Ein Gemüsehof in Dithmarschen anstelle eines Theatersaals, Ackerflächen und Lagerräume als Bühnenbild, ein Publikum mitten drin in der Geschichte statt nur dabei – für das Stück „Kronprinzen“ wählte das Theaterkollektiv Prinzip Rauschen eine ganze eigene Erzählweise: einen Ausflug zwischen Hörspiel und Theater.
„Ich bin der Kronprinz. Ich bin der Sohn meines Vaters. Meine Hände sind weich und zart. Stein auf Stein baue ich auf dem Fundament meines Vaters“ – in einem Linienbus sitzend, kommen über Kopfhörer diese Passagen, dann wieder das Rauschen als suche man bei einem alten Radio per Drehknopf den nächsten Sender, kurze Hörszenen von der Krönungszeremonie Elizabeths II. aus dem Jahr 1953, dann ein Kinderlied, dann ein Landwirt, der begeistert von seinem Beruf als Gemüseanbauer berichtet.
Alle Fahrgäste im Bus haben Kopfhörer auf, die in drei verschiedenen Farben leuchten: Blau, Grün, Rot. Und alle hören das Gleiche in dem Augenblick, unter anderem die Stimme des genannten begeisterten Gemüseanbauers Harm Feil mit seiner Leidenschaft für Rosenkohl: „Einen guten Bauern in Sachen Rosenkohl macht aus, dass er Spaß hat an seinem Produkt, Freude hat an den Menschen und Mitarbeitern, an den Maschinen, dass er eine Leidenschaft dafür entwickelt und diese Leidenschaft täglich wieder neu entdeckt.“ Für Außenstehende muss es seltsam angemutet haben, als dieser Bus an ihnen vorüberfuhr, darin Menschen mit bunt leuchtenden Kopfhörern, wie Außerirdische, die einen Abstecher nach Dithmarschen machen. Tatsächlich aber startete das Theaterstück „Kronprinzen“ auf dem Parkplatz vor dem Elbeforum in Brunsbüttel. Durch die Altstadt ging es mit dem Bus zum Elbdeich und dort entlang in Richtung Kronprinzenkoog zum landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Feil, der Familie des begeisterten Rosenkohlanbauers Harm Feil, der den Betrieb vor einigen Jahren von seinem Vater übernommen hat.
Auf dem Weg steigen drei weitere Gäste zu: Malte Andritter, Nico Franke und Jonas Feller. Sie sind das Prinzip Rauschen, sie haben dieses Hörspiel-Ausflugstheater mit dem weiteren Kollektivmitglied Hans Peters konzipiert. Sie haben Arbeitskleidung an und Gummistiefel. Mit dem letzten Streifen Licht am Horizont geht es vorbei an Höfen, Feldern, Häusern, im Ohr immer wieder die „Kronprinzen“, die Söhne von Landwirten, die erzählen, wie sie sich bereits mit 14 Jahren auf das Dreschen des Getreides freuen, wie sie auf die Hofübergabe vorbereitet werden, dass sie keine Zeit haben für Freunde, dass sie mehr Zeit mit Tieren verbringen als mit Menschen.
Bei Eintreffen auf dem Hof haben die Mitreisenden eine Ahnung, worum es geht: um das Leben und Arbeiten auf einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb, auf dem die Familie zusammenhält und Geborgenheit gibt, die aber auch Erwartungen hat, vor allem an die potenziellen Hofnachfolger, die Kronprinzen – deren Wege vorgezeichnet scheinen, deren eigene Befindlichkeiten, Gefühle und Wünsche im übergroßen Schatten des Vaters, des Patriarchen, des weithin angesehen Hofinhabers, zurückstehen müssen, die oft ohne Widerrede funktionieren, die sich oft als Angestellte ihres eigenen Vaters fühlen, die zwischen eigenen Bedürfnissen und dem Anspruch an sie, 400 Jahre Tradition zu übernehmen und weiterzuführen, hin- und hergerissen werden. Und die von klein auf den Druck spüren, der neben der Freude an der landwirtschaftlichen Arbeit auf den Bauern lastet: Zeitdruck, Finanzdruck, Erntedruck, Wetterdruck. „Der Hof hat Vorrang“ scheint zum ewig währenden Mantra zu werden, das sich wie ein schweres Tuch über den Wunsch nach mehr Entfaltung, Freiheit, Privat- und Familienleben legt und alles erstickt.
All das wurde auf dem Hof in kleinen Geschichten erzählt, während das Publikum, in drei Gruppen unterteilt (daher auch die Farben an den Kopfhörern), von Malte Andritter, Jonas Feller und Nico Franke an verschiedene Orte des Hofes geführt und durch die Geschichten geleitet wurden. Ergänzt wurden die kurzen Theaterpassagen und Erzählungen mit O-Tönen von Landwirten, die vom Theaterkollektiv zuvor interviewt wurden. Zu hören waren Regina Harms, Till Schlüter, Fabian Sander, Harm Feil, Sabrina Feil, Thies Feil, Antje Feil und Marcus. Kurz tauchen die Zuhörer in den landwirtschaftlichen Alltag ein, wenn mitten in der Nacht die Kuh Probleme beim Abkalben hat oder beim gemeinsamen Essen versucht wird, einen Gesprächszugang zum Vater zu bekommen. Beklemmend ist es, wenn inmitten deckenhoch gestapelter Gemüsepaletten von einem Hofbrand erzählt wird, der die Zukunft in Flammen aufgehen lässt.
Und wie erklärt man dem wortkargen, unnahbar scheinenden Vater, der Tag und Nacht schuftet, für den es nichts anderes als den Hof gibt, dass man sich für ein anderes Leben entscheidet? Die 400 Jahre Tradition nicht fortführt? Nicht Tag und Nacht ackert, stundenlang auf dem Schlepper hockt? Atmosphärisch dicht und intensiv, in einem Auf und Ab der Gefühle durchlebte das Publikum diesen Balanceakt, der teils fiktiv, teils auf wahren Aussagen und Erfahrungen basierend dargeboten wurde.