Viele Bauern haben Wut im Bauch. Das hat gute Gründe: Streichung der Agrardieselsteuerrückvergütung durch die Politik, überbordende Bürokratie, dazu Bauern-Bashing aus Teilen der Bevölkerung – man kann die Liste noch weiterführen. Die Wut wird rausgelassen auf Demonstrationen. Das weckt Aufmerksamkeit. Jetzt wird endlich wieder auf die Bauern und ihre Anliegen geschaut! Manch ein Außenstehender versteht vielleicht ein bisschen besser, wie es den Landwirten geht und was sie leisten. Gut so!
Doch Aufmerksamkeit zu wecken ist nur ein Mittel, aber noch kein Ziel. Aufmerksamkeit wofür? Das Agrardieselthema ist greifbar, man kann es verständlich machen und in Zahlen ausdrücken. Schwieriger ist es beim Thema Bürokratie. Sie tritt auf in Gestalt von Tausenden Regularien auf unterschiedlichen Gebieten. Bürokratie befindet sich in keinem definierbaren Steuertopf. Keine Regierung kann beschließen: Okay, wir reduzieren Bürokratie um 1 Mrd. €, wir nehmen sie aus dem Topf heraus! Nein, das braucht Detailarbeit, Feinarbeit, viele Gespräche und Verhandlungen. Dafür müssen Kommissionen eingesetzt werden. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht mehr Bürokratie erschaffen als abschaffen.
Die Inhalte der Aufmerksamkeit, die Ziele der Wut brauchen Verhandlungen, münden meist in Kompromisse. Auf Maximalforderungen zu beharren führt selten weiter. Hart zu kämpfen, aber dann auch zu Ergebnissen bereit zu sein, ist das Wesen von Verhandlungen und von Demokratie. Dazu braucht es eine kompetente Vertretung des Berufsstandes wie den Bauernverband.
Die vom Bauernverband organisierten Demonstrationen wurden von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) als „ausgezeichnetes Bild“ gelobt. Das kann man von Auswüchsen bei unangemeldeten und eigenmächtigen Aktionen nicht sagen. Es wurde Mist auf Autobahnauffahrten geschüttet, es wurden Strohballen in Brand gesteckt und Baumstämme als Blockaden herangezogen. Es wurde der Polizei nicht Folge geleistet, bis der Kran kam. In Hamburg wurde eine Druckerei blockiert, weil sich die Akteure über die Berichterstattung in den dort ausgelieferten Medien empörten. Aufgebrachte Bauern bewirkten, dass der politische Aschermittwoch der Grünen im schwäbischen Biberach abgesagt wurde, und gerieten dabei in tätliche Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Stolz darauf? Für Verkehrsbehinderungen bei korrekten Treckerdemos hat ein Großteil der Bevölkerung Verständnis, für solche Aktionen nicht, ja sie schädigen das gesellschaftliche Miteinander und die zivilen Grundlagen unseres Gemeinwesens. Dem ist kompromisslos Einhalt zu gebieten.
So mancher erlebt, was er mit seinem großen Gefährt anrichten kann, und gerät in den Rausch der Macht. Als „Bewegung aus der gefühlten Ohnmacht in die gefühlte Allmacht“ drückt es Hans-Heinrich Berghorn aus, der beim Deutschen Bauernverband das Konzept „ZukunftsBauer“ betreut (siehe Schwerpunkt Ausgabe 6) und weiter: „Doch weder war man vorher ohnmächtig, noch ist man jetzt allmächtig.“ Seine Vision: „Jetzt in der gesellschaftlichen Krise haben wir die Chance, als Bauern ganz neue Wertschätzung zu bekommen. Wir können nicht nur Landwirt und Energiewirt, sondern auch Demokratiewirt sein, denn wir sind mit dem ländlichen Raum und seiner Bevölkerung verbunden.“