für ihre Übung stehen den Feuerwehrleuten neben Spezialequipment wie den pneumatischen Hebekissen auch akkubetriebene hydraulische Scheren mit einem Schneiddruck von 750 bar, Spreizer, Rettungszylinder und diverse Werkzeuge, die der Fachhandel zu bieten hat, zur Verfügung: ob Handkreissägen mit Metallschneideblättern, Säbelsägen mit Multi-Material-Sägeblättern, Schlagschrauber oder Trennschleifer – allesamt akkubetrieben. Zudem gibt es Aufbruchwerkzeuge verschiedenster Art, dazu LED-Scheinwerfer, Hölzer zur Stabilisierung und vieles mehr.
Zur Rettung einer bewusstlosen Person aus der Kabine entfernen die Einsatzkräfte zunächst Tür und Kabinenholm. Das Dach wird mit einem Hydraulikstempel gesichert und die riesige Glasscheibe mithilfe einer Säbelsäge in Sekunden in der Mitte durchtrennt. Vor den mechanischen Einwirkungen sowie dem Glasstaub werden sowohl der Verletzte als auch die betreuende Person geschützt. Durch die so geschaffene 90° große Öffnung können die Einsatzkräfte den Verletzten ins Freie transportieren.
An diesem Nachmittag informiert außerdem die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) aus dem Unfallgeschehen, die Werkzeughersteller präsentieren ihre neuesten Produkte und am Abend gibt es ein Zusammenkommen „Feuerwehr trifft Landwirtschaft“.
Wie sich die bearbeiteten Materialien verhalten, was mit den Rettungsgeräten möglich ist und wo die Grenzen sind, tragen die Teilnehmer als Multiplikatoren nun weiter. Eine Fortsetzung des Formates, auch mit anderen Maschinen, halten Henning Edler und Marco Weber für überaus sinnvoll – nicht zuletzt auch, um für die Arbeit der Feuerwehren im Land zu werben.
Bilder aus Tellingstedt in der Diashow: