Wenn die vielen verschiedenen Steine bei uns an der Ostseeküste sprechen könnten, wäre es nicht nur ganz schön laut, sie hätten alle auch eine Menge zu erzählen. Denn die ältesten Exemplare von ihnen sind zwei Milliarden Jahre alt, die jüngsten wenige Millionen. Einige besonderen Exemplare sowie zahlreiche weitere fossile Zeitzeugen aus zwei Milliarden Erdgeschichte sind im Eiszeit-Haus in Flensburg zu bestaunen, das am vergangenen Sonntag nach vier Jahren Zwangspause wiederöffnete.
Erst kam Corona, dann umfangreiche Bauarbeiten rund um das historische, denkmalgeschützte Gebäude in der Mühlenstraße 7, das zum alten Gebäudebestand des Christiansenparks gehört. Doch nun können die versteinerten Überreste beispielsweise von Mammuts, Seeigeln, Schwämmen, Rentieren oder Wollnashörnern, aber auch Bernsteine, Feuersteine oder Donnerkeile wieder mittwochs und sonntags besichtigt werden.
Um 1820 als Wirtschaftsgebäude entstanden, wurde es für die Unterbringung von Pferden genutzt. Die Stadt Flensburg baute das Gebäude auf Initiative des damaligen Bürgermeisters und Kulturdezernenten Hermann Stell zum erdgeschichtlichen Schaumagazin des Naturwissenschaftlichen Museums um. „Die Eröffnung und die Möglichkeit, unsere Sammlungen nach so langer Zeit wieder einem Publikum zu präsentieren, fühlen sich toll an“, erzählt Kerstin Meise, Leiterin des Naturwissenschaftlichen Museums Flensburg, zu dem das Eiszeit-Haus gehört. Sie und ihr zum größten Teil ehrenamtlich arbeitendes Team nutzten die Zeit, um mehrere sehr umfangreiche Fossilien- und Gesteinssammlungen, die sie angenommen hatten, zu sichten und einige sehr besondere Funde darin nach und nach in die Schausammlung zu integrieren. So zum Beispiel die gewaltigen Hörner eines Auerochsen, der nach der letzten Eiszeit in der Nähe der heutigen Bokelholmer Fischteiche gelebt hat. Sein Gehörn ziert nun als neues Ausstellungsstück eine der Wände im Museum.
Das Interesse am Eröffnungstag war groß, viele nutzten die Gelegenheit, um eigene Funde begutachten und einschätzen zu lassen oder Bernsteine zu schleifen. Oder sie ließen sich von Zoologe und Paläontologe Frank Rudolph mit auf eine unterhaltsam und anschaulich erzählte erdgeschichtliche Zeitreise nehmen und erfuhren auf diese Weise, wie die Steine in der Eiszeit per Gletschertransfer aus Skandinavien zu uns ins nördliche Schleswig-Holstein kamen oder dass ein Mammut nur vier Zähne besaß, die es bis zu sechs Mal erneuern konnte, bis es dann nach dem letzten heruntergekauten Zahn verhungern musste. Oder dass ein Einhorn nicht mit einem Pferd, sondern mit einer Ziege verwandt ist, der Königsthron im dänischen Schloss Rosenborg in Kopenhagen aus dem Elfenbein eines Narwals geschnitzt ist, was einem Einhorn schon sehr ähnlich sieht. Die Zuhörer erfuhren, was ein Donnerkeil mit der Schwimmfähigkeit von Kopffüßern zu tun hat und was sich die Evolution noch alles hat einfallen lassen, um die vor Milliarden und Millionen Jahren lebenden Geschöpfe an ihre Umgebungen anzupassen, „sie war ja nicht doof, die Evolution“, so Frank Rudolph.
Wie kann man überhaupt eine Million Jahre begreifen? „Stellt euch vor, ihr kommt zur Schule und habt nur ein Schulfach: Zählen. Jede Sekunde eine Zahl, fünf Stunden am Tag, fünf Tage die Woche, inklusive sechs Wochen Schulferien. Nach einem Jahr ist man bei 3,7 Millionen, bis zum Hauptschulabschluss nach neun Jahren sind es 34 Millionen, und wenn ihr noch bis zum Abitur weiterzählt, landet ihr bei 49 Millionen. Die Dinosaurier starben vor 65 Millionen Jahren aus, also schaffen wir es nicht, in der Schulzeit bis zu den Dinos zu zählen.“
Klappersteine, Bernsteine, Flintsteine – zu jedem dieser Fossilien hatte der ehrenamtliche Mitarbeiter eine Geschichte und ein Exemplar bereit, das er den Zuschauern zum Anschauen und Anfassen gab, Geschichte auf diese Weise auch begreifbar machte. Darunter war auch ein dunkelbraunes, fast schwarzes Exemplar mit vielen Ausstülpungen, das von der Form her einer Koralle ähnelte. Was nicht abwegig ist, Gotland war ein einziges Korallenriff und wurde von der Südsee in die heutige Ostsee geschoben. Tatsächlich aber handelte es sich bei dem Gebilde um versteinertes Dinosaurier-Exkrement. „Zu den 100 Dingen, die man im Leben gemacht haben sollte, gehört das Anfassen von versteinerter Dinokacke dazu“, lautete das Fazit von Frank Rudolph.